N.N.
München (Weltexpresso) - Wie ist die Idee entstanden, einen Film über Wackersdorf zu drehen?
Nach dem Reaktorunglück in Fukushima und dem deutschen Atomausstieg dachte ich über das Thema Atomkraft nach – und kam auf Wackersdorf. Ich habe mich gewundert, dass es bislang keinen Film dazu gab. Das ist ein zentrales Ereignis der bayerischen Nachkriegsgeschichte, ja die Geburt der bayerischen Zivilgesellschaft. Ich habe Produzent Ingo Fliess angesprochen, und er fand das Thema toll. Er hatte auch selbst in Wackersdorf demonstriert.
Wieso ist damals diese riesige Protestbewegung entstanden?
In erster Linie aus dem Gefühl heraus, dass man die Region verschaukeln wollte. Die bayerische Regierung glaubte, dem damaligen Armenhaus Bayerns die WAA als Goldgrube verkaufen zu können, und dachte, dass sich niemand wehren würde. Das haben die Leute gespürt. Es war auch ein Konflikt zwischen dem reichen München und der armen Region, zwischen der Arroganz der Macht und einer Gegend, die sich nicht für dumm verkaufen lassen wollte. Dass sich dann immer mehr Menschen auch der konkreten Bedrohung durch die Atomenergie bewusst geworden sind, ist das Verdienst einzelner Leute, die Aufklärungsarbeit geleistet haben.
Einen dieser Menschen rücken Sie in den Mittelpunkt: den Schwandorfer Landrat Hans Schuierer. Wieso ist er eine interessante Figur fürs Kino?
Weil er ein Held wider Willen ist. Er ist ein zutiefst bürgerlicher Mensch, glaubte an das System und an den Rechtsstaat – und es erschütterte ihn, dass dieser ausgehebelt wurde, dass ohne Genehmigung Bauten abgerissen wurden, dass Demonstrationen verboten wurden. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass das in einer Demokratie möglich ist. Man darf nicht vergessen: Die Erfahrung des totalitären Staates saß bei ihm tief, sein Vater war im Konzentrationslager Flossenbürg.
Schuierer wurde vom Befürworter zum bekanntesten Gegner der WAA.
Am Anfang hat er in der WAA nur den wirtschaftlichen Nutzen gesehen. Aber als er merkte, dass er die Angelegenheit falsch eingeschätzt hatte, war er fähig umzudenken. Ich empfinde das als große Leistung, einen Fehler eingestehen zu können. Und er wurde eine Galionsfigur des Widerstands. Dass der Landrat mitdemonstrierte, war für viele Leute ein maßgeblicher Grund, sich an dem Protest zu beteiligen. Schuierer hat dabei seine wirtschaftliche Zukunft riskiert, er hätte alle Rentenansprüche verlieren und vor dem Nichts stehen können. Dieser Mann verkörpert Prinzipientreue und Glaubwürdigkeit, wonach wir uns heute so sehnen.
Wie präsent ist das Thema WAA heute noch in der Region?
Zum Komparsen-Casting kamen 800 Menschen, und alle haben ihre eigene Wackersdorf-Geschichte erzählt. Es gab viele Brüche in den Biographien, zum Beispiel erhielten Lehrer Berufsverbot, weil sie demonstrierten. Und viele können nicht vergessen, was sie damals erlebt haben: wie die Polizei Rauchbomben warf und mit Wasserwerfern CS-Gas schoss. Dieser Gewalteinsatz des Staates, dem man vertraute, hat die Menschen schwer erschüttert. Für alle, die damals beteiligt waren, ist das noch ein großes Thema.
Die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei sind in der Erinnerung noch sehr präsent. In ihrem Film sind die Konfliktlinien vielfältiger. Wieso?
Heute wird vergessen, dass die Region gespalten war. Das ist in der Erinnerung von den Bildern der Demonstrationen und der Gewalt verdrängt worden. Viele dachten damals, die WAA bringe der armen Region eine wirtschaftlich goldene Zukunft. Manche Leute, die in ihrem Dorf als einzige gegen die WAA waren, wurden deshalb ausgeschlossen. Da gingen Risse durch Familien, viele Freundschaften wurden zerstört.
War die Widerstandsbewegung in sich einheitlich?
Es gab die alternative Szene und die Bürgerlichen. Am Anfang war auch der christliche Widerstand ganz stark, dem es darum ging, die göttliche Schöpfung zu bewahren. Der Protest ging weit über Hüttendörfer und Steinewerfer hinaus. Er war bürgerlicher, als man denkt. Das waren Menschen, die ihre Heimat verteidigen wollten. Und doch wäre der Protest nach der Einschätzung von Hans Schuierer ohne Tschernobyl irgendwann zusammengebrochen. Denn die Brutalität der Polizei hatte die Leute eingeschüchtert.
Gab es für diese Gewalt später eine Entschuldigung?
Kein Ministerpräsident hat sich jemals dafür entschuldigt, es gibt auch keinen offiziellen Gedenkort für die Proteste. Das ist ein unaufgearbeitetes Kapitel staatlichen Fehlverhaltens, und für die Region ein nicht verarbeitetes Trauma. Wir möchten mit diesem Film der Region und der Protestbewegung Anerkennung zollen.
Kürzlich gingen 30.000 Menschen gegen die Polizeigesetze auf die Straße, das war die größte Demonstration seit Jahrzehnten. Kommt der Film genau zur richtigen Zeit?
Ja, es gibt in Bayern wieder Tendenzen von staatlicher Seite, die Freiheit zu demontieren. Und es gilt, die Demokratie nicht von sicherheitsbesessenen, autoritären Politikern zerstören zu lassen. Der aktuelle Ministerpräsident beruft sich ja offensiv auf Franz Josef Strauß. Da ist es ganz gut daran zu erinnern, was alles im Keller modert. Mit dem aktuellen Polizeigesetz wäre es damals übrigens viel einfacher gewesen, die Demonstrationen zu zerschlagen und die Leute ins Gefängnis zu schicken.
Ist ein langfristiger Widerstand wie damals heute denkbar?
Man muss sich vor Augen halten: Diese Leute haben sieben Jahre lang demonstriert. Es gibt heute eruptive Entladungen wie bei der Demonstration gegen das Polizeigesetz. Aber das Problem ist der Durchhaltewille. Die Leute lassen sich schnell zerstreuen und darauf setzt die Politik.
Wie erklären Sie sich, dass das politische Engagement in der Gesellschaft nachgelassen hat?
Es gibt heute nicht mehr dieses Verständnis von Gemeinschaft. Davon zeugt auch, dass Vereine immer weniger Zulauf bekommen. Man will sich heute nicht mehr binden und für etwas stehen, hält sich lieber alle Optionen offen. Ein weiterer Grund sind sicher die sozialen Medien. Sie haben einen schrecklichen Nebeneffekt: Die Leute entladen dort ihren Protest, indem sie einen Gefällt-mir-Button drücken, und denken, ihre Schuldigkeit getan zu haben. Aber dieser Protest verpufft, und es staut sich keine Energie mehr an, die sich vielleicht in Demonstrationen entladen würde.
In einer Szene des Films wird deutlich, wie weit die Achtziger Jahre von unserem Internet-Zeitalter entfernt sind. Da sucht eine Bibliothekarin für Hans Schuierer am Microfiche-Apparat nach Büchern zum Thema Atomenergie. Wofür steht diese Szene?
Eine große Frage war für uns: Wie lange hat es damals gedauert, sich zu informieren? Man konnte nicht auf Wikipedia klicken, sondern musste ein Buch lesen. Das erforderte Anstrengung, das kennen wir gar nicht mehr. Wir können uns die Informationen zusammenklicken, und oft reichen uns diese schon. Aber erst aus einem tiefen Wissen kann sich eine Haltung entwickeln. Und das ist das Hauptplädoyer des Films: Wir müssen wieder eine Haltung zur Welt entwickeln.
Foto:
© Verleih, Erik Mosoni
Info:
Wackersdorf · Starttermin 20. September 2018, 2 Std. 02 Min., von Oliver Haffner, mit Johannes Zeiler, Peter Jordan, Florian Brückner u.a.
Der Film wurde beim Filmfest München mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Er enthält erkennbar filmische Ausschnitte aus der zurückliegenden Zeit-Periode.
Abdruck aus dem Presseheft
Einen dieser Menschen rücken Sie in den Mittelpunkt: den Schwandorfer Landrat Hans Schuierer. Wieso ist er eine interessante Figur fürs Kino?
Weil er ein Held wider Willen ist. Er ist ein zutiefst bürgerlicher Mensch, glaubte an das System und an den Rechtsstaat – und es erschütterte ihn, dass dieser ausgehebelt wurde, dass ohne Genehmigung Bauten abgerissen wurden, dass Demonstrationen verboten wurden. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass das in einer Demokratie möglich ist. Man darf nicht vergessen: Die Erfahrung des totalitären Staates saß bei ihm tief, sein Vater war im Konzentrationslager Flossenbürg.
Schuierer wurde vom Befürworter zum bekanntesten Gegner der WAA.
Am Anfang hat er in der WAA nur den wirtschaftlichen Nutzen gesehen. Aber als er merkte, dass er die Angelegenheit falsch eingeschätzt hatte, war er fähig umzudenken. Ich empfinde das als große Leistung, einen Fehler eingestehen zu können. Und er wurde eine Galionsfigur des Widerstands. Dass der Landrat mitdemonstrierte, war für viele Leute ein maßgeblicher Grund, sich an dem Protest zu beteiligen. Schuierer hat dabei seine wirtschaftliche Zukunft riskiert, er hätte alle Rentenansprüche verlieren und vor dem Nichts stehen können. Dieser Mann verkörpert Prinzipientreue und Glaubwürdigkeit, wonach wir uns heute so sehnen.
Wie präsent ist das Thema WAA heute noch in der Region?
Zum Komparsen-Casting kamen 800 Menschen, und alle haben ihre eigene Wackersdorf-Geschichte erzählt. Es gab viele Brüche in den Biographien, zum Beispiel erhielten Lehrer Berufsverbot, weil sie demonstrierten. Und viele können nicht vergessen, was sie damals erlebt haben: wie die Polizei Rauchbomben warf und mit Wasserwerfern CS-Gas schoss. Dieser Gewalteinsatz des Staates, dem man vertraute, hat die Menschen schwer erschüttert. Für alle, die damals beteiligt waren, ist das noch ein großes Thema.
Die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei sind in der Erinnerung noch sehr präsent. In ihrem Film sind die Konfliktlinien vielfältiger. Wieso?
Heute wird vergessen, dass die Region gespalten war. Das ist in der Erinnerung von den Bildern der Demonstrationen und der Gewalt verdrängt worden. Viele dachten damals, die WAA bringe der armen Region eine wirtschaftlich goldene Zukunft. Manche Leute, die in ihrem Dorf als einzige gegen die WAA waren, wurden deshalb ausgeschlossen. Da gingen Risse durch Familien, viele Freundschaften wurden zerstört.
War die Widerstandsbewegung in sich einheitlich?
Es gab die alternative Szene und die Bürgerlichen. Am Anfang war auch der christliche Widerstand ganz stark, dem es darum ging, die göttliche Schöpfung zu bewahren. Der Protest ging weit über Hüttendörfer und Steinewerfer hinaus. Er war bürgerlicher, als man denkt. Das waren Menschen, die ihre Heimat verteidigen wollten. Und doch wäre der Protest nach der Einschätzung von Hans Schuierer ohne Tschernobyl irgendwann zusammengebrochen. Denn die Brutalität der Polizei hatte die Leute eingeschüchtert.
Gab es für diese Gewalt später eine Entschuldigung?
Kein Ministerpräsident hat sich jemals dafür entschuldigt, es gibt auch keinen offiziellen Gedenkort für die Proteste. Das ist ein unaufgearbeitetes Kapitel staatlichen Fehlverhaltens, und für die Region ein nicht verarbeitetes Trauma. Wir möchten mit diesem Film der Region und der Protestbewegung Anerkennung zollen.
Kürzlich gingen 30.000 Menschen gegen die Polizeigesetze auf die Straße, das war die größte Demonstration seit Jahrzehnten. Kommt der Film genau zur richtigen Zeit?
Ja, es gibt in Bayern wieder Tendenzen von staatlicher Seite, die Freiheit zu demontieren. Und es gilt, die Demokratie nicht von sicherheitsbesessenen, autoritären Politikern zerstören zu lassen. Der aktuelle Ministerpräsident beruft sich ja offensiv auf Franz Josef Strauß. Da ist es ganz gut daran zu erinnern, was alles im Keller modert. Mit dem aktuellen Polizeigesetz wäre es damals übrigens viel einfacher gewesen, die Demonstrationen zu zerschlagen und die Leute ins Gefängnis zu schicken.
Ist ein langfristiger Widerstand wie damals heute denkbar?
Man muss sich vor Augen halten: Diese Leute haben sieben Jahre lang demonstriert. Es gibt heute eruptive Entladungen wie bei der Demonstration gegen das Polizeigesetz. Aber das Problem ist der Durchhaltewille. Die Leute lassen sich schnell zerstreuen und darauf setzt die Politik.
Wie erklären Sie sich, dass das politische Engagement in der Gesellschaft nachgelassen hat?
Es gibt heute nicht mehr dieses Verständnis von Gemeinschaft. Davon zeugt auch, dass Vereine immer weniger Zulauf bekommen. Man will sich heute nicht mehr binden und für etwas stehen, hält sich lieber alle Optionen offen. Ein weiterer Grund sind sicher die sozialen Medien. Sie haben einen schrecklichen Nebeneffekt: Die Leute entladen dort ihren Protest, indem sie einen Gefällt-mir-Button drücken, und denken, ihre Schuldigkeit getan zu haben. Aber dieser Protest verpufft, und es staut sich keine Energie mehr an, die sich vielleicht in Demonstrationen entladen würde.
In einer Szene des Films wird deutlich, wie weit die Achtziger Jahre von unserem Internet-Zeitalter entfernt sind. Da sucht eine Bibliothekarin für Hans Schuierer am Microfiche-Apparat nach Büchern zum Thema Atomenergie. Wofür steht diese Szene?
Eine große Frage war für uns: Wie lange hat es damals gedauert, sich zu informieren? Man konnte nicht auf Wikipedia klicken, sondern musste ein Buch lesen. Das erforderte Anstrengung, das kennen wir gar nicht mehr. Wir können uns die Informationen zusammenklicken, und oft reichen uns diese schon. Aber erst aus einem tiefen Wissen kann sich eine Haltung entwickeln. Und das ist das Hauptplädoyer des Films: Wir müssen wieder eine Haltung zur Welt entwickeln.
Foto:
© Verleih, Erik Mosoni
Info:
Wackersdorf · Starttermin 20. September 2018, 2 Std. 02 Min., von Oliver Haffner, mit Johannes Zeiler, Peter Jordan, Florian Brückner u.a.
Der Film wurde beim Filmfest München mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.
Er enthält erkennbar filmische Ausschnitte aus der zurückliegenden Zeit-Periode.
Abdruck aus dem Presseheft