Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 26/26
Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Die einzelnen, insgesamt 24 Filme des Wettbewerbs, von denen immerhin 19 dann wirklich um den die Bären konkurrieren, diese Einzelfilme also zu besprechen, ist nötig. Aber nötig ist genauso, danach ein Resümee zu ziehen. Wer ist der beste Film?
Das kann keiner sagen. Denn den 'besten' Film gibt es einfach nicht. Ein perfekter 'kleiner' Film ist etwas anderes, als ein großes Drama. Genauso wichtig ist es, welcher Rolle bei einer Bewertung die Kamera einnimmt, die Schauspieler, die Themen der Filme. Gerade letzteres ist besonders wichtig, denn die Berlinale hat von sich das Bild, daß sie mitten im Geschehen die politische Analyse der Welt vorantreiben will. Das hieße, daß Filme, in denen politische oder auch gesellschaftliche Verhältnisse vorgeführt, vielleicht auch angeprangert oder sogar verändert werden, besondere Chancen hätten.
Wir werden über die Bärenverleihung berichten, wollen aber zuvor für uns selbst dieses Resümee ziehen. Vorerst einen Überblick, was sich im Film heutzutage tut. Vorneweg. Die Leute rauchen wie verrückt. Solche Süchtigen, die sogar den häuslichen Herd verlassen oder auch ihr Restaurant, hat man lange nicht gesehen. Aber auch ohne, daß die Zigarette zum Thema würde, wird unentwegt geraucht. Man hat den Eindruck, daß das Kino die heutige Situation kompensiert, daß die Menschen öffentlich wirklich sehr viel weniger rauchen, schlicht weil es verboten, oder schon lange nicht mehr als chic, angesagt oder extravagant gilt.
Wo Rauch ist, ist auch Alkohol. Wie im richtigen Leben, ist die Kombination von Tabak und Sprit vorherrschend. Und so wie die Zigaretten eine an der anderen angezündet werden, werden auch die vollen Gläser gekippt. Doch, doch, auch die Folgen sieht man in den Filmen durchaus. In der Regel wachen dann ältere Frauen an der Seite eines jungen Mannes am nächsten Morgen auf (Gloria, Elle s'en va) und können sich an nichts erinnern. Oder sie kotzen, denn das Übergeben zu nennen, wäre euphemistisch. Die Alten machen es den Jungen vor, denn auch in dem schön irrealen Film des Koreaners Hong Sangsoo trinken die Studenten sich ins Nirwana.
Die Reihe der sozialkritischen Filme ist Legion. Denn natürlich werden an den Widerständen auch Geschichten wahrgenommen, die zu Filmen reizen. Das betrifft sehr viele Filme, herausgegriffen beispielsweise PARADIES: HOFFNUNG oder auch LAYLA FOURIE oder CHILD'S POSE, wo eine Mutter als Mutter Erde nicht aufhören kann, über ihr erwachsenes Kind zu herrschen.
Eine weitere Spur zieht sich durch die Wettbewerbsfilme, die heißt: Klaustrophobie - oder sollten wir lieber sagen: daß Zäune und Gitter und Mauern und Eisen die Welt teilen in Drinnen und Draußen. Mal ist das Drinnen die Rettung wie in PARDÉ, mal heißt es nichts anderes als Gefängnis (Layla Fourie, Harmony Lessons), auf jeden Fall trennen diese Hindernisse die Welten. Man kann aber manchmal vermuten, daß die Hölle eine doppelte ist, sowohl hinter den Zäunen wie auch vor ihnen.
Viel beachtet wurde ein weiteres Thema, nämlich das der ältere gewordenen Frau, die nach Kindern und geschiedener oder verwitweten Ehe noch einmal von vorne anfangen und nicht die Erwartung an Glück und Liebe aufgegeben haben, sondern dafür etwas tun. Überhaupt sind eine Reihe von ausgesprochen starken älteren Frauen in den Filmen aufgetreten, auch dort, wo sie dann doch sterben, weil das Schicksal anderes mit ihnen vorhatte. Sicher wird dies noch länger Thema bleiben, denn damit haben diese Frauen ja erst angefangen.
Dann die Natur, hauptsächlich der Wald. Nie sahen wir so viel Grün, einmal in der Bedeutung des Verschlingenden, aber auch in der Funktion des Schutzes vor dem feindlichen Menschen. Ein Film wie GOLD beispielsweise führt ununterbrochen durch die unwegsamen Landschaft im Norden Kanadas, aber wir müßten fast alle Filme aufführen so durchgehend spielt die Natur oder überhaupt der Filmort eine eigene Hauptrolle.
Es gibt aber auch Filme, die quer zum Mainstream stehen. Dieser leise amerikanische – auch das gibt es, leise und amerikanisch – Film PRINCE AVALANCHE wäre nichts, was erst einmal Gemüter erhitzt. Da sind zwei so unterschiedliche Charaktere, von denen das Gemeinsame nur ihr Geschlecht ist, aber auch das mit unterschiedlichem Temperament und Alter (!), ein Film, der einen in die Geschichte so geschickt hineinzieht, bis man auf einmal merkt, daß man diese beiden immer schon einmal näher kennenlernen wollte. Auch der andere Film, der im Wald spielt, ist VIC + FLO SEHEN EINEN BÄR. In diesem Film sind es zwei ältere lesbische Frauen, die es erwischt, sowohl ihr Tod wie auch ihr Leben ist keine Norm.
Auch der schwule Priester aus IN THE NAME OF ist kein Regelfall fürs Kino. Ein schöner Film, der insgesamt vieler Erwähnungen wert ist, wie auch der russische. Dennoch hat man den Eindruck, daß diesen Filmen gegenüber, die Minderheiten zeigen, kein großes Interesse hier auf der Berlinale besteht. Es gab eigentlich nur wenige Filme, die man ganz unmöglich fand, denn offen ins Kino zu gehen, heißt dann auch, sich vor der Leinwand aufzumachen und gut zuzusehen und zuzuhören und dann erhält man oft einen Einblick in die Lebenswelten, von denen man keine Ahnung hatte und die auf einmal das eigene Leben bereichern.