Wer gewinnt die Bären? Die Wettbewerbsfilme auf der 63. Berlinale vom 7. bis 17. Februar 2013, Teil 27/26

 

Claudia Schulmerich

 

Berlin (Weltexpresso) – Nun ist die Spannung vorbei. CHILD'S POSE, der rumänische Beitrag hat den Goldenen Bären erhalten, ein Film, in dem eine überversorgende, ja tyrannische Mutter ihr Baby, das schon an die Dreißig ist, über alles stellt: über Moral und Recht, was sie mit viel Geld auch erreichen kann.

 

 

Den GOLDENEN BÄREN für den Besten Film erhielt Poziţia Copilului - Child's Pose von Călin Peter Netzer, den in Berlin gemeinsam der Festivaldirektor Dieter Kosslick und der Jury-Präsident Wong Kar Wai überreichten und der direkt nach der Preisverleihung noch einmal gezeigt wird. Das war von Anfang an Programm, daß überhaupt das osteuropäische Kino stärker wahr genommen werden soll, weshalb auch viele Filme von dort zum Wettbewerb eingeladen wurde. Wir können mit dieser Entscheidung gerade so leben, hätten dann aber doch dem polnischen Film IN THE NAME OF den Vorzug gegeben, der völlig leer ausgeht, was wir nicht richtig finden.

 

Der GROSSE PREIS DER JURY (Silberner Bär) ging an Epizoda u životu berača željeza - An Episode in the Life of an Iron Picker, den Danis Tanović erhielt, der vom Geschehen aus der Zeitung erfahren hatte und sich mit den tatsächlich Betroffenen traf und dann entschied, mit ihnen einen Film zu machen, der weder Doku noch Spielfilm ist. Das Thema Roma war auch im letzten Jahr präsent und hatte uns einen viel tieferen Eindruck gemacht, ohne daß der Film damals berücksichtigt wurde.

 

 

Der ALFRED-BAUER-PREIS (Silberner Bär) in Erinnerung an den Gründer des Festivals für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet, wird zugestanden Vic+Flo ont vu un ours - Vic+Flo Saw a Bear, ein in Teilen surrealer Film von Denis Cote, in dem die Natur eine gewaltige Rolle spielt und in dem das zweite Mal eine Bärenfalle im Wettbewerb über Leben und Tod entschied.

 

Den PREIS FÜR DIE BESTE REGIE (Silberner Bär) durfte David Gordon Green für Prince Avalanche in die Hand nehmen. Das ist eine ungewöhnliche Entscheidung, aber eine, die wir mittragen können, denn dieser Film war für uns auf der Berlinale die größte Überraschung. Obwohl der Film ein Remake ist – und die Vorlage gerade mal 2 Jahre alt ist – und das Thema von zwei Männern im Wald, die über viele Wochen gelbe Streifen auf Landstraßen anbringen, was doch wirklich nicht interessant klingt, ist dies – wie wir schrieben – ein kleiner perfekter Film.

 

Der PREIS FÜR DIE BESTE DARSTELLERIN (Silberner Bär) wurde Paulina García in Gloria (Gloria) von Sebastian Lelio zugestanden. Dieser Film lief ziemlich am Anfang und machte solchen Eindruck, daß er lange als hoher Favorit galt, bis die ersten Eindrücke durch die folgenden Filme überschrieben wurden. Man kann diese Entscheidung akzeptieren, wüßte allerdings gerne mehr über die Diskussion in der Jury. Denn die großen Verliererinnen sind hier und auch sonst die Franzosen, speziell die Französinnen. Dieser Preis hätte genauso gut an Juliette Binoche für ihre Camille Claudel gehen können oder sogar müssen, oder an Isabelle Huppert für deren lesbische Oberin in DIE NONNE, aber auch an Julie Delpy für BEFORE MIDNIGHT. Dieser Film ist so völlig unberücksichtigt worden wie andere, auf die wir noch zurückkommen.

 

Den PREIS FÜR DEN BESTEN DARSTELLER (Silberner Bär) erhielt Nazif Mujićem in Epizoda u životu berača željeza (An Episode in the Life of an Iron Picker) von Danis Tanović. Das finden wir gewaltig überzogen. Natürlich kann auch ein Laie einen Schauspielpreis bekommen. Aber in Verbindung mit dem Großen Preis der Jury wird dieser Film über Gebühr herausgestellt, denn er hat auch gewaltige Schwächen, wie wir in der Kritik herauszuarbeiten versuchten. Und schauspielerisch haben wir bewegendere Rollen gesehen. Hier sollte – so denken wir – eine politische Aussage getroffen werden, die man lieber anders als über den Film und vor allem diesen Film machen sollte. Große Verlierer sind auch hier die Polen und die Russen. Sowohl der schwule Priester im polnischen Film wäre ein Aspirant gewesen wie auch der widerständige Alexander im russischen Beitrag A LONG AND HAPPY LIFE.

 

Daß der PREIS FÜR DAS BESTE DREHBUCH (Silberner Bär) an den Iraner Jafar Panahi für Pardé (Closed Curtain) von Jafar Panahi und Kamboziya Partovi gehen sollte, war sicher ein internationales Einverständnis, das aber gleichzeitig kaschiert, daß man keine wirkliche politische Entscheidung traf. Denn der Film PARDÉ ist als Film eine derartige Ausnahme, das in gewissem Sinne überhaupt keine Vorbilder vorhanden sind. Er spielt allein in dem Haus, zu dem der bekannteste iranische Regisseur Jafar Panahi zum Hausarrest verbannt ist, und das auch nur deshalb, weil das Gerichtsurteil der sechsjährigen Haft derzeit deshalb nicht vollstreckt wird, weil die internationale Öffentlichkeit dies beobachtet.

 

Dennoch finden wir den Preis für das Drehbuch, das also die Idee an sich auszeichnet, etwas wenig, verstehen aber die Absicht. Denn der Film ist selbst doch sehr verstörend. Aber das soll und muß er auch sein. Er hätte auch gut den Alfred Bauer Preis gewinnen können, denn es ist eine absolute Innovation, wie die Isolation hier notgedrungen dargestellt wird. Aber keiner der wirklich verstörenden Filme hat den Goldenen Bären gewonnen, sondern ein guter Film, der sehr realistisch dargestellt und fotografiert wurde, ohne daß irgendwelche Besonderheiten wären.

 

Den PREIS FÜR EINE HERAUSRAGENDE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG AUS DEN KATEGORIEN KAMERA, SCHNITT, MUSIK, KOSTÜM oder SET-DESIGN (Silberner Bär) Aziz Zhambakiyev für die Kamera in Uroki Garmonii (Harmony Lessons) von Emir Baigazin. Auch das ist eine zweischneidige Lösung. Es spricht nichts gegen die Kameraarbeit des Kasachen, womit Kasachstan nicht nur das erste Mal im Wettbewerb der Berlinale war, sondern auch gleich einen Preis gewann. Dennoch ist der, der für diesen Film geradesteht doch der Regisseur. Dem wollte man den Preis aber dann doch nicht geben, wofür es auch gute Gründe gibt.

 

Die Preisvergabe war der Jury wohl dann doch zu wenig. Denn sie vergab zweimal lobende Erwähnungen und will damit die filmischen Projekte auszeichnen, die eben auch etwas Besonderes, aber noch nicht preiswürdig genug sind. Die LOBENDE ERWÄHNUNG ging einmal an Promised Land von Gus Van Sant, in dem dieser Einpeitscher und Superverkäufer, den Matt Damon darstellt, die Farmer verführt, ihr Land zu verpachten/verkaufen, auf dem man mit großen Spekulationsgewinnen rechnet. Aber eine LOBENDE ERWÄHNUNG erhält auch der Film Layla Fourie von Pia Marais, der für Deutschland antrat und eine spannende Filmerzählung bietet, an der uns vor allem gefiel, daß endlich einmal ein wirklich neues Thema auf der Leinwand zu sehen ist und auch die Darsteller ungewöhnlich sind.

 

Will man noch einmal - nun nach der Preisvergabe – ein Resümee ziehen, sind es die Mitteleuropäer, die schlecht aussehen. Wir verwiesen auf die Franzosen, die weder für ihre Filme, noch für ihre Darsteller ausgezeichnet wurden. Daß die NONNE als Großproduktion keinen Preis erhielt, hat vielleicht mit der Suche nach Neuerungen im Kino zu tun, denn die NONNE ist ein wirklich gut gemachter großer Film, der alles berücksichtigt, was ein großes Kino braucht. Daß aber auch ein engagierter Film wie CAMILLE CLAUDEL 1915 in keiner Kategorie einen Preis und noch nicht einmal eine Erwähnung findet, geht uns gegen den Strich.

 

Was die Deutschen angeht, kann einem in diesem Jahr das letzte noch mehr leid tun, denn der Film BARBARA war besser als alles, was man dieses Mal sah, bekam aber keinen Preis. Auch der Österreicher Ulrich Seidl durfte nicht wirklich mit einem Preis rechnen. So wunderbar seine beiden Filme der Trilogie PARADIES sind, LIEBE und GLAUBE, ist doch der dritte Teil HOFFNUNG irgendwie ohne Hoffnung. Denn das, was er eigentlich aussagen will, konterkariert er. Es sind aber auch – wie nun schon mehrmals erwähnt - die Polen und Russen Verlierer. Wahrscheinlich müßte man auch Hollywood dazuzählen. Denn außer einer lobenden Erwähnung ist für diese nichts abgefallen, was nicht ganz stimmt, denn immerhin ist der Regiepreis an Green für PRINCE AVALANCHE gegangen. Aber irgendwie verkörpert dieser nicht Hollywood.

 

Die Berlinale 2013 ist vorbei. Vorhang auf für die Berlinale 2014.

 

www.berlinale.de