f werkSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 3. Oktober 2018, Teil 5

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Vor dem geschichtlichen Hintergrund des Zweiten Weltkriegs und der DDR erzählt Florian Henckel von Donnersmarck in seinem jüngsten Werk aus dem bewegten Leben eines Künstlers namens Kurt. Die Handlung orientiert sich an dem Werdegang des Dresdner Malers Gerhard Richter, der mit dem sozialistischen Realismus haderte und unter dem Einfluss von Düsseldorfern Avantgardisten wie Joseph Beuys seinen persönlichen Stil fand.

Aufwühlend wird das Zeitpanorama vor allem aber über Kurts Konfrontation mit seinem eiskalten Schwiegervater Professor Seeband. Der hat als Gynäkologe viele Frauen sterilisiert, oder ermordet, deren Leben die Nazis aufgrund von Behinderungen oder Schizophrenien als wertlos erachteten, darunter auch Kurts Tante.

Sebastian Koch, der mit dem Regisseur schon in „Das Leben der Anderen“ zusammenarbeitete, verkörpert diesen teuflischen Mann, der in seinem ideologischen Eifer sogar massiv in das Liebesleben seiner Tochter eingreift und am Ende im Angesicht von Kurts wahrhaftigen Porträts aus dem Gleichgewicht gerät. Im In- wie im Ausland zählt Koch zu den besten und interessantesten deutschen Schauspielerpersönlichkeiten seiner Generation. Dank des großen Erfolgs des Oscar prämierten Stasi-Dramas ist er zunehmend auch in englischsprachigen Produktionen gefragt, für Steven Spielberg stand er in dem Spionage-Drama „Bridge of Spies“ vor der Kamera.


Herr Koch, nicht jeder Leinwanddarsteller hat auch eine Schauspielschule besucht. Sie aber schon, und Sie haben Ihre Anfänge auch am Theater gemacht. Wie kamen Sie zum Film und warum sieht man Sie heute nicht mehr im Theater?

Ich war in der Tat ein absoluter Theaterfreund, Theater war für mich das Wichtigste der Welt, als ich von der Schauspielschule kam. Ich fühlte mich da aufgehoben wie in einer Familie und das kontinuierliche Miteinander-Arbeiten, hat mir viel bedeutet. Filmrollen habe ich anfangs nur zur Aufbesserung meiner Gage angenommen. Das „Familientheater“ mit so großen Theatermenschen wie Peter Zadek und Peter Stein hat sich jedoch Anfang der 90er Jahre leider verloren. Nach der Wende hatte Berlin plötzlich acht renommierte Häuser, und es entbrannte ein lästiger Konkurrenzkampf. Ich war am Schillertheater, und es war nicht mehr das, was ich wollte. Dieses intensive Arbeiten, das ich im Theater nicht mehr hatte, habe ich dann im Film gesucht und das Glück gehabt, dass ich relativ früh große Regisseuren wie Peter Schultze Rohr oder Heinrich Breloer begegnet bin.


Sie waren in „Todesspiel“ Andreas Baader.

Das war eine relativ kleine, aber wichtige Rolle, sie beanspruchte nur sechs Drehtage. Ich hatte mich aber sehr aufwendig darauf vorbereitet, Andreas Baader ist eine sehr kontroverse Figur. Das war einer der ersten historischen Zweiteiler, der sich mit der jungen BRD und der RAF befasst hat. Kein Mensch hat sich damals so etwas zu produzieren getraut. Geschichte als Fiction, als Entertainment war noch Tabu – keiner hat so richtig daran geglaubt. Erst nach dem für damalige Verhältnisse sensationellen Erfolg von vier oder fünf Millionen Zuschauern hatten auch andere Produzenten den Mut bekommen, loszulegen und dieses Neuland zu betreten. Mit Heinrich Breloer begann daraufhin eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Nach „Todesspiel“ kamen „Die Manns“, dann „Speer und Er“. Mir gefiel die Intensität und Ernsthaftigkeit, mit der er zu Werke ging und dieses immense politische Interesse und Wissen. „Todesspiel“ um die Terroranschläge im Deutschen Herbst, finde ich bis heute einen seiner besten Filme.


Sie haben nicht nur Andreas Baader verkörpert, sondern auch zahlreiche andere bedeutende Figuren der Zeitgeschichte, Klaus Mann, Albert Speer, Graf von Stauffenberg. Wen würden Sie noch gerne spielen?

Mich hat das eher immer irritiert, Biografien nachzuerzählen, weil man doch immer eine Vorlage hat, die man zwar interpretieren kann, aber die im Großen und Ganzen doch festgelegt ist. Eine Figur frei zu erfinden, macht einfach mehr Spaß und ist doch sehr viel fantasievoller in meiner Arbeit als Schauspieler.


In „Werk ohne Autor“ spielen Sie einen mörderischen Arzt, der inspiriert ist durch ein reales Vorbild. Aber an diesen Heinrich Eufinger würde sich vermutlich kaum jemand erinnern, wenn sein Name nicht im Zusammenhang mit der tragischen Familiengeschichte Gerhard Richters aufgetaucht wäre. Wie bedeutsam war für Sie die Auseinandersetzung mit dieser Biografie?

Wie Sie sagen, ist die Figur, die ich spiele, nur inspiriert durch Eufinger, es gibt aber natürlich auch andere Inspirationsquellen für diesen Seeband-Charakter, gleichwohl habe ich mich mit ihm sehr beschäftigt. Es hat mich aber nicht interessiert, ihn zu kopieren oder gar so auszusehen wie er. Endlich konnte ich die Figur mit dem Regisseur, den ich sehr schätze, selber entwickeln, vor allem auch die äußere Erscheinung. Professor Seeband tritt stets sehr akkurat auf - keine Falte im Anzug, überkorrekte Haltung, strenger Scheitel.


Auf dem Porträt, das der Maler Kurt von ihm am Ende macht, sieht dieser Professor Seeband diabolisch aus. Wie böse ist dieser Mann?

Er ist schon ein ziemlich bösartiger Zeitgenosse. Um ihn aber zu beschreiben, würde ich ihn vielmehr als sehr streng bezeichnen. Die Strenge und das Streng-mit-sich-selber- und-Anderen- zu-sein entspringt einer Ideologie, die viel mit Macht, Dominanz und Kontrolle zu tun hat. Gefühl, Empathie, Wärme, Intuition - das sind alles Wörter, die er aus seinem Leben verbannt hat. Vermutlich hat er selber als Kind so etwas nie erlebt. Eine protestantisch calvinistische Erziehung – Hände auf die Bettdecke, kalte Duschen und eiserne Disziplin waren wichtiger als Umarmungen oder verständnisvolle Worte. Mit 16 – 18 Jahren sind diese Jungs euphorisch in den Krieg gezogen mit dieser Ernst Jünger-Romantik im Gepäck, und dann liegen sie da im Schützengraben, aller Hoffnung beraubt, von schrecklichem Tod und unendlichem Leid umgeben. Sie sind von wollenden Siegern zu Opfern geworden. Ich glaube das könnte ein Wendepunkt gewesen sein, an dem ein Charakter wie Seeband sich geschworen hat, niemandem jemals mehr Macht über sich zu geben. Das ist eine Entscheidung, die sehr einsam macht und Konsequenzen hat.


Muss man sich, um so einen eiskalten Mann überzeugend darzustellen, mit ihm identifizieren oder reicht eine so scharfsichtige Analyse, wie Sie sie eben gegeben haben?

Ich muss Seebands Gedankenwelt verstehen. Bei ihm ist kein Halbsatz zu viel. Er trägt sich beim Reden mit keinen Gedanken rum. Bei ihm ist alles ganz zielgerichtet, ökonomisch. Sprache benutzt er als Waffe, er kann sein Gegenüber damit vernichten. Jedes Wort sitzt. Er weiß wie ein Schachspieler genau, wie der andere reagiert, ist schon zwei, drei Schritte voraus und hat eine absolute Kontrolle über sich, über die anderen, über die Situation. Wenn Seeband einen Raum betritt, sinkt die Temperatur um zwei Grad, man weiß, dass er da ist.


An einer Stelle, wo Seeband der Frau des Kommunisten bei der Geburt hilft, fragt der Russe ihn, warum er das tut. Er antwortet: „Weil ich es kann.“ Eine ehrliche Antwort oder reines Kalkül?

Beides. Eine ehrliche Antwort, weil er es wirklich kann und dieses Leben retten will, aber auch absolutes Kalkül, weil sich ihm dadurch die Chance bietet, sein eigenes Leben zu retten. Das ist ein tolles Beispiel, an dem man Seebands Charakter wunderbar festmachen kann. Gehen wir nochmal in den Schützengraben zurück: Dieser Mann würde nie aufgeben, sich bis zum letzten Moment nicht damit abfinden, zu verbluten. So etwas gibt es für ihn nicht. Und wenn es die letzte Sekunde ist, in der die Rettung kommt, er will überleben. Und wenn er nach Kriegsende in dem Lager der Sowjets ist, lernt er Russisch, wohl wissend, dass es irgendwann vielleicht eine Chance gibt, mit dieser Sprache etwas zu erreichen. Dann liegt tatsächlich die Frau des russischen Lagerkommandanten in den Wehen, er erkennt, das Kind liegt quer und weiß, da ist sie – diese eine Chance. Er weiß sofort, was los ist, aber auch, dass ihn das rettet. Er nutzt diesen Strohhalm.


Den Satz „...weil ich es kann“ sagt an anderer Stelle auch Tom Schilling.

Die beiden Männer haben zweifellos eine Verbindung! Der Maler, die Hauptfigur in unserem Film, hat viel gelernt aus dieser komplizierten und für ihn manchmal nur schwer auszuhaltenden Beziehung. Er erinnert mich an einen Aikido-Kämpfer, der gegen sich gerichtete Energien aufnimmt, umwandelt, durch sich durch lässt und dadurch wächst, stärker wird und letztlich einen Weg findet, durch diese Widerstände seine künstlerische Sprache zu entwickeln. Das ist ja das Schöne an der Geschichte, dass Kurt Barnert dann doch am Ende auch der Beste ist.


Wie inspirierend war für Sie die Auseinandersetzung mit den beiden realen Künstlern, die für diesen Film Vorbilder waren: Gerhard Richter und Joseph Beuys?

Sie waren nicht Vorbilder, sondern Inspirationsquellen für den Film. Unlängst habe ich mich im Kontext mit Andres Veiels Dokumentarfilm nochmal mit Beuys beschäftigt. Der hat mit seinem freien Denken unglaublich viel bewirkt in Zeiten, in denen der Kunstbegriff für viele doch sehr eng war. Gerhard Richter ist auch so ein freier Geist. Den kann man nicht fangen, auch nicht zerstören. Dieses freie Denken und das Suchen nach einer eigenen Wahrheit, das ist etwas Schönes, weil man in der eigenen Energie ist, keine Kompromisse macht oder Dinge kopiert, nicht alles in den Dienst der Karriere stellt, sondern das tut, was gerade passt für das eigene Leben und dadurch neue Wege gehen kann.


Sie hatten zuvor in dem Film „Nebel im August“ ebenfalls einen „Euthanasie“-Arzt verkörpert, der in der NS-Zeit Menschen, überwiegend Kinder ermordet hat. Stehen diese Figuren in einer Verbindung?

Ich würde fast sagen, dass Seeband eine Art Essenz all der Machtmenschen ist, die ich in meiner Schauspielerleben gespielt habe: Albert Speer, Dr. Faltershausen in „Nebel im August“, in gewisser Form auch Stauffenberg. Dass ich meine Figur in so einer Ausführlichkeit und Freiheit definieren und entwickeln konnte, das hatte ich in der Form noch nicht, vor allem mit Florian Henckel von Donnersmarck, der mich so inwendig kennt und dessen Intelligenz und Phantasie ich sehr vertraue.


Sie kennen Florian Henckel von Donnersmarck schon sehr lange.

Ja, seit 15 Jahren. Als ich mich auf meine Rolle für den Stauffenberg Film vorbereitet habe, sind wir zur Familie Stauffenberg gefahren, mit denen er in gutem Kontakt steht. Die Begegnung mit Stauffenbergs Witwe Gräfin Nina von Stauffenberg, die heute leider nicht mehr lebt, war für mich essentiell, um dann später diese Rolle so zu spielen. Auf diesem gemeinsamen Ausflug haben wir uns angefreundet.


2005, waren Sie einer der Protagonisten in dem Oscar prämierten Film „Das Leben der Anderen“, dem ersten großen Film von Florian Henckel von Donnersmarck. Haben Sie das damals geahnt, dass er so erfolgreich werden würde?

Es war schon beim Lesen des Buches zu spüren, dass das ein großer Stoff ist und einen Nerv trifft, die Frage war damals, wie macht er das als Regisseur? Da hatten wir noch keine gemeinsamen Erfahrungen. Aber ich war schon gleich am ersten Drehtag sehr beeindruckt, weil ich gespürt habe, dass er eine genaue Vorstellung hat und eine liebevoll penetrante Kraft, diese umzusetzen. Eine unendliche Geduld und eine große Liebe zu seinen Schauspielern. Das Ergebnis beeindruckt mich nach wie vor, das war der erste Film, bei dem ich vergessen habe, dass ich das da auf der Leinwand bin, als ich ihn im Kino gesehen habe. Dank des Oscars, den der Film dann gewann, hat sich mir der englischsprachige Markt geöffnet, was mir die Möglichkeit gab, noch genauer und feiner Drehbücher auszusuchen.


Was macht von Donnersmarck zu einem so guten Regisseur?

Erstmal ist es die Vorbereitung. Ich bin immer früh in die Projekte eingebunden, so dass wir uns gegenseitig helfen, einander beraten- und entwickeln können. Wenn das Drehbuch geschrieben ist und wir uns dann an die Figur annähern, ist es sehr hilfreich, einen klugen Geist zur Seite zu haben, der auch bereit ist mit zu suchen, gemeinsam zu entdecken, also nicht schon fertige Schablonen im Kopf hat.


„Werk ohne Autor“ spielt in Dresden, zwei Nebendarsteller in einem Atelier sächseln, die Hauptfiguren jedoch nicht. Ein bisschen hat mich das erstaunt, da Filmemacher zunehmend in Spielfilmen mit dokumentarischer Genauigkeit arbeiten und auf Authentizität allergrößten Wert legen. Bedeutet es für einen Schauspieler eine große Herausforderung, sich einen Dialekt einzuverleiben?

Ja, das ist ein schwieriges Unterfangen, zumal immer die Gefahr auf Seiten des Zuschauers besteht, den Schauspieler auf den Dialekt hin zu überprüfen, was sehr von der eigentlichen Darstellung ablenken kann. Als ich Albert Speer vorbereitet habe, konnte ich diesen leicht säuselnden Mannheimer Heidelberger Dialekt ziemlich gut, habe aber dann 2 Tage vor Drehbeginn entschieden, es doch wegzulassen. Eine kleine Färbung ist dann doch hängen geblieben und die war dann ausreichend.


Sie haben schon mehrfach im Ausland gedreht, in Hollywood mit einer Legende wie Steven Spielberg. Gibt es in diese Richtung neue Projekte?

Ich habe jetzt ein Jahr lang Pause gemacht und keine Drehbücher gelesen. Nach „Werk ohne Autor“ habe ich in New York noch den Film „Bel Canto“ mit Julianne Moore gedreht, der jetzt im September in Amerika startet, danach war Schluss – endlich mal Pause. Endlich Zeit mich zu regenerieren, ich war ja nur noch unterwegs. Ich bin sehr glücklich, dass ich mir diese Auszeit gegönnt habe. Jetzt, so langsam öffne ich mich wieder, es sind ein paar Projekte schon im Gespräch, aber da habe ich noch nicht die Bücher gelesen, damit beschäftige ich mich im November.

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© Verleih

Info:
BESETZUNG

Kurt Barnert .                    TOM SCHILLING
Professor Carl Seeband    SEBASTIAN KOCH
Ellie Seeband                     PAULA BEER
Elisabeth May .                  SASKIA ROSENDAHL
Professor Antonius van Verten    OLIVER MASUCCI
Kurt Barnert 6 Jahre          CAI COHRS
Martha Seeband                INA WEISSE
NKWD Major Murawjow    EVGENY SIDIKHIN
Dolmetscher Murawjow     MARK ZAK