fss yuliImpressionen vom 66. San Sebastían Filmfestival, Teil 1/2

Kirsten Liese

San Sebastían (Weltexpresso) - Ob modernes Tanztheater, Tango oder klassisches Ballett: Das Kino hat sich schon vielfach der Faszination des Tanzes verschrieben. Carlos Sauras grandiose choreografische Flamenco-Adaption von Bizets Oper Carmen sowie einige Dokumentationen des spanischen Altmeisters stehen dafür ebenso beispielhaft wie Wim Wenders Hommage Pina oder Darren Aronofskys Thriller Black Swan.


Auch heute ist große Filmkunst vielfach inspiriert von Tänzen und Tänzern, wovon man sich in der 66. Ausgabe des San Sebastian Filmfestivals überzeugen konnte.

Der kubanische Wettbewerbsbeitrag Yuli (geteilter Drehbuch-Preis für Paul Laverty) erzählt aus dem Leben des in Havanna geborenen Balletttänzers Carlos Acosta,  der als erster Schwarzer in London als Romeo reüssierte. Ausgehend von einer Choreografie des sich selbst spielenden Acosta, rekapituliert der Film in Rückblenden dessen Anfänge in seiner Kindheit. Dass Regisseurin Icíar Bollaín und ihr bewährter Drehbuchautor Laverty, bekannt für seine diversen Drehbücher für Ken Loach, die Geschichte weitgehend konventionell erzählen, stört kaum. Schließlich geht das mit eindrucksvollen Balletteinlagen und  Tanztheater - Szenen gespickte Biopic, das auf die ambivalente Beziehung zwischen dem kleinen Carlos,  genannt Yuli,  und seinem strengen,  ehrgeizigen Vater fokussiert, sehr zu Herzen. Besessen von dem Ehrgeiz, der Welt zu zeigen, wie weit Schwarze es bringen können und dem Verlangen, dem Sohn zu einer von Reichtum und Ruhm gesegneten Zukunft zu verhelfen, forciert der Vater gegen dessen Willen die entbehrungsreiche Ausbildung  an einer erfolgreichen Ballettschule und die große Karriere.

Dagegen schindet sich in Lukas Dhonts belgischem Drama Girl (Publikumspreis für den besten Europäischen Film) eine 15-Jährige freiwillig. Sie plagen gänzlich andere Probleme als Carlos: Lara lebt wie ein Mädchen, hat aber noch den Körper eines Jungen und kann die operative Geschlechtsangleichung kaum noch abwarten.  Klaglos nimmt sie die großen Schmerzen auf sich, die für sie mit dem harten Training beim Spitzentanz an einer renommierten Ballettakademie einhergehen, versteckt sie doch ihren Penis unter eng geschnürten Bandagen und tanzt sich die Füße blutig.

Unaufgeregt, subtil und berührend lotet Dhont die leidvolle Selbstfindungsphase seiner Heldin aus, die trotz verständnisvollem, fürsorglichen Vater eine schockierende Verzweiflungstat begeht.

fss dantzaEinen weiteren außergewöhnlichen Tanzfilm hatte San Sebastian mit dem außer Konkurrenz gezeigten Beitrag Dantza im Programm.

Regisseur Telmo Esnal, der bereits 2005 mit seiner Gesellschaftskomödie Aupa Etxebeste  einen wichtigen Grundstein des baskischen Kinos legte, schickt seine Compagnien hier auf eine Reise durch unterschiedliche Zeiten, Kulturen und Landschaften mit höchst abwechslungsreichen Szenen, die mal archaisch, mal folkloristisch, mal surreal anmuten.

Futuristisch kostümierte Frauen treffen da zum Beispiel im Niemandsland mit ihrer diabolischen Königin in der Wüste auf eine Gruppe männlicher Heroen, die sie in kunstvoll getanzten Gefechten besiegt.

Andere Einstellungen, in denen Arbeiter mit ihren Spaten vertrocknete Erde beackern oder Fackelträger in einer mittelalterlichen Burgruine nachtwandeln, beeindrucken mit ritualisierten synchronen Bewegungen zu kraftvollen Rhythmen. Eine dörfliche Hochzeit darf nicht fehlen und ein hoch-virtuoses Männersolo über einem gefüllten Glas macht einfach nur Staunen. Die Musik auf all diese choreografierten Miniaturen wirkt wie abgezirkelt, und die bezaubernden Gesichter von Jünglingen und Mägden wie aus einer vergangenen Zeit.

Das seit Jahren erfreulich unverändert hohe Niveau in San Sebastían, das sich in solchen Produktionen ausdrückt,  ist unzweifelhaft auch das Verdienst des Festivalleiters José Luis Rebodinos, dessen Filmauswahl von gutem Geschmack und einem sicheren Gespür für Qualität zeugt.

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Info:
Zuerst veröffentlicht am 2.10. im Ray Filmmagazin
www.sansebastianfestival.com