Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. Oktober 2018, Teil 14
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein ganz starker Film, dem man nicht nur nicht ansieht, sondern von dem man auch nicht glauben mag, daß er das Regiedebüt von Gustav Möller darstellt, so spannend erleben wir ihn – und das alles nur am Telefon, wo ein Polizist, der den Notruf aufnimmt, einer Entführung lauscht und wir die ganze Zeit nur über ihn und das Telefon das Geschehen miterleben. Man sieht nur den Polizisten, der Dienst tut und bei besonderen Telefongesprächen den Nebenraum betritt und seine Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls den Notruf bedienen. Das Besondere ist zudem, daß der Film die Entführung und ihre Lösung in Echtzeit bringt.
Noch einmal: Es gibt nur eine sichtbare handelnde Person, das ist Asger Holm (Jakob Cedergren), der seine Probleme hat, das merkt man und eher unlustig den Hörer in seinem Dienstraum der Notrufzentrale von Kopenhagen aufnimmt. Dann aber strafft er sich, denn klein und verängstigt hören wir Ibens Stimme durchs Telefon. Und was wir dann miterleben ist so beklemmend, daß wir merken, daß dieser erst einmal etwas tumbe Kerl am Telefon zu genau der richtigen Mischung von Zuspruch fähig ist. Es ist eine dramatische Tour de Force, der wir lauschen, denn unsere Ohren sind sehr viel mehr gefordert als unser Blick. Aber daß dieser nicht gelangweilt wird, das liegt am konzentrierten Spiel des Jakob Cedergren, der so unaufdringlich, ja einfach so normal und zunehmend nachvollziehbar angespannt wirkt, daß man sich wirklich in seiner klaustrophobischen Situation mitbefindet. Man weiß, warum er anfängt zu schwitzen, weshalb er nervös an seinem Finger knabbert, der ein Wehwehchen hat. Eine Tour de Force auch für den Schauspieler, die dieser glänzend bewältigt.
Und noch einmal zum Dritten eine Tour de Force, diesmal für den Polizisten Asger Holm, der seine letzte Schicht in der Notrufzentrale verrichtet, bevor am folgenden Tag sein Gerichtsverfahren klären soll, ob der tödliche Schuß aus seiner Dienstwaffe hat sein müssen, also Notwehr oder... Er ist also nicht gut drauf und im ersten Anruf erleben wir ihn auch eher zynisch, wobei wir das aber sehr schnell verstehen, so nervend ist der Anrufer, der im Rotlichtviertel beklaut wurde.
Er ist ein aber ein echter Profi, denn so schnell hätten wir nicht reagieren können, wie er dieser Iben antwortet, die den Notruf angerufen hat, aber so tut, als ob sie mit ihrem kleinen Kind, das sie zu Hause gelassen hat, spricht. Sie sagt nur „ja“, als Asger sie fragt, ob sie entführt worden ist. Sie sitzt im Auto und immer wieder hört man den Fahrer sprechen, aber auch, daß er ihr immer wieder erlaubt, ihre Tochter anzurufen, die allein mit ihrem . Als sie das erste Mal sprechen, läßt er sofort ihr Telefon orten. Es befindet sich auf der Autobahn in einem Auto, die Geräusche hatte man ja auch im Gespräch mitbekommen.
Clever und umsichtig, dieser Asger, der sofort die Autobahnpolizei anruft, denn der Wagen soll geortet werden und am besten angehalten werden. Er versucht, den Wageninhaber ausfindig zu machen und dessen Familie aufzuspüren; er ruft auch die kleine Tochter der Entführten an und stabilisiert sie, die mit ihrem kleinen Bruder allein zu Hause ist. Auch zu ihr schickt er Kollegen. Die Handlung wird strukturiert durch die Anrufe, die immer jäh abbrechen, Tut Tut, so daß Asger die nächsten Schritte überdenken muß.
Eine solche Handlung, über das Telefon das kriminelle Geschehen mitzuverfolgen, ist nicht neu. Aber die Art und Weise, wie hier über das Telefon die nur sprechenden Menschen dennoch wie aus Fleisch und Blut im Auge des Zuschauers erscheinen, ist große Regiekunst. Und weil die Stimme so wichtig ist, hört man der dänischen Stimme gebannt zu, wie sie Angst genauso ausdrückt wie Hoffnung, daß Asger, der ja offiziell ihr Kind ist, helfen kann. Es gibt eine weitere Stimme am Telefon, die etwas ganz anderes will. Es ist der Kollege von Asger, der mit ihm Streife fährt und morgen vor Gericht aussagen soll. Soll er die Wahrheit sagen oder sie mehr als zurechtbiegen, damit sein Kollege vor Gericht sauber aus einem Verfahren kommt, das doch unsauber war. Es geht um die verschwundene Pistole des Erschossenen, der nie eine hatte.
Durch diese Nacht und seinen Einsatz, der Menschenleben rettet, ist er geläutert und will am nächsten Tag die Wahrheit sagen und sie vom Kollegen hören.
Doch eigentlich geht es ja um die Entführung von Iben und die Angst um ihre Kinder. Die kleine Tochter ist übrigens großartig und spielt ihre Rolle in dem Spiel. Und dann...dann nimmt die Geschichte, die schon vorher durch allerlei Abweichungen spannend blieb, eine so unerwartete Wendung, daß man noch lange nach dem Film gewissermaßen den Mund offen stehen läßt.
Diesen Film zu sehen, ist ein klein wenig das, was in der griechischen Tragödie die Katharsis ist. Das Mitleiden und infolge dessen die Reinigung der eigenen Seele erfährt der Polizist wie auch wir beim Zuschauen.
Kein Wunder, daß dieser Film für den Europäischen Filmpreis nominiert ist, um den es am 15. Dezember geht.
P.S. Was man überhaupt nicht verstehen kann, ist der englische Titel, der für den deutschen Markt kreiert wurde. Denn im dänischen Original heißt der Film DEN SKYLDIGE. Das hätte man entweder übernehmen sollen - schließlich ist es lautsprachlich gut verständlich -, oder man hätte schlicht DER SCHULDIGE sagen sollen. THE GUILTY ist auf jeden Fall daneben.
Foto:
© Verleih
Info:
Regie
Gustav Möller
Drehbuch
Gustav Möller und Emil Nygaard Albertsen
Darsteller
Jakob Cedergren, Johan Olson, Jessica Dinnage, Omar Shargawi, Jakob Hauberg Lohmann, u.a.
Produktion
Lina Flint
Kamera
Jasper Spanning
Schnitt
Carla Luffe
Sounddesign
Oskar Skriver