f champ2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. Oktober 2018, Teil 18

N.N.

Paris (Weltexpresso) - Ihr Film heißt im Original „Place Publique“ spielt aber in einem privaten Garten...

JEAN-PIERRE BACRI: ... welcher es – dank der sozialen Medien – schafft, zu einem „Place Publique“ (Anmerkung: frz. place publique, dt. publikumswirksam, Öffentlichkeit) zu werden! Wir wollten dieser aktuellen Entwicklung gerecht werden, denn selbst in einer Gruppe von Freunden möchte man, dass das Frühstück, das man gerade festgehalten und gepostet hat, durch ein ‚like‘ auf Facebook bestätigt wird... Andy Warhol lag sowohl falsch als auch richtig: Heute sucht jeder zwar eher nach einer Minute Ruhm als nach 15, aber ansonsten hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.

AGNÈS JAOUI: Es ist faszinierend, dieses Gefühl, dass, wenn etwas nicht „gepostet“ wurde, es auch niemals passiert ist. Tatsächlich fing ich aus genau diesem Grund mit elf an, ein Tagebuch zu führen: Wenn etwas, das mir passiert ist, nirgendwo aufgezeichnet wurde, hatte ich das Gefühl, dass es trotz der Tatsache, dass ich es erlebt habe, wertlos war. Um zurück auf Andy Warhol zu kommen, es sind zugegebenermaßen 15 Minuten, aber diese 15 Minuten können wiederholt passieren. Jeder möchte eine Berühmtheit sein, um immer wieder erkannt zu werden – offensichtlich Teenager, aber dasselbe gilt auch für Erwachsene.


In der Tat ist das, worüber Sie spotten, die Berühmtheit, die durch soziale Medien geboren wurde...

AJ: Ruhm – und die Macht, die er mit sich bringt – ist ein Thema, das uns schon immer interessiert hat, und nun gibt es eine neue Ordnung.

JPB: Wir versuchen nicht, soziale Medien schlecht zu machen – jeder nutzt sie so, wie sie für ihn funktionieren. Es ist nicht so, dass es auf der einen Seite nur Gutes gibt und auf der anderen Seite nur Schlechtes.

AJ: Denn es gibt einige YouTuber, die sehr ambitioniert sind und ihre Sache wirklich gut machen. Es gibt auch einige, die sich wirklich für eine Sache engagieren. Soziale Medien demokratisieren Berühmtheit, denn sie erleichtern den Zugang zu ihr. Die Leute, die im traditionellen TV-Geschäft weitermachen, wie Castro, verlieren ihre Macht sehr schnell und werden bedeutungslos. Denn die jüngeren Generationen nutzen nicht mehr das Fernsehen, alles ist jetzt komplett anders.


In CHAMPAGNER & MACARONS – EIN UNVERGESSLICHES GARTENFEST scheint es Ihnen Spaß zu machen, die verschiedenen sozialen Schichten miteinander zu konfrontieren...

AJ: Wir wollen weiterhin über die Unterschiede zwischen den verschiedenen sozialen Schichten reden, weil es sie immer noch gibt. Es ist ein scheinbar unerschöpfliches Thema, auch wenn diese Unterschiede weniger deutlich sind als früher. Manu denkt, er sei mit Castro befreundet, aber in dem Moment, in dem sich Castro danach fühlt, zeigt er, dass er die Macht hat, Manu immer wieder an seinen Platz zu verweisen. Wir wollen auch über die Elite sprechen, die tanzt und singt, ohne zu bemerken, dass die Menschen aus niedrigeren Schichten um sie herum ihren Enthusiasmus nicht teilen, sich nicht vertreten und ignoriert fühlen.

JPB: ... und sie können die Komplizenschaft sehen, die innerhalb der Elite existiert. Als die Bürgermeisterin auf Nathalies Party auftaucht, begreifen wir schnell, dass sie lieber die Wünsche dieser reichen Pariser erfüllt, die mit berühmten Menschen vernetzt sind, als die von Delavenne, einem Einheimischen, der auf den Feldern arbeitet.


Wie haben Sie den eher beunruhigenden Charakter von Delavenne geschrieben?

AJ.: Delavenne verkörpert diejenigen, die sich nicht repräsentiert fühlen und diese hartnäckige Ablehnung von Parisern, die viele Nicht-Pariser in Frankreich entwickeln können.

JPB: Wir alle können uns mit Delavennes Verbitterung identifizieren. Wir verstehen seine Worte über die Elite: „Oh ja, ihr seid da oben in Paris, während wir hier leiden“. Es ist ein gerechtfertigter Groll, er braucht keine Erklärung. Aber das ist nichts Neues. Haben Sie die Geschichte über Jean Gabin gehört? Schon immer liebte er Tiere und die Natur, also hat er sich ein Bauernhaus gekauft, während er noch als Schauspieler arbeitete. Aber die Einheimischen haben ihn so schikaniert, dass er am Ende dazu gezwungen war, den Besitz wieder zu verkaufen.


Der Film beginnt mit einer Rückblende, in der die Gefahr des Aufeinanderprallens verschiedener Schichten bestärkt wird...

AJ: Ich fühle mich oft so, als würden wir alle auf einem Vulkan tanzen. Wir denken, dass wir Spaß haben, aber alles könnte auch sehr schlecht ausgehen. Ich verstehe wirklich, dass Menschen, die sich ausgestoßen fühlen, die Schnauze voll haben. Aber ich denke auch, dass es falsch ist zu glauben, die Lösung wäre es, Extremisten zu wählen. Sie werden sie nicht retten – das Gegenteil wird eintreten und es wird noch schlimmer werden.


Im Drehbuch und im Ton des Films ist Ihrer beider Stimme wiedererkennbar, aber bei diesem Film gibt es ein neues Thema: das Altern und die Vergänglichkeit...

JPB: Weil diese Themen auch in unserem Leben neu sind! Wir finden heraus, wie es sich anfühlt, seine verführerische Kraft zu verlieren und sich nicht mehr länger cool zu fühlen. Ich spreche insbesondere über mich und meinen Charakter! Wir kreisen in unserer Arbeit immer um dieselben Themen, aber dieses Mal gibt es auch die außergewöhnliche Entdeckung, dass wir älter werden.

AJ: Zu Beginn, im Radio, verkündet Castro seine offizielle Version über die Freuden des Alterns. Ich selbst habe jemanden in einer Radiosendung Wort für Wort diese Sätze sagen hören. Ich glaubte nicht einen Moment lang an ihre Aufrichtigkeit, aber ich verstehe, dass Menschen sie sagen, weil es nicht interessant ist, darüber zu sprechen, wie grauenhaft es ist zu altern – niemand will das hören. Für mich war es amüsant, den Film mit dieser förmlichen Rede über die Freuden des Alterns zu beginnen und dann tief in die Materie hineinzugehen und zu sehen was hinter diesen offiziellen Aussagen steckt. Heutzutage präsentieren wir so viel von uns selbst, aber seltsamerweise filtern und verschönern wir unser Leben permanent. Und das ist total normal.


Ohne es so offensichtlich zu verleugnen, nimmt der Film an, dass Altern gar nicht so dramatisch ist...

AJ: Natürlich! Zumindest haben wir das immer noch: die Macht zu entdramatisieren!


CHAMPAGNER & MACARONS – EIN UNVERGESSLICHES GARTENFEST spricht auch unsere Treue an – oder den Mangel daran – gegenüber den moralischen Werten und Idealen unserer Jugend...

JPB: Wir altern nicht nur physisch. Unsere Werte und Überzeugungen altern auch, sie verändern sich, gehen verloren... Es gibt Rebellen, die als Konservative enden. Als Hélène Castro frägt, was aus seinen Überzeugungen geworden ist, antwortet er zynisch: „Wir entwickeln uns...“

AJ: Es ist wichtig klarzustellen, dass wir vor den französischen Wahlen 2017 angefangen haben, das Drehbuch zu schreiben. Marine Le Pen war sehr stark, die Linke begann ihren Abstieg in die Hölle und Macron war noch nicht einmal auf den Bildschirmen. Ehrlich, ich hatte Angst und ich fühlte mich schrecklich gestresst. Ich wurde 1964 geboren und bin in dem Glauben aufgewachsen, dass es nie wieder einen weiteren Krieg geben wird und noch viel weniger neue Konzentrationslager. Und dann geschah dieses Wiederaufleben von alten Dämonen. Wir schienen uns mit der Entpolitisierung der jungen Generation zu arrangieren, für die Links oder Rechts gehupft wie gesprungen ist. Das ist es, was unsere Tochter Nina im Film erlebt. Ich hielt es für notwendig, über diese Enttäuschung und diese Abkoppelung zu einem Zeitpunkt zu reden, in dem wir Terroranschläge durchleben... mit dem Hang dazu, dem Zynismus der extremen Rechten und dem vereinfachenden Idealismus der extremen Linken zu widersprechen.

JPB: Und wir können deutlich sehen, dass heute Zynismus, den wir auch politisch inkorrekt nennen können, auf einer Erfolgswelle reitet und sich einer oberflächlichen Anziehungskraft erfreut. Jeder erlaubt es sich, sich von diesen Gedanken beeinflussen zu lassen.

AJ: Wir wollten seit einiger Zeit über das politisch Inkorrekte reden, in der Hinsicht, dass jeder, der heutzutage ethische Gedanken fasst, als Relikt gesehen wird und sich damit dem Spott aussetzen muss „politisch korrekt“ zu sein.

FORTSETZUNG FOLGT!

Foto:
© tiberiusfilm.de

Info:
Darsteller
Hélène         AGNÈS JAOUI
Castro         JEAN-PIERRE BACRI
Nathalie       LÉA DRUCKER
Manu           KÉVIN AZAÏS
Nina            NINA MEURISSE
Samantha   SARAH SUCO