Jüdische Filmtage, ab heute: 21. Oktober bis 4. November an verschiedenen Spielorten Frankfurts, Teil 5
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im Nachhinein denkt man sich, man hätte sich doch vorausschauend stärken sollen an den allerliebsten kleinen Brötchen und dem Wein/Wasser im Foyer des Deutschen Filmmuseums, denn die Eröffnung, die um 17 Uhr dort begann, zog sich mit den beiden Premierefilmen dann doch bis nach 23 Uhr hin. Aber man bereute keine Minute.
Erst einmal ging es im großzügigen Foyer des Filmmuseums locker zu. Man kam gut ins Gespräch, man sah zwischendurch die Großkopferten, aber irgendwie ging es nicht los, die offizielle Eröffnung, was ein Segen war, denn so konnten die, die immer in Hetze sind, doch auch einmal miteinander (und übereinander) reden. Derzeit tut sich nämlich viel in Frankfurt, was Filme und Filmtheater angeht.
Und dann ging es wirklich los. Für das Haus begrüßte Natascha Gikas und stellte das Besondere an den nun zum zweiten Mal stattfindenden Jüdischen Filmtagen heraus. Daß sie im jährlichen Wechsel mit den Jüdischen Kulturwochen stattfinden, muß man sich merken und daß die Filmvorführungen diesmal in diversen Frankfurter Kinos und nicht mehr im Gemeindesaal der Jüdischen Gemeinde stattfinden, das finden sowieso alle gut. Vielleicht ist die gemeinsame inhaltliche Vorbereitung der Jüdischen Gemeinde mit den ausgewählten Kinos: Deutsches Filmmuseum, Orfeos Erben, Harmonie, Cinema, Mal Seh‘n auch der Grund für dieses exzellente Programm, das am heutigen Abend gleich zwei Premieren bringen wird.
Wie häufig jüdische Themen im hessischen Filmschaffen vorkommen, hatte gerade die Verleihung des 29. Hessischen Film- und Kinopreises gezeigt, darauf wies Natascha Gikas hin, wo zum einen Isabel Gathof für ihren Film MORITZ DANIEL OPPENHEIM. Der erste jüdische Maler - dieser Film läuft am Mittwoch, 31. Oktober im Rahmen der Jüdischen Filmtage im Mal Seh‘n Kino als Premiere mit Filmgespräch mit Regisseurin Isabel Gathof, und soll am 25. Oktober deutschen Kinos angelaufen sein – wo also Isabel Gathof den Nachwuchspreis des Hessischen Ministers für Kunst und Wissenschaft erhielt und den Preis für den besten Dokumentarfilm DIE AKTE OPPENHEIMER von Ina Knobloch erhielt, was mit den ähnlich klingenden Namen manchen verwirrte, weshalb wir immer rasch hinzufügen, daß es sich im zweiten Fall um eine Aufarbeitung der wirklichen historischen Hintergründe des Prozessen gegen den jüdischen Kaufmann Oppenheimer handelt, die im Nazifilm JUD SÜß auf widerliche Art so verpackt sind, daß antisemitische Reaktionen folgen, ohne daß die sich so Äußernden überhaupt bemerken, wie sie manipuliert wurden. Das, was man heute fake news nennt.
Auch Bürgermeister Becker, der für die Stadt sprach, ging auf den guten Zusammenhalt von Jüdischer Gemeinde und Stadt Frankfurt ein, was ja tatsächlich eine gute Sache ist und was später der Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde, Marc Grünbaum, eine Erfolgsgeschichte nennen wird, gibt es doch die Kulturwochen seit über 30 Jahren, die in Frankfurt breit angenommen werden. Becker ging darauf ein, wie vielfältig jüdischen Leben in Frankfurt stattfinde und daß es hierzulande – anders als in anderen Städten – auch unter Akzeptanz der Bevölkerung als eigener Beitrag zum Stadtleben öffentlich und offensiv stattfinden könne. Zu den Filmen könne er nicht viel sagen, aber wisse, daß das Programm neugierig mache und Multiplikatoren erzeuge. Er wünscht sich eine größere Beteiligung jüngerer Menschen bei den Protesten gegen Rechts und Antisemitismus.
Marc Grünbaum zeigte sich bewegt ob der Ansprachen, aber auch des vollen Hauses im Kinosaal. Denn – sagen wir es offen – inzwischen ist das Filmmuseum fast zu klein für solche Eröffnungsveranstaltungen, denn oben im Foyer stand noch eine lange Schlange von Enthusiasten für die folgenden Filme, die keine Karte mehr bekamen. Grünbaum erläuterte noch einmal das Motto MEHR ALS FILM, das eben darauf verweise, daß einige Veranstaltungen nicht in Kinos stattfänden, sondern neue Formen der digitalen Leinwand zeigten, wie die Virtual Reality Produktion 360 Grad GESCHICHTEN AUS JERUSALEM, die im Ost-Stern, Hanauer Landstraße gezeigt werde, genauso wie die Serie ON THE SPECTRUM.
Quintessenz der Worte von Grünbaum waren, die Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens und jüdischer Kultur in Frankfurt herauszustellen, die als Bürger des Landes damit auch ausdrücken: „Wir sind keine Opfer mehr. Wir sind und bleiben Teil dieser Stadtgesellschaft und des Landes.
Der folgende Film THE CAKEMAKER war als Preview angekündigt, der ein Gespräch von Ulrich Sonnenschein, hr, mit dem Regisseur Ofir Raul Graizer folgte. Da dieser Film am übernächsten Donnerstag, 1. November, anläuft, wo Weltexpresso ihn besprechen wird, hier nur kurz zum Inhalt: Im Café Kredenz betört der junge Konditor Thomas (Tim Kalkhof) nicht nur mit Torten seine Gäste, sondern Oren (Zohar Shtrauss) aus Jerusalem auch leibhaftig. Allerdings ist dieser dort (glücklich) verheiratet und hat einen Sohn. Dann verunglückt er tödlich und Thomas macht sich auf die Suche nach ihm, fährt nach Jerusalem und heuert im Café von Orans Witwe Anat (Sarah Adler) an, wo er als Konditor reüssiert, das Café zum Naschzentrum macht und ....
Sehr interessant verlief das folgende Gespräch mit dem israelischen Regisseur, der aber seit rund 20 Jahren in Deutschland lebt, in Berlin, wo er leichter als Schwuler leben und arbeiten kann. Denn, nachdem er schon als 17jähriger dies in Israel öffentlich verkündet hatte, trug er Blessuren davon. Unter die Haut gingen seine Äußerungen über seine Ausbildung an der Filmhochschule, direkt in der Nähe am Gazastreifen, wo er soviel Leid, so viel Krieg mitbekommen hatte, daß er danach nicht einfach in Tel Aviv lustig hätte weiterleben können. „Es gibt eine Realität, die ich nicht ertragen kann.“ Nach Berlin zu gehen, war eine Option, die er nicht bereute.
Was er allerdings zur mangelnden Förderung seines Films sagte, der jetzt sogar von Israel zum Auslandsoscar in Los Angeles angemeldet wurde, ist zappenduster und wirft zudem ein schwarzbraunes Licht auf Deutschland. Erst nachdem dieser – übrigens wirklich gute Film – auf der ganzen Welt Verleiher gefunden hat, hat sich auch als allerletzter ein deutscher Verleih bequemt, ihn hier herauszubringen. Das ist ehrlich gesagt ein Skandal. Vor allem auch, weil Filme über Schwule ansonsten Konjunktur haben. Das lähmende Gebaren der Deutschen galt zuvor schon der Förderung dieses Films, weshalb Ofir Raul Grainzer sechs-acht Jahre für Konzeption und Fertigstellung brauchte.
Ulrich Sonnenschein ließ nicht locker, bis das alles zur Sprache kam, die geringen Mittel, die der Regisseur aufbringen konnte: 180 000 Euro (ein normaler Tatort kostet viermal so viel!). Er hatte nur Geld für 20 Drehtage (ein Tatortdreh dauert doppelt so lange)! Diese Bedingungen merkt man dem Film nicht an, der Ruhe ausstrahlt, was an Kamera und Schauspielern liegt – und an der Musik, an der sich die meisten berauschten. Sie besteht aus zwei Teilen, der Musik, die im Hintergrund der Cafés als Jukebox läuft und eigens durch einen Franzosen komponierte Klaviermusik für die intimeren und auch gefühlvollen Szenen. Gerade die gefielen Regisseur - „Der Komponist ist ein Engel!“ - und Publikum besonders gut, während ich sie gegen Ende des Films als zu aufdringlich wahrnahm. Aufdringlich in dem Sinn, daß die Musik mir anzeigte, jetzt geht‘s ums Gemüt. Lustig, daß die Klaviermusik für den nächsten Film durch den Komponisten schon steht, der Film aber noch nicht gedreht ist.
Auf die sinnlichen Genüsse im Film, das Backen und die Rezepte sind wir jetzt nicht eingegangen, man wünscht sich aber schon eine aktive Fortbildung in diesem Bereich, zumindest ein Probierprobieren der so köstlich aussehenden Torten (Schwarzwälder! Und Keksen). Vielleicht bei den Kulturwochen im nächsten Jahr?
Weiter ging es mit DIE FRAU DES ZOODIREKTORS, einer US-Produktion aus dem Jahr 2016, die trotz der Thematik:
Warschau im Jahr 1939, der Überfall der Deutschen auf Polen, die Bombardierung des Zoos und Verenden so vieler Tiere, des Widerstands, den der Zoodirektor mit seiner Frau daraufhin leistet und hunderte polnische Juden retten können,
und auch trotz der Besetzung mit Daniel Brühl als Nazi-Zoologe und Jessica Chastain als Frau des Zoodirektors,
vor zwei Jahren nicht in die deutschen Kinos kam, weshalb an diesem Abend der Film als deutsche Kinopremiere stattfand.
Nach dem Film, der die Menschlichkeitsverbrechen der Nazis auf die gefangene Tierwelt ausdehnt, und inhaltlich völlig zu Recht das gnadenlose Verbrechertum in deutschem Namen, weil durch Deutsche verursacht, offenlegt und brandmarkt, wurde uns deutlicher, warum vielleicht dieser thematisch doch so auf Deutschland gemünzte Film, hier nicht in die Kinos kam. Er verfilmt übrigens eine wahre Geschichte, die auch schon in einem Roman festgehalten ist. Die Geschichte ist unter die Haut gehend. Und so waren auch manche Besucher nach der Filmvorführung hin und weg. Mir dagegen war die Art der Präsentation zu amerikanisch, will sagen, die Personen einerseits zu idealisiert, andererseits doch eher nur Charaktermasken. Wenn ein so guter Schauspieler wie Daniel Brühl dadurch auffällt, daß er immer dieselbe Miene und dasselbe Gebaren zeigt, deutet dies auf eine gewisse Schmalspurrolle hin, die er ausfüllen muß.
Andererseits kann es gar nicht genug Filme geben, die auch den nächsten Generationen zeigen, was in einem kultivierten Mitteleuropa im Zwanzigsten Jahrhundert zwischen 1933 und 1945 los war, welche Verbrechen in deutschem Namen geschahen, was ja, wie wir längst wissen, auch schon vor 1933 virulent wurde und im Nachnazitum der jungen Bundesrepublik erst einmal unter der Decke, ach was, oft ganz offensichtlich, weiterging. Als wir uns so unsere Gedanken über diesen Aspekt machten, fiel uns ein, daß die Nachkriegszeit und sich wieder entwickelndes Judentum auch ein tolles Thema für kommende Jüdische Filmtage wären. Sofort fallen uns verschiedene Filme ein. Zuvörderst FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN von Ilona Ziok, PHÖNIX von Christian Petzold...Ach was, da müssen wir sofort aufhören, denn es gibt noch mehr.
Wir sind jetzt aber erst einmal gespannt auf die kommenden JÜDISCHEN FILMTAGE, die so erfolgreich begonnen haben.
FORTSETZUNG FOLGT
Fotos:
jeweiliger Verleih
Info:
www.juedische-filmtage.com
www.jg-ffm.de