Rolf Lackluster
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Fast auf den Tag genau vor 95 Jahren, am 29. Oktober 1923 in Berlin uraufgeführt, bietet dieser zeitlose Film ein fulminantes Finale von bewegenden Jüdischen Filmtagen im Ignatz Bubis-Gemeindezentrum im Frankfurter Westend. Um es vorwegzunehmen: Es handelt sich um einen zweistündigen Stummfilm mit musikalischer Untermalung. Ein Genre, das in Zeiten von Instant Messaging, möglicherweise weniger attraktiv erscheint. Das Gegenteil ist jedoch der Fall.
In den Begrüßungen und Danksagungen von Herrn Marc Grünbaum, Vorstand Jüdische Gemeinde, und Frau Ina Hartwig, Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt, kommt der Erfolg der Jüdischen Filmtage deutlich zur Sprache: Über 2 500 Besucher_innen machten dieses Format zum erfolgreichsten jüdischen Filmfest in Deutschland. Zwei Wochen lang zeigten Filmemacher ein breites Spektrum jüdischer Ansichten, die schnörkellos, offen und voller Vielfalt thematisiert werden. Ein Grundtenor, ein Wunsch nach innerer Heimat, oft im Narrativ.
Der gezeigte Film „Das Alte Gesetz“ ist unzensiert und anders als historische Fassungen: „Baruch, der Protagonist, schneidet sich seine Schläfenlocken erst viel später und aus freiem Willen ab“, erfahren wir durch die Rede der Kulturdezernentin. Da das Original des Stummfilms verschollen ist, wurden die Filmszenen nach verschiedenen Exportfassungen restauriert. Finanziell haben die anwesende Frau Cynthia Walk und die Sunrise Foundation dies ermöglicht.
Der Dirigent des Jewish Chamber Orchestra Munich, Daniel Grossmann, sprach ebenfalls kurze einleitende Worte und strahlte die Bescheidenheit eines jungen Mannes aus, der mit seinem Ensemble für diesen Film im letzten Jahr europaweit tourte. Die eigens für die restaurierte ARTE/ZDF Produktion komponierte Musik von Philippe Schoeller „erlaubt Pausen, und sei gewöhnungsbedürftig, passe jedoch perfekt in die über zweistündige Vorführung“, fasste er zusammen. „Es wird keinen Moment langweilig werden“, ein scheinbar großes Versprechen an ein Publikum, das sich höchstens an Schwarz-Weiß-Filme erinnern wird.
Vom ersten zarten Klang der Glocke, dem ersten von sieben Akten, bis zur Schlussszene folgen wir Baruch (Ernst Deutsch), auf dem zeitlosen Weg seinen persönlichen Traum zu verwirklichen: Er will Schauspieler werden. Sein Vater, der orthodoxe Rabbiner Mayer (Avrom Morewski) in Galizien, dem äußeren Zipfel des riesigen österreich-ungarischen Kaiserreichs, versucht dies mit aller Macht zu verhindern. Als er damit scheitert, sagt er sich los und erklärt „mein Sohn ist gestorben.“ Dieser schafft es jedoch auf dem Zug mit kleinen Ensembles, das über die Dörfer zieht, der Hauptstadt Wien immer näher zu kommen, erst die österreichische Erzherzogin Elisabeth Theresia (hinreißend: Henry Porten) zu verzaubern und später den Direktor des Burgtheaters in Wien, Heinrich Laube (Herrmann Vallentin) durch sein ausgesprochenes Talent zu überzeugen. Jahrelang bleibt Baruch ein gefeierter Burgtheater Star. Der Bruch mit seinem Vater nagt hingegen an seiner Lebensfreude. Erst als sein Vater die Premiere seiner Aufführung von „Don Carlos“ besucht, erkennt dieser in der Begabung seines Jungen die unendliche Gnade Gottes und verzeiht seinem Sohn in einer berührenden Schlussszene.
Lang andauernde stehende Ovationen des Publikums für einen Film, der mit langen Sequenzen, starkem schauspielerischen Ausdruck und einem ruhigen Erzählfluss die Herzen eroberte. Herr Grossmann hat kein zu großes Versprechen abgegeben.
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Ernst Deutsch
© absolutmedien.de
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