f So viel Zeit janj 30.72dpiSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. November 2018, Teil 8

Hannah Wölfel

Berlin (Weltexpresso) - Der 54-jährige, in Dresden geborene Schauspieler gibt nicht nur seit 2002 den arroganten Gerichtsmediziner Boerne im beliebtesten deutschen „Tatort“ aus Münster. Liefers hat auch viel am Theater gearbeitet und in erfolgreichen Filmen - von „Knockin’ on Heaven’s Door“ über „Der Turm“ bis zu „Das Pubertier“ - mitgewirkt. Seit 2006 geht er mit seiner soft-rockigen Band „Radio Doria“ regelmäßig auf Tournee.

Das Gespräch im Berliner Hotel macht deutlich, dass ihn soziale und politische Themen stark interessieren, auf die er immer wieder zu sprechen kommt. Seinen neuen Film hat er am Vorabend mit anderen Mitwirkenden in Köln vorgestellt. Bisher hatte er nur den Rohschnitt auf dem Smartphone gesehen, jetzt ist Liefers vom fertigen Werk sehr angetan und sagt:

„Gemessen an den Filmen, die heute groß im Kino laufen, fällt dieser fast aus der Zeit. Er erzählt eine Geschichte, die in den 1980er-Jahren begann und heute ihren Kreis schließt. Es war mutig und richtig von Regisseur Philipp Kadelbach, auf krasse ‚Schnitt-Gewitter’ und sonstige aktuell angesagte Effekthaschereien zu verzichten. Durch diesen unspektakulären, dafür sehr emotionalen Blick auf die Figuren entwickelt der Film seine große Kraft.


Er hätte ihn auch aufpeppen können?

Na klar, aber er hat dem widerstanden. Es ging ihm um die Geschichte, um die Menschen. Ich habe lange nicht erlebt, dass Leute im Kino sogar weinen - wie gestern Abend bei der Premiere, weil da im Film diese fünf Typen ihre Gefühle zeigen. Die großen Emotionen im Kino haben ja sonst eher die Frauenfiguren gepachtet.


Was macht ihn so faszinierend?

Zunächst geht es um die Kraft der Musik, sie ist das Zentrum des Films. Dann geht es um die Kraft der Freundschaft. Und quasi als Unterströmung stellt sich die Frage, was machen wir eigentlich mit unserer Lebenszeit? Kümmern wir uns um die Dinge, die uns interessieren, die wirklich wichtig sind? Jetzt bei der Filmarbeit mit Jürgen Vogel, Armin Rhode, Richie Müller, Matthias Bundschuh und den anderen, hatten wir jedenfalls viel Spaß, das war Lebenszeit, die sich gelohnt hat.


Also keine Zeitverschwendung?

Zeitverschwendung ist ja auch mal wichtig, man kann nicht jede Sekunde seines Lebens behandeln wie ein Geldstück. Es liegt ja auch eine kreative Kraft im Verschwenderischen! Manchmal hat man einen tollen Abend, trinkt zu viel und schläft danach zu wenig - morgens wacht man mit einem Kater auf und fühlt dennoch, es war ein schöner Abend, der glücklich macht. Oder einen auf eine Idee gebracht hat. Lebenszeit kann man nicht nur mit reinem Effizienzdenken bewerten. Es gibt Zeit, die man sinnvoll verbringen muss, aber es gibt auch Zeit, die man vergeuden darf. Es kommt mal wieder auf die Balance an.


Was bedeutet Musikmachen für Sie im Vergleich zum Schauspielern?

Als Schauspieler leihe ich jemandem meinen Körper, der nicht ich bin. Einer Rolle eben. Mit dem, was ich so zu bieten habe, versuche ich, ihm Leben einzuhauchen. Am Ende steht da eben in diesem Film so einer wie Rainer aus „ So viel Zeit". Ich spiele sein Leben durch, habe seine Probleme und sage seine Sätze. Schauspieler tun so, (macht mit Fingern Anführungsstriche) „als ob“ es wirklich wahr wäre. Wir machen das mit ganzem Herzen und geben das Beste. So etwas funktioniert nicht beim Musikmachen. Das geht nur, wenn man sich nicht verstellt, sondern man selbst ist. Man hat keine Möglichkeit, etwas zu faken, denn das kriegen die Leute mit. Fremddarstellung versus Selbstdarstellung.


...War erst die Musik...

JA! Ich wollte Gitarrist werden, mit neun Jahren bekam ich eine Gitarre und wollte immer in einer Band spielen. Aber das war in der DDR für mich nicht möglich. Die Wege, die es gegeben hätte, über die FDJ Singebewegung zum Beispiel, die wollte ich nicht gehen. Mit 14, 15 wusste ich, dass ich eine Insel, eine Nische brauche, die wurde dann das Theater.


Der Film beschäftigt sich ja auch mit der Endlichkeit. Sie sagen, „Ich sterbe auch zum ersten Mal“ oder Jürgen Vogel sagt...

„Versuch mal, nicht zu sterben“, ja, das sagt er zu mir oben auf der Halde, in luftiger Himmelsnähe.


Das ist komisch, aber hat Sie das Thema selber berührt...

Wen berührt der Tod nicht? Aber mein eigener Tod ängstigt mich nicht so, eher habe ich Angst, dass denen was passiert, die ich liebe. Abstrakt gedacht hat der Tod durchaus auch etwas Belebendes. Es gibt viele Arten, mit dem Thema umzugehen. Und meine ersten Hamster, die wir alle vorm Haus beerdigt haben - das war traurig und gleichzeitig faszinierend.

Für unsere Krimikomödien beim Münster Tatort, in denen ich den Forensiker spiele, habe ich viel Zeit in pathologischen und gerichtsmedizinischen Instituten verbracht. Da bekommt man den Tod in all seinen Formen ja ganz krass um die Ohren gehauen. Ich finde es sinnlos, dass wir im alltäglichen Leben alles ausblenden müssen, was uns daran erinnert, dass jeder nur so viel Zeit hat, wie er eben hat. Der Anblick von Krankheit, Siechtum oder Tod wird uns möglichst erspart, damit wir immer weiter funktionieren und konsumieren, als gäbe es kein Ende. Das ist in anderen Kulturen anders und das war ja hier bei uns auch schon mal anders. Aber hey: „Wenn wir schon sterben, müssen wir eben leben, solange wir nicht tot sind.“ sagt Laura Tonke im Film zu uns. Recht hat sie!

Foto:
© Verleih

Info:
„So viel Zeit“ D 2018, 100 Minuten, Filmstart 22. November 2018
Regie Philipp Kadelbach

DIE BESETZUNG

Rainer        Jan Josef Liefers
Ole             Jürgen Vogel
Konni          Matthias Bundschuh
Thomas      Richy Müller
Bulle           Armin Rohde
Oehlke        André M. Hennicke
Corinne       Alwara Höfels
Steffi           Laura Tonke
Brigitte       Jeannette Hain
Scorpions   Scorpions