f So viel Zeit Szenenbilder 25.72dpiSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. November 2018, Teil 10

N.N.

Berlin (Weltexpresso) - Ende Februar war es dann schließlich soweit: Die Dreharbeiten konnten beginnen – nachdem das Team eine intensive Motivsuche hinter sich gebracht hatte. Philipp Kadelbach erinnert sich an seine Vorbereitung auf den Dreh: „Wir sind im Vorfeld mit einer kleinen Gruppe durchs Ruhrgebiet gefahren – ich, Produzent, Ausstattung und Szenenbild. Wir haben uns ganz viele Orte in Essen, Bochum und Umgebung angeschaut. Das war im Herbst – dieselbe graue Jahreszeit wie die, die letztendlich im Film zu sehen ist.“

Bis auf wenige Szenen, die in Köln und Berlin gedreht wurden, finden sich alle wichtigen Schauplätze – von der Konzerthalle über Corinnes Hausboot bis hin zu dem Friedhof, wo Bulle das Grab seiner Frau besucht – in Bochum und Umgebung. Eine ähnlich intensive Vorbereitung fand auch mit den Schauspielern statt. Kadelbach besprach mit Jan Josef Liefers seine Vorstellung von der Figur Rainer, deren Geschichte im Mittelpunkt der Story von SO VIEL ZEIT steht. Hermann Florin sagt: „Was Jan Josef Liefers und Philipp Kadelbach daraus gemacht haben, gefällt mir sehr gut: Es ist eben keine Figur, die permanent leidet – man vergisst zwischendurch fast, wie schwer das ist, was dem armen Kerl zustößt.“

Es ging Kadelbach auch darum, die unterschiedlichen – und teils auch widersprüchlichen – Motive, die Rainer antreiben, herauszuarbeiten, um letzten Endes zu einer Figur zu kommen, in die das Publikum sein Mitgefühl investiert. „Dass Rainer noch einmal ein Konzert mit seiner alten Band spielen will, ist ja eigentlich ein wahnsinnig egoistischer Antrieb“, erläutert der Regisseur: „Emotional aufgeladen wird die Figur für das Publikum ja erst dadurch, dass er versucht, die Beziehung zu seinem Sohn zu retten, und alles nur noch schlimmer macht.“

Auch bei der Vorbereitung auf die anderen Figuren ging Kadelbach mit seinen Darstellern ins Detail, etwa bei der von Jürgen Vogel gespielten Figur Ole, dem einstigen Gitarristen der Band, der nach dem Auseinanderbrechen Bochum verlassen und jeden Kontakt abgebrochen hat. Oles Styling entsprang einer längeren Diskussion zwischen Darsteller und Regisseur: „Jürgen und ich haben uns zusammengesetzt“, erzählt Kadelbach, „und überlegt, was Ole antreibt. Er ist in der Kunstszene angekommen, aber in ihm schlummert ja noch der Rocker – das beides wollten wir unter einen Hut kriegen.“

Ob in der Vorbereitung oder beim Dreh, Hermann Florin beschreibt Philipp Kadelbachs Arbeitsweise so: „Er ist ein unheimlich genauer, fast schon besessener Regisseur. Ihm ist Drehen alles, er versinkt darin, und dabei ist er komplett unprätentiös.“ Gute Voraussetzungen, eine so prominente Darstellerriege zu lenken.: Liefers. Vogel. Bundschuh. Müller. Rohde. Falls jemals die Sorge bestanden haben sollte, dass bei einem so starken Ensemble der eine den anderen in den Szenen verdrängen könnte, waren die vom ersten Drehtag an für Kadelbach vergessen. „Es war extrem unproblematisch“, erzählt er: „Es sind gute Jungs und allesamt hochgradig professionell.“ So genoss Kadelbach die Dreherfahrung mit diesen erfahrenen Darstellern ganz besonders: „Die Arbeit zwischen Regie und Schauspielern ist das, was mir am meisten Spaß macht“, sagt er: „die Freiheit in der Inszenierung und am Spiel zu spüren.“ Ein Höhepunkt war für Kadelbach das Konzert von „Bochums Steine“ im Rockpalast – genauer gesagt, waren es zwei Konzerte, die nacheinander gedreht wurden. Denn gezeigt werden im Film sowohl das Konzert der Band in den 80ern als auch ihr Comeback 30 Jahre später. „Wir hatten 500 Komparsen am Set“, erzählt Kadelbach: „Es war sensationell, wie die da die ganzen Tage mitgefeiert haben. Ich bin immer noch sehr beeindruckt, was für eine Partystimmung das war.“


Für uns muss es laut sein: die Musik

Die Filmemacher hatten auch schon sehr früh die Frage zu beantworten: Was für Musik sollen „Bochums Steine“ denn nun eigentlich spielen? Benjamin Benedict sagt: „Im Buch covern sie Rocksongs der 70er Jahre. Wir fanden aber die Vorstellung interessanter, dass sie damals eigene Songs gespielt haben. Wir haben und angeschaut, was es in den frühen 80er Jahre so gegeben hat und haben ihnen schließlich eine etwas rauere Art von Rock verpasst: laut, aber melodisch, nicht so extrem wie Punkrock und auch kein Heavy Metal.“ Auch Philipp Kadelbach war stark in die Erfindung der Backstory von „Bochums Steinen“ eingebunden. Bei einem Treffen in Berlin mit Arrangeur Mirko Schaffer standen am Ende die drei Songs als Ergebnis, die „Bochums Steine“ im Film performen: „3 Affen“, „Scheiß auf Morgen“ und „Zu laut“. „Wir haben zwei volle Tage mit den Schauspielern geprobt“, erzählt Kadelbach: „die Songs nicht nur zu spielen, sondern auch, sie falsch zu spielen – was sich als gar nicht so einfach herausstellte.“ „Das passte aber auch hervorragend zu ihrem Musikstil“, ergänzt Benjamin Benedict: „Wir brauchten den Jungs ja gar keine Super-Virtuosität zu unterstellen.“


Stellt euch nicht taub, gebt uns nicht auf: ein Film mit Wärme und Herz

SO VIEL ZEIT – so sehen es die Filmemacher – ist eine Produktion von einer Art, die selten geworden ist im heutigen Kino. Philipp Kadelbach sagt: „Es ist der seltene Fall einer Komödie, die nicht nur auf das schneller, höher, weiter setzt.“ Für ihn war von Anfang an klar, dass alle technischen Entscheidungen immer von der Frage abhingen, ob sie der Geschichte nützen – und das Herzstück der Geschichte von SO VIEL ZEIT sind eindeutig die Figuren. Kadelbach: „Ich habe versucht, mich komplett auf die Menschen zu konzentrieren, um einen Film zu drehen, der so ein bisschen aus der Zeit gefallen ist.“

Was vielleicht auch an dem Tonfall liegt: SO VIEL ZEIT ist eine gutmütige Komödie, die ihre Figuren niemals in die Pfanne haut, sondern ihnen ihr Mitgefühl schenkt – „ein Film, der durch und durch warm ist“, wie Kadelbach es formuliert. Und es ist ein Film, dessen Herz mit den Verlierern schlägt, wie Benedict sagt: „Es heißt ja immer, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, und das gilt natürlich auch für die Musikgeschichte. Es ist ja schon fast eine philosophische Frage, was gewesen wäre, wenn statt der Scorpions Bochums Steine berühmt geworden wären...“

Foto:
© Verleih

Info:
„So viel Zeit“ D 2018, 100 Minuten, Filmstart 22. November 2018
Regie Philipp Kadelbach

DIE BESETZUNG

Rainer        Jan Josef Liefers
Ole             Jürgen Vogel
Konni          Matthias Bundschuh
Thomas      Richy Müller
Bulle           Armin Rohde
Oehlke        André M. Hennicke
Corinne       Alwara Höfels
Steffi           Laura Tonke
Brigitte       Jeannette Hain
Scorpions   Scorpions