Wie der FILM "3096 TAGE" zustandekam, der am Donnerstag anläuft

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Warum die Person Natascha Kampusch Geister scheidet, werden wir konkret nie verstehen. Nach ihren Buch 3096 TAGE von 2010 haben wir eine von Respekt durchzogene Rezension veröffentlicht, die wir angesichts des am Donnerstag anlaufenden Filmes noch einmal abdruckten, weil der Film nicht nur dem Buch folgt, sondern auch dessen schnörkellose Erzählen unter Verzicht auf jegliche Wehleidigkeit, die man so gut verstehen könnte, fortsetzt.

 

Der Begriff RESPEKT greift dabei zu kurz, denn mit dem Mitgefühl ist eine ungeheure Bewunderung gepaart, wie ein so kleiner Mensch von zehn Jahren eine solche psychische Tour de Force mit ihrem Entführer gestaltet, besser: eine mit sich selbst, um dieser unmenschlichen Situation von sich aus Struktur zu geben und sich sozusagen an sich selber festzuhalten und diese Konstellation mit dem Entführer dann genau diese 3096 Tage durchhalten kann. Am 23. August 2006 gelingt ihr, die am 2. März 1998 entführt wurde, die Flucht und ihr Entführer und Gefängniswärter nimmt sich das Leben.

 

Ja, wir wissen, daß jegliche psychologische Untersuchung derjenigen, die sich gegen Natascha Kampusch sogar auch noch empören, ergibt, daß sie dem Opfer übel nehmen, daß diese die Opferrolle nicht unter Tränen weiterspielt und den Täter verteufelt, sondern daß sie die Ambivalenz, die sie acht Jahre leben mußte, um zu überleben, aufrechterhält, keine anderslautenden öffentlichen Ratschläge annehmen will, sondern darauf beharrt, daß sie es war, die sich ihre eigene Befreiung so hart erarbeitet hat, wie das Leben danach. Selbstbestimmung aber ist etwas, was schon unter optimalen Bedingungen nur die wenigsten hinbekommen. Wie verwirrend und fast skandalös, daß es ausgerechnet diesem versklavten und fast verhungernden Mädchen gelang, sich seine Würde weder durch Gewalt, noch durch schamlose Öffentlichkeit nehmen zu lassen.

 

Ein Bild auf die familiäre Situation wirft auch der neueste Skandal, der erneut aufzeigt, aus welchem Familienelend die Tochter Natascha kommt. Der mit ihrer Mutter nicht verheiratete Vater hatte sich nach ihrer Selbstbefreiung groß in der Öffentlichkeit als Vater präsentiert. Sie aber wurde aus psychologischen Gründen sowohl der Mutter wie auch dem Vater erst einmal entzogen, nahm dann den Kontakt zur Mutter auf – der ja auch vorgeworfen wurde, sie sei an der Entführung beteiligt -, wollte aber mit dem Vater wenig zu tun haben.

 

Der rächt sich wohl derzeit an seiner Tochter. Denn zur rechten Zeit – also zu der Zeit, wo er Informationen über seine Tochter gewinnbringend verkaufen kann – wird direkt am Tag vor dem Anlaufen des Films bekannt, daß der Vater in einem in England am Dienstag erscheinenden Buch über Vermißte ausführt, eine Entführung habe es so wenig gegeben wie den Aufenthalt der Natascha im Keller. Das habe sie alles erfunden. Man will über soviel Gemeinheit und Unappetitlichkeit, wie sich einer auf Kosten seiner Tochter wichtig tut, kein Wort mehr verlieren. Natascha Kampusch reagierte auf diese neuerliche Unterstellung, nun aus dem engsten Familienkreis, nur insoweit, daß sie das alles sehr traurig mache und sie Abstand brauche. Das ist die jüngste Gegenwart.

 

Zurück zur Vergangenheit. Produzent Martin Moszkowicz von der Constantin Film war schon früh nach Wien geflogen: „Mich reizte von Anfang an die Einmaligkeit der Geschichte“, sagt er dazu: „Da baut ein Mann ein Verlies und entführt ein Mädchen weil er sich seine eigene Frau schaffen will. Er spielt sozusagen Gott.“ Damals aber lehnte Natascha Kampusch eine Interpretation durch andere noch ab. Doch nachdem sie auch positive Erfahrungen mit ausgewählten Interviews gemacht hatte, änderte sich ihre Einstellung: „Ich freundete mich mit dem Gedanken an, daß sich ein Regisseur intensiv mit meiner Geschichte befaßt und sie anderen Menschen nahebringt.“

 

Bernd Eichinger hatte sich nach Kampuschs Buch mit ihr getroffen und sich zusammen mit Constantin Film auf eine Verfilmung ihrer Geschichte analog dem Buch geeignet. Motivation war für beide, daß der Film die Wahrheit erzählen sollte, nachdem in den Medien alle möglichen Spekulationen verbreitet wurden. Bernd Eichinger wollte das Drehbuch selbst schreiben und traf sich mit Natascha Kampusch zu vielen persönlichen Gesprächen. Sie sagt dazu: „Ich war sehr glücklich, daß er sich meiner Geschichte annehmen wollte. Immerhin war der erste Film, den ich in Freiheit im Kino gesehen habe, die Bernd-Eichinger-Produktion DAS PARFUM.“ Und zum Verlauf der Gespräche setzte Natascha Kampusch fort: „Ich hatte einen sehr sachlichen Produzenten erwartet und war nun überrascht, wie sensibel er die Fragen stellte. In dieser warmen Atmosphäre konnte ich mich gut öffnen.“

 

Nachdem er noch nicht ganz 50 Seiten Drehbuch verfaßt hatte, starb Bernd Eichinger am 24. Januar 2011 mit 61 Jahren an einem Herzinfarkt. Das unterbrach die Weiterarbeit für Monate. Aber Martin Moszkowicz wollte Eichingers Kampusch-Projekt gerade zu seinem Gedenken voranbringe. Unter Einbezug von Natascha Kampusch und ihrem Buch, auch dem Buch VERZWEIFELTE JAHRE von ihrer Mutter, .dem bisherigen Eichinger-Drehbuch sowie Polizeiberichten wurde die Autorin Ruth Toma für die Drehbucharbeit gewonnen, die nun das Drehbuch verfaßte, das von Sherry Hormann (WÜSTENBLUME) verfilmt wurde.

 

Parallel nämlich hatte Martin Moszkowicz seine Bemühungen verstärkt, Sherry Hormann für die Regie zu gewinnen. Denn schon Bernd Eichinger hatte sie ausgeguckt. Dem aber hatte sie nach drei Gesprächen eine Absage erteilt: „Ich will nicht in diesen Abgrund steigen.“ Nach seinem Tod war eine neue Situation entstanden und als sie seine Notizen las, war sie „fasziniert von dem Ansatz, die Geschichte als Zwei-Personen-Stück zu erzählen. Bernd Eichinger hatte...das Schicksal und Verhältnis zweier Menschen“ im Kopf. Sie sagte auch deshalb zu, weil ihr die Aussage des eigentlichen Opfers „Ich bin kein Opfer“ einging. „Ich denke, das hat in der Gesellschaft sehr provoziert. Diesem Ansatz wollte ich nachgehen. Für mich grenzt es an ein Wunder, daß sie überlebt hat. Ich finde es beeindruckend, wie ein Kind in einem fensterlosen Raum so viel innere Kraft aufbringen kann, daß es diese Umstände erträgt.“

 

Wie schwierig aber allein die Besetzung der Rollen - hier der beiden Hauptdarsteller oder besser der drei Hauptdarsteller, denn es gibt die zehnjährige Natascha wie die achtzehnjährige und den Täter -

sich gestaltete, wird in der Besprechung des Films ausgeführt.