f 6 LAS HEREDERASSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. November 2018, Teil 4

Kirsten Liese

Berlin (Weltexpresso) - Die eine ist aktiv, aufgekratzt und robust, die andere lethargisch, depressiv und müde: Chela und Chiquita, zwei Frauen Ende 50, leben schon seit langem als lesbisches Paar zusammen, in einer Villa in Paraguays Hauptstadt Asunción, die sie geerbt haben.


Ihre guten Zeiten sind allerdings vorbei. Weil sich Schulden angehäuft haben, verkaufen die Seniorinnen nach und nach Chelas familiäres Erbe, Bergkristallgläser, Besteck, den Esstisch aus dunklem Holz und das verstimmte Klavier. Trotzdem muss die Partnerin wegen verschlampter Rechnungen ins Gefängnis.

Ein Drama im Stil italienischer Neorealisten könnte hier beginnen, aber Marcelo Martinessi entscheidet sich für das sensible Psychogramm einer Frau, die ihre Koordinaten neu ausrichtet, mithin für die ungewöhnliche Episode in einem lateinamerikanischen Land, in dem Männer die Verhältnisse dominieren, die in diesem preisgekrönten Film aber nur als Randfiguren in Erscheinung treten.

Unverhofft findet sich die schwermütige Chela in der Rolle einer Bediensteten wider, als eine alte Nachbarin sie darum bittet, sie zum wöchentlichen Kartenspiel zu fahren. Bald lernt sie weitere Seniorinnen kennen, die sie gegen Bezahlung als Chauffeurin beanspruchen wollen. Zunächst nur aus Hilfsbereitschaft, aber zunehmend interessierter widmet sich die gefragte Fahrerin ihrer neuen Aufgabe, entdeckt darüber ein Leben, von dem sie abgeschottet war und blüht auf, als mit Angy eine jüngere Kundin zu einer Freundin avanciert, die Sehnsüchte weckt. Sehr subtil spiegeln sich in den schüchternen Blicken und zaghaften Gesten der großartigen Ana Brun zarte Anflüge von Begehren. Dies aber durchaus im Bewusstsein, dass sich nicht alle Versäumnisse in ihrem Alter so einfach nachholen lassen.

Mehr indirekt gewährt die unaufgeregte, stille Erzählung Erkenntnisse über ein Land mit bislang nur schwachen Konturen auf der Weltkarte des Kinos. Die bürgerliche paraguayische Gesellschaft kann sich offenbar derzeit noch nicht verändern-, versteckt sich vielmehr nur im Schatten ihrer finsteren Vergangenheit. Ein berührendes Porträt einer schon älteren Frau, die gezwungen ist, ihr zurückgezogenes Leben aufzugeben.


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© Verleih

Info:
Paraguay/Uruguay/Deutschland/Brasilien/Norwegen/Frankreich 2018, 95 Min., deutsche Fassung und span. OmU-Fassung;
Regie, Drehbuch: Marcelo Martinessi, Kamera: Luis Armando Arteaga, Schnitt: Fernando Epstein, Sound Design: Fernando Henna, Ton: Rafael Alvarez, Production Design: Carlo Spatuzza, Kostüm: Tania Simbrón, Maske: Luciana Diaz, Virginia Silva, Regieassistenz: Flavia Vilela, Production Manager: Sebastián Peña Escobar, Produzenten: Sebastián Peña Escobar, Marcelo Martinessi, Ausführender Produzent, Sebastián Peña Escobar; Co-Produzenten: Agustina Chiarino Voulminot, Fernando Epstein, Christoph Friedel, Claudia Steffen, Julia Murat, Hilde Berg, Marina Perales, Xavier Rocher; Co-Produktion: Mutante Cine, Pandora Film Produktion, Esquina Filmes, Norsk Filmproduksjon, La Fábrica Nocturna;
mit: Ana Brun, Margarita Irún, Ana Ivanova, Nilda Gonzalez u. a.