f 4LAS HEREDERASSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 29. November 2018, Teil 6

N.N.

Asuncion (Weltexpresso) - In Ihren vorherigen Filmen haben Sie einige wenig bekannte historische Ereignisse in ihrem Heimatland Paraguay behandelt. Wie sind Sie auf die Geschichte mit Chiquita und Chela gekommen? Steht die Geschichten der Beiden in Verbindung mit einem bestimmten Aspekt der Geschichte Paraguays?

Es ist unmöglich, über das paraguayanische Kino zu sprechen, ohne sich die „Jahre der Finsternis“ bewusst zu machen, einige Jahrzehnte, in denen es unmöglich war, Filme zu machen. In den 1960er und 1970er Jahren, während der Rest Lateinamerikas seine eigenen Geschichten auf der Leinwand erzählte, blieb mein Land unsichtbar. Darum ist der Aufbau einer eigenen Cinematographie eine der Schlüsselaufgaben für meine Generation. Als ich die Geschichte von Chiquita und Chela schrieb, erkannte ich, dass ich versuchte, in einen Dialog zu treten mit dieser Epoche der Dunkelheit und mit einer Gesellschaft, die sich nicht verändern möchte, einer Gesellschaft, die sich verstecken möchte, sich an ihrem eigenen Schatten festklammern möchte.

f 2 LAS HEREDERASDer letzte Staatsstreich im Jahr 2012 machte deutlich, dass es immer einen Flirt des kleinbürgerlichen Teils unserer Gesellschaft mit autoritären Regimen gab. Und ich spreche nicht nur von den starken Charakteren, die mit Stiefeln und Gewehren die Zeit bis in die 1980er hinein prägten. Die neuen „demokratischen“ Führer, die sich heute die Gewinne aus Drogenschmuggel und Korruption untereinander aufteilen, brauchen auch Komplizen in unserer Gesellschaft, um die selben Ängste und das selbe Schweigen aufbauen zu können. Ich persönlich bin an dem Alltagsleben außerhalb dieser Sphären der Macht interessiert, auch innerhalb der herrschenden Klasse. Es war unwichtig, DIE ERBINNEN an einem explizit benannten Zeitpunkt in unserer politischen Geschichte zu platzieren, denn das Gefühl in einem riesigen Gefängnis zu leben bleibt unverändert. Und in erster Linie ist DIE ERBINNEN ein Film über Gefangenschaft. 


Können Sie uns mehr erzählen über das gesellschaftliche Setting des Films, die bürgerlichen Familien, aus denen beide Frauen stammen?

Das Schlimmste an einem Regime, das gleichzeitig beschützt und unterdrückt, ist die Erschaffung von Individuen für die es unmöglich ist, seiner Logik zu entkommen. Paraguay ist weltweit eines der Länder mit der größten Ungleichheit und diese Frauen gehören zu dieser beschützten/privilegierten Elite, die sich über das Dach über ihrem Kopf und das Essen auf ihrem Teller keine Sorgen machen müssen. Aber die Geschichte nimmt Fahrt auf, als sie ihre Sicherheiten verlieren und keinen Weg finden, sich der neuen Realität anzupassen. Die Hauptfigur braucht weiterhin ihr teures Auto, ihre Dienerin, ihren kleinen Luxus. Und selbst, wenn das Auto alt und die Dienerin unerfahren ist, tut sie alles, um diesen Komfort zu bewahren. Deshalb verändert sie der alltägliche Vorgang, einen Job zu haben und Geld zu verdienen, so einschneidend. Plötzlich taucht ein Begehren auf, wie eine neue Landschaft, fast unbekannt, aber voller Möglichkeiten.


Was war Ihre Inspiration für den Film und hatten Sie künstlerische Einflüsse, die Ihr Filmemachen beeinflusst haben?

Ich wuchs in einer Welt auf, die von Frauen geprägt war: Mutter, Schwestern, Großmütter, Tanten, Nachbarinnen. Ich wollte mit meinem ersten Spielfilm in dieses weibliche Universum eintauchen, das mich noch mehr interessiert, seitdem ich begann, die Filme von Rainer Maria Fassbinder zu sehen.

Was den Versuch angeht, die paraguayanische Gesellschaft zu portraitieren, war der Schriftsteller Gabriel Casaccia vielleicht mein stärkster Einfluss. Sein erster Roman erschien in den 1950er Jahren, als unsere Literatur nur über Helden schrieb. Er hingegen nahm den paraguayanischen Figuren das Prätentiöse und gaben ihnen im Gegenzug Menschlichkeit.

Etwas Ähnliches passiert gerade mit paraguayanischen Frauen, durch die Konstruktion von Bildern, die sie zu Heldinnen während des Krieges machen, stark und unnachgiebig. Es ist sehr gefährlich, wenn das ihr einziger Platz in der Geschichte ist. Es ist eine Falle durch die versucht wird, ihre Rolle in der heutigen Gesellschaft zu formen. Ehrlich gesagt denke ich, dass viele Frauen solch eine Bürde nicht tragen möchten und nicht tragen sollten. Sie verdienen die Möglichkeit – wie sie selbstverständlich den Männern zugestanden wird – auch einmal unverantwortlich zu handeln.

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Info:
Paraguay/Uruguay/Deutschland/Brasilien/Norwegen/Frankreich 2018, 95 Min., deutsche Fassung und span. OmU-Fassung;
Regie, Drehbuch: Marcelo Martinessi, Kamera: Luis Armando Arteaga, Schnitt: Fernando Epstein, Sound Design: Fernando Henna, Ton: Rafael Alvarez, Production Design: Carlo Spatuzza, Kostüm: Tania Simbrón, Maske: Luciana Diaz, Virginia Silva, Regieassistenz: Flavia Vilela, Production Manager: Sebastián Peña Escobar, Produzenten: Sebastián Peña Escobar, Marcelo Martinessi, Ausführender Produzent, Sebastián Peña Escobar; Co-Produzenten: Agustina Chiarino Voulminot, Fernando Epstein, Christoph Friedel, Claudia Steffen, Julia Murat, Hilde Berg, Marina Perales, Xavier Rocher; Co-Produktion: Mutante Cine, Pandora Film Produktion, Esquina Filmes, Norsk Filmproduksjon, La Fábrica Nocturna;
mit: Ana Brun, Margarita Irún, Ana Ivanova, Nilda Gonzalez u. a.