Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dies ist der vierte Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi, den er heimlich gedreht hat und den er so listig, wie er ihn drehte, über die Grenzen schmuggeln ließ und der, wie die anderen Filme bei internationalen Filmfestivals umgehend einen Preis erhielt. Der mutige und sehr humorvolle Jafar Panahi wurde 2010 zu sechs Jahren Haft und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt, die Haft mußte er nicht antreten, das Dreh- und Interviewverbot gilt. Was kann man Besseres aus einer solchen Situation machen, als in die Geschichte, Kulturgeschichte und die herrliche Gebirgslandschaft des Landes einzutauchen und einen derartigen Heimatfilm gestalten.
Denn das ist dieser Film, ein Heimatfilm im besten Sinne, der gleichzeitig eines der wesentlichen Weltprobleme, die mißbräuchliche Nutzung der sozialen Netzwerke , die Lüge, zu der Bilder verführen, zum ausschlaggebenden Thema hat. Allein diese Entscheidung, den iranischen Film und sein Personal und das Weltinternet in einer Geschiche unterzubringen und beides in einer Dynamik ineinanderzuverwurschteln, allein diese doch eigentlich gegenläufige filmische Entscheidung ist genial. Daß Film, Video und die Schauspieler selbst Thema werden, ist einem angesichts der großen Bedeutung dieses Mediums im Iran und beispielsweise des gerade verstorbenen meisterlichen Regisseurs Abba Kiaronstami ebenfalls eine Filmantwort auf die politischen Verhältnisse dort.
Das müßte die fundamentalistischen Machthabern im Iran eigentlich am allermeisten fuchsen, daß sich Jafar Panahi so sehr in die iranische Seele, hier die Kinoseele versetzen kann, daß er mit den Mitteln des Films gleich mehrere Botschaften verkündet und auf kluge Weise einen Spielfilm kreiert, der einem ständig wie eine Dokumentation vorkommt, einfach, weil alles so wirklich erscheint.
Behnaz Jafari, eine im Iran sehr bekannte Schauspielerin, die auch im Fernsehen ständig zu sehen ist, erhält eine Videobotschaft von einer Verehrerin, eine unglaubliche Botschaft: die junge Frau schildert unter Tränen, daß sich zur Schauspielerin berufen fühlt, daß dies ihr das Leben bedeutet, aber daß ihre Familie ihr dies verbietet. Frauen haben in der Gebirgsgegend weit weg von der Hauptstadt eh nichts zu sagen und die Männer sind bäuerliche Neinsager. Frauen sind fürs Gebären und die Landwirtschaft da, doch das wird die junge Frau nicht mehr mitmachen und sich das Leben nehmen. Behnaz Jafari, die sich also selbst spielt, reagiert negativ, ärgert sich darüber, daß sie ständig mit schriftlichen und bildlichen Nachrichten belästigt wird. Doch dann muß sie im Video sehen, wie sich die junge Schauspielelevin das Leben nimmt und sich erhängt.
Das ändert alles. Sofort fühlt sich Behnaz Jafari verantwortlich, mit dem Regisseur Jafar Panahi – der sich also auch selbst spielt – will sie in den Norden des Landes fahren und dem Selbstmord auf den Grund gehen. Denn beim zweiten Anschauen und Überlegen stellt sich die Frage, wie denn das Video an sie geschickt wurde, von wem, von der Toten? Das geht ja nicht. Wenn sie Helfershelfer hatte, warum haben die sie nicht vom Selbstmord abgehalten. Und warum bricht der Film so ab, wer hat ihn überhaupt aufgenommen? Es stellen sich Fragen über Fragen, die sich den beiden, die sofort aufbrechen, aufdrängen mitsamt den möglichen Antworten, die sie suchen.
Und nun wird der Film zu einem echten Roadmovie mit detektivischem Einschlag, der uns in die uns völlig unbekannte iranische Landschaft führt, die isolierten Dörfler zeigt, unter denen die skurrilsten Typen auftauchen. Das hat nichts Vorgeführtes, sondern stellt vielseitiges, nicht konformes Leben dar, wo nicht gleichgeschaltete Menschen jeden Abend Fernsehen schauen, sondern sich ihre eigenen Gedanken machen. Da übt eine alte Frau schon mal auf Probe, wie das ist, im Grab zu liegen, ein alter Mann..., ein junger... Mann, der Geschichten sind so viele, daß sie schon einen Selbstzweck haben, aber es geht ja um die Suche nach der jungen Frau und über allerhand Stolpersteine kommen die beiden zu ihrer Familie und erfahren...
Wir sind längst mit allem einverstanden, so sehr wickelt Panahi uns in und mit seinen Geschichten ein. Übrigens wird auch der religiöse Fundamentalismus Thema, das Besondere jedoch ist, daß wir ständig Hin- und Herschwanken, uns gerade wirklich dabei in den Bergen fühlen, wenn der Regisseur mit der bekannten Darstellerin von der Bevölkerung erkannt, verehrt oder auch beschimpft wird. Aber, sagen wir uns dann, das ist ja inszeniert und wie er mit Wirklichkeit und gespielter Wirklichkeit umgeht, ist derart raffiniert, aber eben auch mit Absicht durchsichtig, so daß wir uns nicht getäuscht fühlen, sondern das Filmspiel eher unsere Intelligenz herausgefordert und auch unser filmisches Gedächtnis, so viele Verweise auf iranische Filme oder Bildbezüge kann man identifizieren. Es geht um harte Sachen, aber der Grundton ist harmonisch, wie Panahi wieder einmal das Schwere auf der Filmleinwand leichtfüßig und doch voller Bedeutung daherkommen läßt.
Fotos:
© Verleih
Info:
BEHNAZ JAFARI
Zunächst hatte Jafar Panahi geplant, das Paar im Film von einer anderen Schauspielerin und ihrem Mann, einem Produzenten, spielen zu lassen. Diese Schauspielerin konnte den Film jedoch nicht machen, also schlug er die Rolle Behnaz Jafari vor, die im Iran sehr berühmt ist. Sie hat seit Samira Makhmalbafs SCHWARZE TAFELN (2000) in vielen Filmen sowie in sehr populären Fernsehserien mitgewirkt. Die TV-Episode, die in DREI GESICHTER in einem Café im Hintergrund läuft, wurde tatsächlich gerade im Fernsehen ausgestrahlt, als der Film gedreht wurde.
JAFAR PANAHI
Nachdem Behnaz Jafari zugesagt hatte, entschied sich Panahi, die andere Rolle selbst zu übernehmen. Er konnte seine Kenntnisse der türkischen Sprache anwenden und mit den Dorfbewohnern persönlich in Beziehung treten. Behnaz Jafari, die für ihren starken Charakter bekannt ist, hat sich dem Projekt mit vollem Einsatz gewidmet und weigerte sich, dafür bezahlt zu werden.
Originaltitel: Se rokh
Iran 2018, 100 min
Regie: Jafar Panahi
Drehbuch: Jafar Panahi
Kamera: Amin Jafari
Schnitt: Mastaneh Mohajer
Produktion: Jafar Panahi
Darsteller: Behnaz Jafari, Jafar Panahi, Marziyeh Rezaei
FSK: 12
Kinostart: 26.12.2018
Originaltitel: Se rokh
Iran 2018, 100 min
Regie: Jafar Panahi
Drehbuch: Jafar Panahi
Kamera: Amin Jafari
Schnitt: Mastaneh Mohajer
Produktion: Jafar Panahi
Darsteller: Behnaz Jafari, Jafar Panahi, Marziyeh Rezaei
FSK: 12
Kinostart: 26.12.2018