Kirsten Liese
Berlin (Weltexpresso) - Sie war ihrer Zeit weit voraus. Mit allerlei Skandalen mischte die Schriftstellerin, Journalistin und Varietékünstlerin Sidonie-Gabrielle Colette (1873- 1954) die Pariser Bohème ordentlich auf. Delikat schildert sie in ihren Büchern weibliches Begehren, selbstbewusst pocht sie auf das Recht erotischer Selbstverwirklichung. Ein solcher Freimut galt den Zeitgenossen freilich als ungebührlich, erst spätere Generationen würdigten die erfolgreiche, aber nicht unumstrittene Autorin, die wechselnder Affären mit Männern und Frauen wegen von sich reden machte, als frühe Feministin.
Wie weiland Danny Huston in seinem früheren Porträt „Becoming Colette“ aus dem Jahr 1991 fokussiert der englische Autor und Regisseur Wash Westmoreland in seinem Biopic auf die frühen Jahre, in denen Gabrielle (Keira Knightley) mit dem Schreiben beginnt.
Ihre ersten Werke entstehen auf Drängen des ebenso weltgewandten wie ausbeuterischen 15 Jahre älteren Pariser Verlegers Henry Gauthier-Villars (Dominic West), den sie in Saint-Sauveur-en-Puisaye, dem Ort ihrer Kindheit, kennenlernt. Enttäuschungen bleiben ihr in der Ehe nicht erspart, sie ertappt ihren Mann in flagranti mit anderen Frauen. Dominic West gibt den Hallodri mit Spitzbauch und Ziegenbart als eine herrlich karikatureske, zwiespältige Figur, der man aber die Liebe zu Gabrielle abnimmt. Wohl deshalb ist sie auch bereit, ihn zu akzeptieren wie er ist unter der Bedingung, dass er sie fortan ehrlich an seinem Leben teilhaben lässt. Später wird sie die für ihn so selbstverständliche Trennung von Liebe und Sexualität auch für sich beanspruchen. Aber erst einmal wird sie Teil seiner literarischen Werkstatt.
Henry alias Willy, wie er sich mit Künstlernamen nennt, publiziert schwärmerische Romane für die höhere Gesellschaft, die Andere für ihn unter seinem Namen schreiben. Als das Geld knapp wird, muss Gabrielle als Ghostwriterin ran. Der erste Schöpfungsakt gestaltet sich allerdings nervenaufreibend, da Gabrielles und Willys Vorstellungen weit auseinander gehen. Frustriert will sie hinschmeißen, aber er sperrt sie in eine kleine Kammer und zwingt sie, ihren autobiographisch gefärbten Roman „Claudine“ über ein modernes Mädchen vom Land zu vollenden. Vor allem bei der weiblichen Leserschaft avanciert er zu einem Bestseller, Fortsetzungen folgen.
Von einem Erfolg zum nächsten wächst das Selbstbewusstsein der kühnen Freidenkerin, die immer weniger gewillt ist, im Schatten ihres Mannes zu stehen und eigene bisexuelle Neigungen entdeckt. Mit einer zugereisten Amerikanerin und einer Transsexuellen, mit der sie Willy betrügt, stürzt sie sich in kleinere Abenteuer. Dagegen bahnt sich mit der androgynen Missy (Denise Gough) eine ernste, folgenreichere Beziehung an. Als Tochter eines Halbbruders Napoleons III. kann sie es sich leisten, wie ein Mann zu kleiden und die entscheidenden Fragen zu stellen, die Colette in wichtigen Entschlüssen stärken: Nunmehr fordert sie eine offizielle Nennung als Urheberin der „Claudine“-Romanserie, entdeckt an der Seite ihrer Freundin die Welt des Varietés und verlässt Willy.
„Colette“ ist jedoch keine vordergründige Emanzipationsgeschichte. Auf spektakuläre Sexszenen verzichtet Westmoreland ebenso wie auf simple Erklärungen, das Verhalten seiner Protagonistin wirkt nicht immer eindeutig. Unterschwellig mag man aus dem Film sogar herauslesen, dass es den Narzissten Willy brauchte, damit das brave Mädchen seine eigenen, zwiespältigen Impulse erspüren- und den Mut für ein unkonventionelles Leben aufbringen konnte. Keira Knightley zeichnet die Entwicklung der Protagonistin glaubwürdig nach, soweit es das Drehbuch hergibt. Allerdings wirkt das Psychogramm der Titelheldin in dem herausragenden, zeitgleich ins Kino kommenden Film „The Wife-Die Frau des Nobelpreisträgers“, in dem sich Glenn Close als heimliche Ghostwriterin ihres Mannes entpuppt, noch komplexer.
Stilistisch kommt der Film so elegant, dezent und pikant daher wie Colettes Bücher. Allerdings fühlt man sich angesichts der englischsprachigen Darsteller in der Originalversion weniger nach Frankreich versetzt als vielmehr in die britische Welt zahlreicher Jane Austen-Adaptionen. Es bleibt ein mitreißendes, elegantes, wenngleich auch nicht gänzlich stimmiges Porträt der kühnen Schriftstellerin und Rebellin Colette.
Foto:
© Verleih
Info:
Colette (Großbritannien, USA, Ungarn 2018)
Filmlänge: 112 Minuten
Regie: Wash Westmoreland
Drehbuch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland, Rebecca Lenkiewicz
Darsteller: Keira Knightley, Dominic West, Denise Gough, Fiona Shaw, Eleanor Tomlinson, Robert Pugh, Ray Panthaki u.a.
© Verleih
Info:
Colette (Großbritannien, USA, Ungarn 2018)
Filmlänge: 112 Minuten
Regie: Wash Westmoreland
Drehbuch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland, Rebecca Lenkiewicz
Darsteller: Keira Knightley, Dominic West, Denise Gough, Fiona Shaw, Eleanor Tomlinson, Robert Pugh, Ray Panthaki u.a.