Bildschirmfoto 2019 01 01 um 20.52.50Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25./26./27. Dezember 2018, Teil 10

Caroline Link

München (Weltexpresso) -  Am Neujahrstag 2017 lag ich mit einem frisch gerissenen Kreuzband in einem Tiroler Berghotel im Bett und habe mir das Drehbuch von Ruth Toma, das mir erst wenige Tage zuvor von dem Produzenten Hermann Florin zugeschickt worden war, durchgelesen. Vom ersten Moment hat mich diese Geschichte gepackt. Diese Kombination aus Komik und Trauer hat mich sofort sehr gerührt. Da war dieser pummelige neunjährige Junge, der so verzweifelt, aber durchaus mit viel Talent seine Mutter aus ihrer Depression retten will. Das hatte etwas ganz Einzigartiges.

Noch dazu war es ja eine wahre Geschichte. Ich hatte beim Lesen die ganze Zeit den erwachsenen Hape Kerkeling vor Augen. Ruth Toma hat ja viele Anleihen aus seinen bekannten Sketchen in seine Kindheit übertragen. Und ich wusste damals kaum etwas über Hapes dramatische Kindheitsgeschichte. Für mich hat der Künstler Hape Kerkeling durch diese Erlebnisse eine ganz neue Tiefe bekommen, sein Humor eine andere Dimension. Als Kind ging es für ihn um Leben und Tod. Seine Fähigkeit und sein Wunsch, anderen Menschen glückliche Momente zu schenken, hatte auf einmal eine viel größere Bedeutung.xc

Noch nie hatte ich bisher ein Drehbuch von einem anderen Autor verfilmt. Aber hier kam ein Stoff zu mir, der mir absolut lag. Die Beschreibung von Hapes Familie, die schrullige Herzlichkeit einer jeden Figur, die Geborgenheit im familiären Verbund, auch wenn jeder auf seine Art spinnt – das kenne ich aus meiner eigenen Geschichte, dazu fällt mir viel ein. Noch dazu ist Hape exakt mein Alter. Wir sind beide Kinder des geburtenstärksten Jahrgangs 1964. Seine Zeit war meine Zeit. Wie er bin ich in der Provinz aufgewachsen. Zwar nicht im Ruhrgebiet, dafür in Hessen. Aber die Welt, die er erlebt hat, das Milieu der einfachen Leute, das alles kenne ich genau. Auch in meiner Familie gab es die kriegstraumatisierten Großeltern, die exaltierten Tanten, die warmherzigen Verwandten, mit denen man prima feuchtfröhliche Familienfeste feiern konnte.
Als ich das Drehbuch zugeklappt habe, wusste ich, dass ich das verfilmen wollte.

Ich habe dann Hape in Berlin getroffen, und er hat mir sehr offen und ehrlich meine verbliebenen Fragen beantwortet. Wir haben in Fotoalben Bilder angeguckt, und er hat mir seine Unterstützung in jeglicher Form zugesagt. Die schwierigste Aufgabe habe ich darin gesehen, die richtige Tonlage für diese Geschichte zu finden. Immerhin geht es auch um den Freitod einer jungen Mutter, da kann man nicht sagen: „Ist doch alles nicht so schlimm.“ Diese Tragödie muss der Film schon ernst nehmen. Und gleichzeitig gibt es in der Geschichte auch sehr viel zu lachen. Viel Optimismus, Humor und Zuversicht. Den Trost einer Großfamilie mit wunderbaren Charakteren. Ich habe versucht, eine Form zu finden, die das alles nebeneinander zulässt, ohne über den großen Schmerz in Hapes Kindheit oberflächlich hinwegzugehen.

Parallel zum Schreiben meiner Regiefassung des Drehbuchs begann dann sofort das Kinder-Casting. Wir haben per Annoncen und Aufrufen an Schulen etc. nach passenden Jungs zwischen acht und zehn Jahren gesucht. Das war natürlich um einiges schwieriger als bei meinen bisherigen Filmen. Dieser Junge musste sensibel sein und ein Spaßvogel zugleich. Er musste Hape irgendwie ähnlich sehen und unbefangen vor der Kamera Quatsch machen können. Das war nicht leicht.

Julius’ Eltern haben einen Schreibwarenladen in der Nähe von Mönchen- gladbach. Eine Kundin hatte ihnen eines Tages von einem Casting-Aufruf im Radio erzählt, und glücklicherweise haben sie sich daraufhin bei uns gemeldet. Er kam nach ein paar Improvisationsübungen in die engere Favoriten-Runde und hat mich schlussendlich überzeugt, als er ein ziemlich kompliziertes Lied, in dem er zwei verschiedene Rollen gleichzeitig spielen musste, sehr lustig dargestellt hat. Das haben nicht viele Jungs in seinem Alter so gut hingekriegt. Da war mir klar: Julius ist ein schlaues Kerlchen, auch wenn er über keinerlei Filmerfahrung verfügte, seine schnelle Auffassungsgabe würde das problemlos kompensieren. Grundsätzlich arbeite ich gerne mit Kindern, die noch nie vorher gedreht haben. Ich setze auch keine Coaches in der Vorbereitung ein. Worauf es mir ankommt, ist die größtmögliche Unbefangenheit und Natürlichkeit vor der Kamera. Kinder, die sich selbst noch nie auf einer Leinwand oder einem Monitor gesehen haben, die sich noch keine Gedanken gemacht haben über ihre Wirkung und ihr Aussehen, sind mir da die liebsten. Die Drehbedingungen mit Kindern in Hauptrollen finde ich in Deutschland schwierig. Die Tagespensen sind extrem limitiert. Medienpädagogen überwachen mit der Stoppuhr die Einhaltung der Arbeitszeiten. Aber Dreharbeiten lassen sich nicht bis ins Detail durchplanen. Unkalkulierbare Ein- flüsse wie das Wetter oder organisatorische Abläufe machen einem Filmteam nicht selten einen Strich durch die Rechnung. Meiner Meinung nach sollten Kinder individueller und je nach persönlicher Leistungsfähigkeit betreut werden. Filme mit Kindern in den Hauptrollen werden sonst in Deutschland unnötig kompliziert und von den Produzenten zunehmend ins weniger streng reglementierte Ausland verlagert.

Das Casting für die Erwachsenen-Rollen hat Sabine Schwedhelm in Köln organisiert. Ich wollte keine Stars besetzen, sondern Darsteller, die der Familie vor allem regionale Authentizität und Glaubwürdigkeit verleihen. Ich wollte in diesem Film so viel wie möglich Dialekt hören und das Ruhrgebiet spüren. Allein für die herausfordernde Rolle der Mutter habe ich mich für die Berlinerin Luise Heyer entschieden, weil mich im Casting ihre Zartheit und Zerbrechlichkeit komplett überzeugt haben. Wir waren glücklich, Hedi Kriegeskotte, Joachim Król, Rudolf Kowalski und Sönke Möhring als waschechte Ruhrpottler und starke Persönlichkeiten verpflichten zu können. Ursula Werner kommt zwar nicht aus dem Ruhrgebiet, war aber für mich sofort die ideale warmherzige, kluge und empfindsame „Omma“ Bertha.

Die Zusammenarbeit mit diesen wunderbaren Darstellern, die sich bereitwillig einem komplett von unserem neunjährigen Hauptdarsteller dominierten Ablauf untergeordnet haben, hat mir riesengroßen Spaß gemacht. Sie alle haben sofort verstanden, dass es vor allem darum geht, Julius die ideale Plattform zu bereiten, um ihn zum Strahlen zu bringen. Und dass persönliche Eitelkeiten oder Profilierungsambitionen hier keinen Platz hatten. Hape und Julius haben sich ein paar Wochen später in einem Tonstudio in Berlin kennengelernt. Für Julius war Hape Horst Schlämmer. Er wusste gar nicht, dass unter der lustigen Perücke und dem struppigen Oberlip- penbart ein anderer Mann steckte. Er war beeindruckt von Hapes freund- licher „Normalität“, dass dieser berühmte Entertainer keinerlei Allüren hatte und sehr offen auf ihn zukam. Wir haben gemeinsam ein paar Sprachaufnahmen gemacht für die Voiceover-Stimmen im Film und uns für eine Sketch-Probe in einem Probenraum einer Schauspielschule verabredet. Alles lief sehr entspannt ab. Hape hat die Fähigkeit, um sich herum eine lockere Atmosphäre entstehen zu lassen, in der keinerlei Leistungsdruck aufkommt. Er und Julius haben zusammen rumgealbert, und wir sind gemeinsam auf Bewegungen und Abläufe gekommen, die wir im Film einsetzen konnten. Es war wie ein Spiel.

Fotos:
Caroline Link
© Verleih

Info:
Julius Weckauf      Hans-Peter
Luise Meyer           Margret
Sönke Möhring      Vater Heinz
Hedi Kriegeskotte  Oma Änne
Joachim Król         Opa Willi
Ursula Werner       Oma Bertha
Rudolf Kowalski    Opa Hermann