Claudia Schulmerich
Berlin (Weltexpresso) – Wenn wir an Europa denken, haben wir ein Projekt vor Augen, daß sich unsere Großeltern nie hätten vorstellen können, wo ja schon der heute enge Zusammenschluß mit Frankreich nicht denkbar gewesen wäre. Schließlich waren die welschen Franzosen die Erzfeinde des Deutschen Reiches. Und wenn auch wir mit fanatischen Islamisten und dem Zustrom vieler Menschen islamischen Glaubens in gesellschaftliche Schwierigkeiten geraten, ist das nicht zu vergleichen, was die Franzosen mit seinen ehemals durch sie ausgebeuteten Kolonialstaaten heute als islamisches französisches Problem zurückerhalten.
So kann sich Muriel (Catharine Deneuve) überhaupt nicht vorstellen, anders als tolerant und gleichberechtigt mit ihren algerischen Freunden umzugehen. Sie hat gemeinsam mit dem Geschäftspartner aus dem Maghreb eine Pferdefarm an der touristisch weniger erschlossenen Küste, zudem ausufernde Kirschplantagen. Sie macht einen rundherum ausgeglichenen, ja zufriedenen Eindruck, denkt gerne an ihre Kindheit und Jugend in Algerien zurück und freut sich auf die Ankunft ihres Enkels Alex (Kacey Mottet Klein). Seine Mutter, ihre Tochter ist durch einen Unfall schon gestorben, der Vater lebt mit neuer Familie fern auf Guadeloupe und so sind die zwei die übriggebliebene Familie.
Lila (Oulaya Amamra) kennt sie seit Kindertagen und weiß um die enge Beziehung der beiden, wie eng aber wird hier das Problem werden. Aber Muriel ist ja tolerant, findet es selbstverständlich, daß sie die junge Frau in der Nähe behält und unterstützt, denn die beiden jungen Leute, die sich aus Kindertagen schon gewogen sind, stehen einander näher als sie nach außen zugeben. Das will die Großmutter gerne fördern und bietet Lila ihre Hilfe an. Doch die verhält sich etwas spröde. Wir Zuschauer wissen vor Muriel, daß sich hier etwas zusammenbraut. Daß etwas Gefahrvolles in der Luft liegt. Spätestens mit der Ankunft von Alex wird das deutlich. Angeblich will er nämlich nach Kanada reisen und Lila wohl mitnehmen.
Aber seine Absichten sind völlig andere. Beide wollen nach Syrien reisen und dort den Kampf der ISIS unterstützen. Wir wissen das in dem Moment, als er den Gebetsteppich im Garten ausrollt und Allah anbetet. Doch das bekommt auch seine Großmutter mit, spricht ihn darauf an und merkt an seinen Reaktionen, daß hier etwas nicht stimmt. Wir merken auch, daß Lila die Bestimmerin in der Beziehung der beiden ist. Er will ihr gefallen. Dieser Alex wird als ein unsicherer junger Mann dargestellt, der Sicherheiten braucht und deshalb auch seiner Großmutter gegenüber militanter auftritt, als es nötig wäre. Lila dagegen hat sich an ihr richtiges Leben im falschen gewöhnt. Zeigt den Leuten ein anderes Gesicht, ist aber diejenige, die den Ton angibt und auch die moralische Instanz darstellt.
Es sind solche Szenen wie die folgende, warum man auch im Nachhinein den Film auf einmal besser findet als beim direkten Schauen: die beide brauchen für ihre Syrienreise Geld, das nicht da ist. Sicher würde die Großmutter sogar das Geld geben, aber Alex mag nicht fragen und stiehlt das Scheckbuch und fälscht die Unterschrift von Muriel. Ihm ist das nicht ganz koscher und weil er ja ein frommer Muslim werden möchte, fragt er Lila um Rat. Die ist erst verunsichert, erklärt ihm, daß Raub haram, also verboten und frevlerisch sei, kommt jedoch zu ihr passenden Antwort, daß der Diebstahl ja an einer Ungläubigen begangen werde und einem guten Zwecke diene, als halal sei, nämlich erlaubt. Eine tolle Szene, wie sie sich und auch dem Jungen in die Tasche lügt.
Die Entfremdung zum Enkel geht Muriel nahe und als sie seine Radikalisierung bemerkt, ahnt sie auch, daß nicht Kanada sein Ziel ist. Sie sperrt Alex ein, eine starke Szene, denn der Pferdehof ist gerade für solche Aktionen gut geeignet. Er sitzt also fest und auch sein Handy funktioniert nicht. Lila hat keinen Kontakt mit ihm. Muriel hat einen der Erntehelfer (Kirschen!), der selber ein radikaler Muslim war, gebeten, mit Alex zu sprechen. Doch dazu kommt er nicht, zieht ihm doch das eigentlich harmlose Früchtchen mit der Schaufel einen über, was ihn zu Boden streckt. Nun ist er auch noch gewalttätig geworden, ein Vergehen, das eigentlich die Polizei verfolgt.
Die sind bei der Ausreise des Pärchens nach Spanien aber zur Stelle, denn Lila, die im Internet extrem radikale Ansichten geäußert hatte, ist zusammen mit ihrem Agentenführer, der die beiden begleitete und die Kontaktperson zum ISIS, überwacht worden. Das ist der Schluß des Drehbuchs, aber natürlich nicht Schluß dieser Geschichte, deren Fortsetzung wir uns nun selbst ausmalen können.
Catherine Deneuve wurde anschließend nach ihrer Einschätzung der Rolle und auch der Situation befragt. Sie zeigte sich einig mit ihrer Rolle, daß das Entscheidende sei, das Gespräch zu suchen und auch nicht aufzugeben, wenn es erst einmal verweigert würde. Man müsse nachfragen, weshalb derartige Radikalisierungen bei jungen Leuten entstünden, dann aber couragiert auch dagegen auftreten.
Der Film verläuft sanft, weil Muriel nicht mit dem Holzhammer draufschlägt, aber doch entschieden unterbindet, daß ihr Enkel tut, was er will. Der Film hält auch das Gleichgewicht zwischen dem Privaten und dem politischen, bzw. dem Bereich der Polizei. Er hat allerdings nicht die Schärfe, die der im März 2017 angelaufene französische Film DER HIMMEL KANN WARTEN von Marie-Castille Mention-Schaar aufweist, wo es um das Konvertieren zweier Mädchen geht, die nach Syrien ausreisen wollen. Dazu verläuft das Geschehen dann doch zu glatt. Und auch, wenn Muriel dann handelt, ist ihr Verhalten doch irgendwie wie unter Beruhigungsmitteln. Immer wieder hat man den Eindruck, daß dies auch daher rührt, daß ihr zurechtgeschnittenes und gebotoxtes Gesicht keinen weiteren Ausdruck als eine relativ starre Miene zuläßt.
Aber insgesamt zeigt sich hier das Motto dieser Berlinale deutlich: Das Private ist politisch. Der nach kurzem Abstand weitere Film mit derselben Problematik zeigt, daß dies ein beunruhigendes französisches Thema ist und bleibt.
Foto:
Catherine Deneuve + Kacey Mottet Klein
KKacey Mottet Klein + Oulaya Amamrat
© Curiosa 2019
Info:
Darsteller
Catherine Deneuve (Muriel)
Kacey Mottet Klein (Alex)
Oulaya Amamra (Lila)
Stéphane Bak (Bilal)
Mohamed Djouhri (Youssef)