f bale rtl.frSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. Februar 2019, Teil 6

N.N.

Los Angeles (Weltexpresso) - So wie viele Amerikaner wusste auch Adam McKay nichts über die trügerische, scheinbar unbegreifliche Seite von Dick Cheney, den quasi Ko-Präsidenten von George W. Bush zwischen 2001 und 2009, dessen Wirken Amerika spürbar verändert hat. „Ich kannte nicht viele Fakten über Dick Cheney, aber im Zuge der Nachforschungen wuchs meine Faszination in Bezug darauf, was ihn angetrieben hat und woran er glaubte“, so der Regisseur. „Je mehr ich las, desto größer war mein Erstaunen über die schockierenden Methoden, durch die er an die Macht kam und darüber, wie sehr Cheney die Rolle der USA in der Welt bis heute definiert.“

McKay las auch Robert Caros meisterhafte Biografie The Power Broker: Robert Moses and the Fall of New York, ein Buch, das den Leser an dem Aufstieg eines Mannes zur Macht teilhaben lässt. „Danach habe ich angefangen, alles zu lesen, was sich mit Macht beschäftigt“, führt McKay aus. „Während ich bis zu Shakespeare zurückging, begann die Idee für das Drehbuch, Form anzunehmen.“

Cheney war ein begeisterter Fliegenfischer, ein Sport, der Geduld erfordert, eine Eigenschaft, die ihm sehr zugute kommen sollte bei seinem langsamen aber stetigen Aufstieg im politischen wie wirtschaftlichen Bereich, argumentiert McKay. All das hätte jedoch keine Rolle gespielt ohne die Unterstützung und den Ehrgeiz seiner Ehefrau Lynne Vincent, seiner Highschool-Liebe. Nachdem Cheney in Yale rausgeschmissen und mehrmals wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet worden war, half sie ihm, sein Leben umzukrempeln. „Ohne Frage war es Lynne und ihrer Ambition zu verdanken, dass Dick Cheney sich verwandelte“, stellt McKay fest. „Diejenigen, die sie damals kannten, waren sich einig darüber, dass es jeder Ehemann an ihrer Seite weit gebracht hätte. Ohne Lynne hätte sich Dick vielleicht für ein ruhiges Leben in Wyoming entschieden, so wie seine Geschwister.“ Cheney wurde Lynnes Verbindung zur Macht, laut McKay. „Sie verfügte über den Verstand und den Ehrgeiz, begriff aber, dass ihr als Frau einige Türen verschlossen bleiben würden. Obwohl sie nicht selber die Hebel der Macht in Bewegung setzen konnte, wusste sie doch, wie sie jemanden ermächtigen konnte, die Hebel an ihrer statt zu bewegen.“

Je mehr McKay Cheneys Karriere erforschte, desto deutlicher erkannte er, wie komplex und weitreichend sein Einfluss auf die zeitgenössische Politik war. McKay beschloss, ein Drehbuch zu verfassen, das über die rein politischen Überzeugungen hinausging und grundsätzliche Fragen stellte. „Dieses große Kapitel der politischen Geschichte Amerikas wurde meiner Ansicht nach noch nie vollständig in einem Film thematisiert. Dies ist ein wichtiger Teil des Puzzles, wie wir an dem Punkt ankommen konnten, wo politischer Konsens über Werbung, Manipulation und Lügen hergestellt wird. Und Dick Cheney war der Mann im Zentrum des Geschehens.“

Nach intensiver Recherche und einer ganzen Reihe von Einzelinterviews war McKay in der Lage, den Schwerpunkt des Films festzulegen und mit dem Verfassen des Drehbuchs zu beginnen. Produzent Kevin Messick, mit dem er bereits bei der HBO-Miniserie Succession zusammengearbeitet hatte, stand ihm dabei zur Seite. „Natürlich war es in diesem Fall nicht so einfach, den Fokus zu verkleinern, da die Geschichte immer noch im Wyoming des Jahres 1950 zu beginnen hatte und sich bis in die frühen Jahre des 21. Jahrhunderts ziehen sollte.“

Wie bereits in seinem mit einem Oscar® für das Beste Drehbuch ausgezeichneten The Big Short (2015) schichtete McKay die zeitlich versetzten Handlungsebenen mit unorthodoxen Elementen wie einem ungewöhnlichen Erzähler, dem Durchbrechen der „vierten Wand“, surrealen komischen Momenten, Dokumentaraufnahmen und sogar einem Bettgeflüster zwischen Lynne und Dick in Form eines fünfhebigen Jambus‘. „Das Genie von Adam äußert sich unter anderem in seinem Freistil und dem Jazz-ähnlichen Ansatz“, erläutert Messick. „Er kreiert auf diese Art ein hybrides Genre, auf das die Zuschauer reagieren, aber sie können nicht genau sagen, was ihre Reaktionen auslöst. Filme wie The Big Short (2015) oder VICE – DER ZWEITE MANN kann man nicht kategorisch dem Drama oder der Komödie zuordnen. Aber sie benutzen Versatzstücke beider Genres.“

Für die Produzenten von Plan B, die zweifachen Oscar®-Gewinner Dede Gardner und Jeremy Kleiner (Moonlight (2016), Twelve Years A Slave (2013)), stellte dies bereits die zweite Zusammenarbeit mit McKay nach The Big Short (2015) dar. Sie waren von dem Drehbuch sofort begeistert. „Es ist eine gewagte Geschichte und ein episches Biopic“, meint Gardner. „Über vier Jahrzehnte amerikanischer Politik und die Folgen werden vor uns betrachtet. Wir erfahren aber auch etwas über die Kultur Amerikas und wie sich die Gesellschaft im Lauf der Zeit gewandelt hat.“

„Für mich waren verschiedene Elemente ausschlaggebend“, führt Kleiner aus. „Wie bei The Big Short (2015) experimentierte Adam mit der Form. Er sucht nach einer Möglichkeit, komplizierte Sachverhalte darzustellen. Dies ist ein neuerlicher Drahtseilakt in Hinblick auf das Drehbuch, das dennoch auch auf emotionaler Ebene funktioniert. Seine Darstellung der Historie vermittelt uns eine Bild davon, wie es möglich war, zu dem Punkt zu gelangen, an dem wir uns momentan befinden.“

Gardner und Klein waren angetan davon, wie McKay den unkonventionellen Erzähler eingebaut hatte, der im Film von Jesse Plemons (Fargo) dargestellt wird. Gardner betrachtet ihn als eine metaphorische Figur, einen Stellvertreter für das Publikum, der in verschiedenen Gestalten auftritt.

„Adam hat einen Weg gefunden, den Jedermann zu repräsentieren, der so fühlt wie die meisten von uns“, führt sie aus. „Und er hat es mit Witz getan und Genauigkeit, womit es möglich wurde, dass der Charakter das emotionale Zentrum des Films einnimmt.“ Kleiner meint, dass die Figur McKays Thema der Gleichheit anspricht. „Sein Interesse gilt den Menschen und wie sie von den enormen Veränderungen beeinflusst werden“, erklärt er. „Es erschien passend, den Bezug zu der Geschichte über eine Person herzustellen, die nicht in der Politik verwurzelt ist, sondern im amerikanischen Alltag. Das ist eine raffinierte Methode, die eine emotionale Reaktion hervorruft.“

MacKay interessierte sich gleichermaßen für die Familie von Cheney wie für seinen politischen Aufstieg, kommentiert Kleiner. „Cheney sieht sich als Familienmenschen. Er wurde von seiner Frau Lynne angetrieben, mit der er sich verbunden fühlte. Sie hatten die gleichen Vorstellungen wie eine Reihe von Figuren in der Geschichte auch. Ihnen war die Sicherheit der Familie besonders wichtig, wobei sie mitunter vielleicht die Sicherheit der anderen hintanstellten. Der Pate (1972) verhandelte das gleiche Thema. Es fällt schwer, sich einen liebenden Familienmann vorzustellen bei manchen Ereignissen, die unter seiner Verantwortung geschehen sind. Das ist ein wichtiger Teil von Adams dramatischem Bogen.“ Die Biographie der Cheney-Familie spürt nicht nur seinen Wurzeln als Politiker nach, sondern verleiht der Geschichte Tiefe und einen menschlichen Anstrich, macht Gardner deutlich. „Die Familie spielte eine wichtige Rolle im Leben von Dick Cheney und ihre Darstellung im Film hilft Zuschauer wie Darsteller, das Innere der Figuren wahrzunehmen.“

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
Christian Bale        Dick Chenney
Jesse Plemons       Kurt
Steve Carell            Donlld Rumsfeld
Sam Rockwell        George W. Bush
Tyler Perry              Colin Powell
EDDIE MARSAN    Paul Wolfowitz
AMY ADAMS         (Lynne Cheney)

Der Film lief innerhalb des Wettbewerbs auf der Berlinale 2019, allerdings außer Konkurrenz. Besprechung in WELTEXPRESSO
https://weltexpresso.de/index.php/kino/15186-vice