Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Februar 2019, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das könnte ein so interessanter Film sein, der uns Normalsterblichen zeigt, wie die höhere internationale Gesellschaft ihre Nachkommen -die zukünftige Elite der jeweiligen Länder oder gleich der ganzen Welt - standesgemäß in einem noblem Schweizer Privatinternat in der dritten Generation auf- und erziehen, bilden und ausbilden läßt. Was das für junge Menschen sind, aus welchen Ländern sie kommen, warum sie gerade in dieses Schweizer Elite-Internat – immerhin jährliche Schulgebühren von 83 000 Euro – gesteckt werden, das es ja wirklicht gibt: Leysin American School.
Wenn wir das Anwesen zum ersten Mal sehen, halten wir es es genau dafür, so elitär sieht es aus, zumal gleich ein protziger schwarzer Mercedes vorfährt und Musik erklingt, die eindeutig orientalischen Ursprungs ist. Und wenn wir das Gebäude das letzte Mal sehen, wissen wir, daß es dort entgegen unseren Erwartungen ziemlich normal zugeht und daß unser atypischer „Vorzeigeschüler“ aus der Türkei sein Abitur geschafft hat. Dabei sah das bei seinem Ankommen ganz anders aus. Der ganze Film von Radek Wegrzyn beschäftigt sich mit diesem einen Schüler Berk aus Istanbul – und das ist leider zu wenig. Zu wenig für einen ganzen Film über ein Internat, zu dem man viele Fragen hätte. Diese Enttäuschung muß man schon deutlich äußern, bevor man sich nun Berk zuwendet.
Das ist erst einmal das Überraschende, einen solchen harmlosen, sicher netten, bodenständigen, ehrlichen, aber absolut unmotivierten und überhaupt nicht nach Elite wirkenden jungen Mann als die Figur zu erleben, an der die Schule vorgeführt werden soll. Denn es soll ja um sie gehen, so sagt der Titel. Und wir erleben ja auch das interne Leben, die Belegung der Zimmer, das Essen, den Unterricht, was alles sehr normal wirkt. Die Lehrer wirken zugewandt, die Schüler und Schülerinnen mit ihren üblichen Späßen sind auch wie überall. Aber nein, hier kommt auf einmal etwas ins Bild, was die Sache anders aussehen läßt. Denn die Gesichter einiger der Mitschüler, vor allem der Mitschülerinnen sind künstliche verwischt, also nicht mehr zu identifizieren. Das macht neugierig. Weil da auf einmal die Dimension von ‚Elite‘ aufscheint, die der Film sonst vermeidet. Die Eltern waren mit den Aufnahmen nicht einverstanden. Wären die Jugendlichen sonst vom Zuschauer wiederzuerkennen und dann zu identifizieren? Soll niemand wissen, daß x und y dort auf der Schule weilt, weil das Neider und richtige Verbrecher auf den Plan ruft? Das wären doch Fragen, die der Filmemacher zumindest der Schulleitung und den Schuleignern hätte stellen können und die dem Film einen größeren Stellenwert gegeben hätten, als allein von Berk zu berichten.
Berk kommt also aus Istanbul und wir lernen sofort, seinen Vater nicht zu mögen, so selbstherrlich und autoritär tritt dieser auf. Eher wie ein Unternehmer, der er übrigens als besonders erfolgreicher sozialer Aufsteiger auch ist, ein Unternehmer also, der von seinem Angestellten – hier der Sohn – den höchsten Einsatz erwartet. Es macht traurig, den Sohn so ohne väterliche Zuneigung, ja Liebe zu erleben, der Sohn, der nur gilt, wenn er Leistung bringt. Aber, wenn wir Berk kennenlernen, wirkt er so in sich ruhend und gleichzeitig orientierungslos, daß er ziemlich souverän mit den Ansprüchen des Vaters umgeht, nämlich sie ignoriert.
Das muß jetzt nicht geschildert werden, wie sein Erweckungserlebnis geschieht, aber es kommt und auch, wenn er kein richtiger Saulus war, viel zu brav, eben nur recht faul und unmotiviert, wird aus ihm ein echter Paulus, einer, der auf einmal aus seinem Leben etwas machen will, wozu eben als Grundvoraussetzung der Hochschulabschluß gehört. Aber, überlegen wir uns, eigentlich ist Berk kein typisches Produkt solcher Internatserziehung. Liest man das Interview mit dem Regisseur, das wir abdrucken, so kann man dem entnehmen, daß er über diesen jungen unverfälschten Jungen doch sehr froh war, weil er dem Film so zumindest einen sehr menschlichen Anstrich gibt. Aber Berk ist weder vom Herkommen her, noch als Persönlichkeit ein typischer Vertreter dieser Elite.
Diese Internate sind natürlich nicht nur für den persönlichen individuellen Aufstieg gedacht, sondern bilden durch die gemeinsame Zeit das, was man ein Netz nennt, das sie fürderhin in ihren Berufen und sozialen Positionen verbindet, eine eigene internationale Schicht. Darauf geht der Film nicht weiter ein, muß er auch nicht.
Foto:
© Verleih
Info:
BUCH & REGIE: Radek Wegrzyn [VIOLINISSIMO, SOMMER AUF DEM LAND]
SCHNITT: Jamin Benazzouz [GESTRANDET, TITOS BRILLE]
KAMERA: Johannes Louis [STORY OF BERLIN, BERLIN METANOIA],
Matthias Bolliger [4 BLOCKS, BOY 7]
Timon Schäppi [DIE GETRIEBENEN, TIGER GIRL]
Ferhat Topraklar [FIKKEFUCHS]