f zauber2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 28. Februar 2019, Teil 3

N.N.

Hamburg (Weltexpresso) - Was hat Sie an dem Thema zu Ihrem Dokumentarfilm DIE SCHULE AUF DEM ZAUBERBERG gereizt. / Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Film über die Töchter von Milliardären und Söhnen von Oligarchen zu drehen?

Normalerweise bekommt man in die Welt der Superreichen nur wenig Einsicht. Es gibt zwar Dinge, die gern von dieser Gruppe zur Schau gestellt werden - man denke z.B. an „Rich kids on Instagram“ oder vereinzelte TV Formate, aber sie zeichnen meist nur - wenn überhaupt - ein oberflächliches Bild. Ich habe mir zwei Fragen gestellt. Erstens: Wenn man in einer Welt lebt, in der man sich alles leisten kann: Wie findet man das, wofür man brennt? Wie findet man heraus, was man wirklich möchte im Leben? Das ist für einen normalen Teenager (die meisten von uns erinnern sich) - schon schwer genug. Aber wie findet jemand, der sich im - metaphorischen - Supermarkt des Lebens alles Materielle leisten kann, sein „Lieblingsprodukt“? Die zweite Frage drehte sich um Erwartungen: Wie schwer ist es für einen Teenager, dessen Mutter oder Vater einen so großen Schatten wirft, aus diesem Schatten herauszutreten? Was lösen die teils sehr hohen Erwartungen der Eltern bei den Kindern aus?


Wie waren die Dreharbeiten an der Schule? Gab es besonders emotionale/witzige/außergewöhnliche Momente beim Dreh?

Wir hatten das Glück, an einer Schule zu drehen, die in dritter Generation von den Enkeln der Gründer geführt wird, und diese Familie hat uns vertraut. Das hat uns sehr viele Türen geöffnet und diesen Dreh erst möglich gemacht. Außergewöhnliche Momente? Ja, dadurch, dass die Kids mich als einen von ihnen akzeptiert haben, gab es Situationen, in denen wir viel Unfug miterlebt haben. Bei 400h Material gibt es also vieles, was nicht im Film gelandet ist. Rein mathematisch betrachtet sogar das meiste. Die aufregendsten Momente waren für mich immer die, wo ich das Gefühl hatte, jemanden gnadenlos ehrlich zu erleben, ohne Masken, ohne Schutzschichten, ohne aufgesetzte Rollen. Einen wahren Moment mitzuerleben ist für einen Filmemacher die größte Belohnung beim Drehen. Weil sie so selten sind. Weil man sich oft das Vertrauen des- oder derjenigen erarbeiten muss, damit es zu solch einem Moment kommen kann.


Der Fokus liegt vor allem auf Berk, wie kam dies zustande?

Es lag vor allem an der Art und Weise, wie Berk sich uns und vor allem mir gegenüber geöffnet hat, was für einen siebzehnjährigen Jungen nicht selbstverständlich ist. Jugendliche in diesem Alter sind oft in einer Selbstfindungsphase und innerlich unsicher - ich erinnere mich gut an meine eigene Zeit als Teenager. Darüber hinaus hat Berk eine echte Veränderung während dieses Jahres durchgemacht. Trotzdem haben wir andere Schüler ebenfalls begleitet, das ist normal, weil man nie vorhersagen kann, wie sich eine Schülerin oder ein Schüler im Laufe des Jahres entwickelt.


Wie würden Sie Berk und seine Familie charakterisieren?

Berks Vater ist ein Alpha, er ist hart und fordernd gegenüber Berk, weil er sich gegenüber mindestens genauso hart ist. Er hat zusammen mit seinem Bruder das Familiengeschäft von Null aufgebaut, sein eigener Vater hatte ihm einzig seinen guten Namen vererbt. Berk ist das, was ich eine „alte Seele“ nenne. Und obwohl er ein siebzehnjähriger Teenager ist - mit allem, was dazugehört - zeigt er ab und an eine Reflexion und Wahrnehmung, die jemandem viel Älteren zuzuschreiben ist. Gleichzeitig kämpft er - mit seinem Vater, der Schule und vor allem mit sich selbst. Berk sieht die Welt nicht so, wie er sie vermittelt bekommt, sondern auf seine ganz eigene, teils skurrile, teils reflektierte und immer mitfühlende Art und Weise. Im Englischen gibt es den Begriff „to march to the beat of your own drum“, übersetzt bedeutet das etwa „zum Takt der eigenen Trommel zu marschieren“. Diese Beschreibung trifft hundertprozentig auf Berk zu. Und solche Menschen sind selten zu finden. Ich hoffe, Berk bewahrt sich diese einzigartige Sicht auf die Welt, weil es nicht erlernt werden, aber sehr wohl verloren gehen kann. Und wir brauchen mehr solcher Menschen.


Wie hast du die Atmosphäre an der Schule empfunden? Wie war es dort im Vergleich zu deiner Schule/Schulzeit?

Eigentlich recht ähnlich. Die sozialen Mechanismen, die Gruppendynamik, die Sehnsüchte und Wünsche sind bei Teenagern gleich, egal, ob Du reich oder arm bist. Der Wunsch nach Akzeptanz, Liebe, Zugehörigkeit, Anerkennung durch die Eltern, das alles funktioniert genauso - lediglich um eine gewisse kulturelle Segregation erweitert. Die Cliquen, die es an der Schule gibt, definieren sich oft über das Herkunftsland oder -region. Wenn man sie auf Partys und Feiern begleitet, fallen die Unterschiede „deutlicher“ auf. Davon merkt man aber an der Schule selbst nicht viel. Natürlich bekommt man nach einer Weile mit, wessen Eltern Milliardäre und wessen Eltern Millionäre ist, wer mit dem Privatjet eingeflogen wird und wer nicht. Und einen großen Unterschied gibt es doch: Eine der wichtigsten Dinge, mit denen ein Absolvent die Schule verlässt (abgesehen vom Zeugnis) ist das Netzwerk, und auf dieses Netzwerk wird viel Wert gelegt, weil es oft ein Leben lang hält. Das kannte ich so nur aus dem englischen Privatinternat.


Gibt es eine Szene im Film, die Ihnen besonders am Herzen liegt?

Zwei sogar! Es gibt in der Mitte des Films eine Szene, in der Berk sich wünscht, dass seine Eltern ihm wenigstens einmal sagen, dass er etwas gut hinbekommen hat. Dieser Moment ist so ehrlich, so roh, so unverstellt, so voller Sehnsucht eines Teenagers nach Anerkennung, dass es wehtut. Der andere Moment ist gegen Ende, als Berk seinem Mentor an der Schule (*Spoiler) beichtet, dass er den Abschluss nicht bekommt, weil ihm in einer Klausur zwei Prozentpunkte zum Bestehen fehlen. Vom Mentor gefragt, ob er die Verantwortung dafür akzeptiert erwidert Berk „Ja, ich akzeptiere sie. Aber ich akzeptiere nicht, dass meine Eltern mich nicht lieben.“ Der Moment hat mir schon beim Dreh das Herz gebrochen, und ich kann nur jeden ermuntern, der Kinder hat, diesen Film zu schauen.


Was reizt Sie am Genre des Dokumentarfilms?

Am Dokumentarfilm reizt mich, was Errol Morris so wunderbar beschrieben hat: „Was mich an Dokumentarfilmen interessiert ist der Umstand, dass du am Anfang nicht weißt, wie die Geschichte ausgeht, dass du Detektivarbeit leistest mit deiner Kamera. Und deine Geschichte entfaltet sich mit jedem Schritt vor deinen Augen.“ Alfred Hitchcock hat es allerdings auch treffend auf den Punkt gebracht: „Im Spielfilm ist der Regisseur Gott. Im Dokumentarfilm ist Gott der Regisseur.“


Macht Geld Ihrer Meinung nach glücklich?

Schwieriger Frage, denn wie misst man so ein subjektives Gefühl wie Glück? Ich könnte Studien zitieren, die vom abnehmenden Grenznutzen oberhalb eines bestimmten Einkommens referieren, aber subjektiv betrachtet: Nein, ganz sicher nicht. Geld gibt vielleicht Sicherheit, schafft aber auch Abhängigkeit, besonders, wenn man nicht der derjenige ist, der es verdient hat. Und je mehr man Erfolg durch Geld definiert, desto stärker wird diese Abhängigkeit. Laut einer vierzigjährigen Langzeitstudie der Harvard Universität ist das einzige, was dauerhaft „glücklich“ macht - und das wiederum kann ich gut mit meiner Schulzeit vergleichen - die sozialen Beziehungen, und das beinhaltet Freundschaften. Es ist kein Zufall, dass Berk dort, wo seine besten Freunde sind, Glück empfindet während er in der Schule, wo er keine engen Freunde hat, oft unglücklich ist. Geld spielt dabei eine sehr, sehr untergeordnete Rolle.


Wenn Sie an Ihre eigene Schulzeit zurückdenken, gibt es „Momente“; an die Sie sich besonders gerne /ungerne erinnern?

Alle Schulstreiche, an denen ich beteiligt war, gehören definitiv ins kleine Buch der großen Momente meiner Schulkarriere - mit dem Abistreich als krönenden Höhepunkt. Leider kennen die Amerikaner diese wunderbare Tradition nicht. Vielleicht sollte ich als nächstes Filmprojekt eine Abistreich-Komödie schreiben. Aber Spaß beiseite. Ich erinnere mich sehr gut daran, wie es sich anfühlte, Erwartungen in Bezug auf gute Noten zu erfüllen. Ich erinnere mich aber auch gern an (vereinzelt) großartige Lehrer, an Landschulheim-Fahrten, an Räuberleitern vor der Mädchenumkleide, an epische Schneeballschlachten im Winter, an das grandiose Gefühl, sich zu verlieben, an das noch grandiosere Gefühl, wenn das Mädchen der Träume mitbekam, dass man existiert. An den ersten Apple Macintosh Plus. An 14.4k Modems. Ich erinnere mich den Beginn von Freundschaften und an eine Zeit, in der alles möglich schien, in der man sich darauf freute, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Eine Zeit, in der die 40 ein Lichtjahre entferntes Konzept war. Das alles klingt nostalgischer, als es ist. Aber die Wahrheit ist: ich erinnere mich gern zurück, weil ich eine gute Kindheit hatte. Und dafür bin ich meinen Eltern - Erwartungen hin oder her - sehr, sehr dankbar.


Worauf darf sich das Publikum freuen? Und gibt es etwas, dass Sie Ihnen auf den Weg geben möchten?

Ja! Wenn Ihr Teenager seid, wenn Ihr vor dem Schulabschluss steht oder auf dem Weg dorthin seid, wenn ihr das Gefühl habt, Erwartungen gerecht werden zu müssen, überredet Euren Vater oder Eure Mutter, mit ins Kino zu kommen. Ich habe oft in Testvorführungen die Reaktion von Teenagern gehabt: ich wünschte, ich könnte den Film mit meinen Eltern sehen. Und es geht nicht darum, ob Ihr genauso wie Berk seid. Wir alle standen oder stehen noch vor der Aufgabe herauszubekommen, wo unser eigener Platz auf dieser langen Reise ist. Das ist die wichtigste Frage, die man sich im Leben stellen kann, und ich ermuntere Euch dazu, sie oft und in Abständen immer wieder zu stellen. Was will ich im Leben erreichen? Wo ist mein Platz in dieser großen, weiten Welt? Warum bin ich hier? Wenn Ihr Euch hinterfragt, wenn Ihr Euch nicht damit zufrieden gebt, was von Euch erwartet wird, sondern herausfindet, was Euch glücklich macht, wenn Ihr Euch dabei Fehler erlaubt, wenn Ihr von Zeit zu Zeit strauchelt, werden - und nur dann, und egal ob Ihr reich oder arm seid - wunderbare Dinge passieren.


Der Dreh liegt nun ja schon eine Weile zurück, stehen Sie noch in Kontakt zu den Schülern? Wie haben sich diese entwickelt?

Zu vielen sporadisch, zu manchen in regelmäßigen Abständen, zu Berk oft und sehr gern. Wir haben uns seit den Dreharbeiten mehrmals gegenseitig besucht. Ouwani, Abdulmohsen und Phil stehen kurz vor ihrem College-Abschluss. Berk hat nach der Schulzeit drei Jahre in den USA am College verbracht. Glücklich war er dort nicht, und so hat ihm sein Vater schließlich erlaubt, nach Istanbul zurück zu kommen und dort sein Studium aufzunehmen.

Foto:
© Verleih

Info:
BUCH & REGIE: Radek Wegrzyn [VIOLINISSIMO, SOMMER AUF DEM LAND]
SCHNITT: Jamin Benazzouz [GESTRANDET, TITOS BRILLE]
KAMERA: Johannes Louis [STORY OF BERLIN, BERLIN METANOIA],
                  Matthias Bolliger [4 BLOCKS, BOY 7]
                  Timon Schäppi [DIE GETRIEBENEN, TIGER GIRL]
                  Ferhat Topraklar [FIKKEFUCHS]

Abdruck aus dem Presseheft