f mids1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. März 2019, Teil 10

Rembert Brown und Jonah Hill

Berlin (Weltexpresso) - Mal abgesehen davon, daß es unüblich ist, daß in einem Presseheft zu einem Film ein Gespräch mit dem Regisseur über 15 (!) Seiten abgedruckt ist und sonst nichts, also nichts an Aussagen von anderen, die diesen Film beispielsweise produziert haben oder mitspielen, ist dieses Gespräch ebenso wie der ganze Film ein Zeitdokument und es wert, veröffentlicht zu werden. Wir tun das in drei Teilen, damit das Lesen spannend bleibt. Es lohnt. Die Redaktion

Browne: Einen Moment, lass mich nur mein Telefon auf Flugmodus stellen, damit meine Mutter mich nicht erreichen kann.

Hill: Tu das.


Browne: OK, also während ich die ersten zehn Minuten deines Films betrachte, überlege ich bereits, welcher Teil autobiographisch ist. Steckt ein kleiner Teil von dir in allen Figuren? Bist du einer der Charaktere oder keiner? Inwieweit stehen die Figuren, das Umfeld, die Kulisse in Bezug zu dir und deinem Leben?

Hill: Das ist eine sehr gute Frage. In erster Linie bin ich ein Autor und das ist eine Geschichte. Das heißt, es ist nicht autobiographisch. Es ist eine Geschichte, die ich erzählen wollte. Gefühle, die zum Ausdruck kommen und mit dem Erwachsenwerden zu tun haben, sind persönlich. Und vielleicht gab es Erlebnisse, die Freunde von mir hatten. Aber letztlich sind es komplexe Figuren, die ich erschaffen wollte, in einer Geschichte, die mir am Herzen lag.


Browne: Ich verstehe. Als du begonnen hast, die Geschichte zu entwickeln, was stand da am Anfang? Hast du dich zuerst auf die Handlungsorte konzentriert? Ging es vor allem um Skate-Kultur?

Hill: Nein, es ging nicht um die Kultur. Ich bin in den Mittneunzigern in L. A. auf dem Skateboard groß geworden. Und ich habe meine gesamte Zeit vor dem Gerichtsgebäude verbracht, das man im Film sehen kann.


Browne: Ich fand die Szenen, die dort spielen, großartig.

Hill: Wir haben das Gerichtsgebäude so wiederhergestellt, wie es damals war, mit den Graffitis und allem anderen. Die Stadt hat uns sogar erlaubt, es so zu lassen, was ich sehr cool finde. Beim Skaten, auch wenn ich nie besonders gut darin war, ging es für mich damals darum, mir einen Freundeskreis zu erschließen. Wenn du jünger bist, dann musst du dir deinen Weg im Tierreich emporarbeiten. Die Älteren gucken von oben auf die Jungen und ihre Schwierigkeiten herab. Es ist ein Film über das menschliche Tierreich und seine Gesetze. Ein Junges begibt sich in eine Gruppe, wo es lernt zu überleben und sich seinen Platz zu erkämpfen.

Browne: Genau.

Hill: Ich habe mich immer der Anti-Ethik des Skatens verbunden gefühlt. Um nur ein paar der Tricks zu beherrschen, die ich bei den Kids beobachten konnte, hätte ich alles geben. Aber noch wichtiger war, dass es mir eine neue Sichtweise sowie eine Zukunftsperspektive eröffnete. Und eben eine Familie außerhalb meines Zuhauses. Also selbst, wenn MID90s nicht meine Geschichte erzählt, so stellen das Gerichtsgebäude und Los Angeles den Hintergrund dar, vor dem ich aufgewachsen bin.

Browne: Ich erinnere mich daran, nicht nur der Jüngste, sondern auch der Kleinste gewesen zu sein. Mit diesen riesigen Jungs um mich herum, die mir vorkamen, als wären sie 20 Jahre älter, auch wenn es tatsächlich nur drei waren. Ich wollte cool, aber kein Versager sein. Während ich den Film sah, identifizierte ich mich mit den unterschiedlichen Figuren. Mir erscheinen sie alle unglaublich gut nachvollziehbar.

Hill: Dass du dich so gefühlt hast und wenn es anderen genauso geht, das ist das größte Kompliment, das man mir machen kann. Die Filme, die ich liebe, präsentieren komplexe Figuren mit der Möglichkeit zur Identifikation. Damals galt es als total uncool, motiviert zu erscheinen, besonders im Kontext von Skateboarding und Hip Hop. Es war so ziemlich das Lahmste überhaupt.

Browne: „Was, du gibst dir Mühe?“

Hill: Sich anzustrengen, war total abgeschmackt. Im Film reden wir darüber. Und daher genießen die Menschen, die einen dennoch motivieren konnten, bis heute einen besonderen Stellenwert. Ich wollte eine Figur im Film, die das verkörpert. Dann habe ich Na-Kel Smith getroffen, und er hat genau diese Eigenschaften. Weil er so cool ist, ein toller Schauspieler und nie abgeschmackt.

Browne: Er ist wirklich großartig.

Hill: Na-Kel kann jemanden spielen, der motiviert ohne kitschig rüber zu kommen. Und der Film konnte sich darauf verlassen. Diese Kids zu finden, den Film mit ihnen zu drehen und mitzuerleben, wie sie sich von Skatern in echte Schauspieler verwandeln, war vermutlich die bewegendste Erfahrung in meinem Leben.

Browne: Ja, ich wollte mich auch danach erkundigen, wo du die Kids aufgetrieben hast. Und wie du sie dazu gekriegt hast, zu dieser Crew zusammenzuwachsen.

Hill: Das sind zwei sehr unterschiedliche Fragen.

Browne: Ja, ich musste mich mittendrin korrigieren.

Hill: Es war fantastisch. Du kreierst diese Charaktere und wünschst dir nichts sehnlicher, als sie zum Leben zu erwecken. Ich kenne viele Leute im Bereich Skateboarding, einige von früher, manche habe ich erst kürzlich kennen gelernt. Also habe ich recherchiert und angefangen, mich mit Leuten zu treffen. Mein Freund und Koproduzent Mikey Alfred war mir eine große Hilfe. Aber dann habe ich Sunny in einem Skatepark getroffen. Wir hatten zu dem Zeitpunkt noch niemanden vorsprechen lassen. Er kam an, wir unterhielten uns, und er war es einfach.

Browne: Ja.

Hill: Ich war auf der Suche nach einem Kind, das zwar äußerlich klein, aber innerlich ein Riese ist. Und ich denke immer daran, dass Sunny am Ende des Films seinen Charakter viel besser versteht als am Anfang, mit all seinem Wagemut und seiner Selbstsicherheit. Deswegen erscheint er so glaubhaft. Man könnte die Figur so konstruieren, dass er schüchtern erscheint. Aber man kann nicht umgekehrt ein zaghaftes Kind ohne weiteres so tun lassen, als wäre es ein Draufgänger. Sunny ist eine Kombination aus beidem. Deswegen haben wir ihn noch am gleichen Tag für die Hauptrolle besetzt.

Browne: Das ist klasse!

Hill: Sie sind alle so unglaublich. Ich hatte nie eine Rolle, in der ich einen kompletten Film tragen musste, so wie Sunny in diesem Fall, und er war erst elf, als wir den Film gedreht haben. Ich liebe alle Kids, aber auch die Darstellung von Katherine und Lucas. Es war sehr wichtig für mich, was du gesagt hast darüber, wie es sich anfühlt, mit Leuten zu tun zu haben, die erwachsen scheinen im Vergleich zu dir, obwohl sie nicht viel älter sind. Das war wirklich ein extrem verwirrender Moment, und ich wollte das unbedingt angemessen rüberbringen im Film. Und Sunny befand sich gerade in genau dieser Phase seiner Entwicklung.

Browne: Als er am Ende des Films seine Mutter anschreit und wie er generell drauf ist, das war echt hart.

Hill: Sunny ist im realen Leben nicht so. Aber er ist selbstbewusst, skatet und hat folglich mit Älteren zu tun. Außerdem ist er es gewohnt, gefilmt zu werden, weil sie sich immer gegenseitig filmen beim Skaten. Jeder weiß, wie es sich anfühlt, schüchtern zu sein. Oder wie es ist, sich unwohl zu fühlen in einer Situation. Und mein Eindruck war, dass Sunny die Proben und das Spiel leichter fallen als einer nervösen, zurückhaltenden Person. In dem Fall stellt diese sich nur vor, was es heißt, explosiv zu sein.

Browne: Ist es dann nicht so, dass man versucht sich auszumalen, wie es wohl wäre, seine Mutter anzuschreien?

Hill: Genau. Aber wenn du eine sehr emotional geladene Person bist, die zur Explosion neigt, dann kannst du dich leicht an die Zeit erinnern, als du noch ein schüchterner Außenseiter warst.

Browne: Das ist der erste Film, den du geschrieben hast, ja?

Hill: Ja.

Browne: Wie war das? Was hast du gemacht? War das etwas, das du schon länger machen wolltest? Hast du dich irgendwo verkrochen? Bist du nach L.A. gegangen? Ich bin nur neugierig, wie du dich darauf vorbereitet hast, gleich zwei neuen Aufgaben, ein Drehbuch verfassen und Regie führen, gerecht zu werden. Das waren, glaube ich, acht Fragen auf einmal.

Hill: Alles gute Fragen. Wie ich mich vorbereitet habe? Durch all meine Erfahrungen. Ich habe die letzten 15 Jahre diese unglaubliche Filmschule durchlaufen. Als Schauspieler wollte ich schon immer schreiben und Regie führen. Und meine Schauspielkarriere ist so ein Segen. Sie hat Fahrt aufgenommen, und ich hatte die Möglichkeit, von meinen Helden zu lernen. Häufig konnte ich beobachten, wie Schauspieler zu früh Regie führen wollten. Die Person war vielleicht bereits ein guter Autor, aber es mangelte an Erfahrung, um Regie führen zu können.

Browne: Ja.

Hill: Letztlich war ich mir sicher, dass ich einen Film drehen und Jahre in ihn investieren würde. Mir war klar, dass ich eine Geschichte erzählen wollte, die mir etwas bedeutet. Dann schrieb ich vor einigen Jahren mit Spike Jonze an einem Theaterstück. Nach Feierabend haben wir uns darüber ausgetauscht, woran wir gerade individuell arbeiten. Also haben wir uns gegenseitig die Geschichten erzählt, von Anfang bis Ende, was eine gute Schreibübung darstellt. Ich war dabei, meinen ersten Film zu schreiben. Die Geschichte handelte von etwas völlig anderem. Aber es gab Flashbacks zu der Zeit, als die Hauptfigur zwölf Jahre alt und mit Freunden auf dem Skateboard unterwegs war. Und Spike meinte, dass ich total gelangweilt aussehe, während der Hauptgeschichte, aber aufleuchte bei den Passagen mit den Rückblenden. Er hat gesagt, ich solle doch lieber nur diesen Film schreiben.

Browne: Wann war das?

Hill: Vor vier Jahren.

Browne: Und das war der Moment?

Hill: In dem Moment habe ich mich entschieden MID90s zu schreiben.

Browne: Ich steh drauf!

Hill: Und es war einfach diese unglaubliche Erfahrung. Ich habe den Film heute früh abgeschlossen. Alles fühlt sich im Moment hochemotional für mich an.

Browne: Natürlich tut es das. Gratuliere!

Hill: Ich danke dir vielmals, ernsthaft. Über vier Jahre habe ich alles, was ich konnte, in dieses Projekt investiert, wenn ich überschüssige Energie hatte oder mich einsam fühlte. Der Film ist wie mein bester Freund.

FORTSETZUNG FOLGT

Browne: Jep.

P.S.
Buch & Regie Jonah Hill

Rembert Browne ist ein Autor aus Atlanta und zurzeit in New York ansässig. Während seiner Arbeit für Grantland und das New York Magazine führte er eine Reihe hochkarätiger Interviews, unter anderem mit Barack Obama, Lin-Manuel Miranda, Issa Rae und Donald Glover. Neben seinen Beiträgen für The Ringer hat er zuletzt die Titelgeschichte des Time Magazine über Spike Lee verfasst.

Foto:
© Verleih


Info:
MID90s
Stevie        Sunny Suljic
Dabney      Katherine Waterston
Ian              Lucas Hedges
Ray            Na-Kel Smith
Fuckshit     Olan Prenatt
Ruben        Gio Galicia
Todd          Harmony Korine

Ausführliche Besetzungsdaten

BESETZUNG

SUNNY SULJIC (STEVIE) ist ein professioneller Skater und Schauspieler, den man unter anderem in Yorgos Lanthimos' THE KILLING OF A SCARED DEER (2017), in Gus Van Sants DON'T WORRY, WEGLAUFEN GEHT NICHT (2018) sowie aktuell in Eli Roth' DAS HAUS DER GEHEIMNISVOLLEN UHREN (2018) erleben kann.

LUCAS HEDGES (IAN) ist ein professioneller Schauspieler und bekannt für Greta Gerwigs LADY BIRD (2017), Martin McDonaghs THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI (2017) sowie für Kenneth Lonergans MANCHESTER BY THE SEA (2016), der ihm eine Nominierung für den Oscar® als Bester Nebendarsteller einbrachte. Er hatte außerdem Auftritte in Wes Andersons MOONRISE KINGDOM (2012) und GRAND BUDAPEST HOTEL (2014). Dieses Jahr kommen gleich vier Filme mit ihm in die Kinos, BEN IS BACK (2018), an der Seite von Julia Roberts, Joel Edgertons DER VERLORENE SOHN (2018), der ihn mit Russell Crowe und Nicole Kidman zusammenbringt, das romantische Musical WAVES (2019) und das Drama HONEY BOY (2019), in dem er sich die Leinwand mit Shia LaBeouf teilt.

KATHERINE WATERSTON (DABNEY) erlebte ihren Durchbruch mit Paul Thomas Andersons INHERENT VICE – NATÜRLICHE MÄNGEL (2014). Aktuell kann man sie in PHANTASTISCHE TIERWESEN: GRINDELWALDS VERBRECHEN (2018) an der Seite von Johnny Depp und Eddie Redmayne bewundern. Weitere Filme mit ihr sind Danny Boyles STEVE JOBS (2015), Ridley Scotts ALIEN: COVENANT (2017) und Steven Soderberghs LOGAN LUCKY (2017). Das Drama AMUNDSEN (2019) und der Science-Fiction-Film FLUID (2019) befinden sich in der Postproduktion.

NA-KEL SMITH (RAY) ist ein professioneller Skater. Er bekam sein erstes Board von seinem Onkel Kareem Campbell, einer lebenden Skateboarding-Legende. Er skatet für Fucking Awesome, Supreme und Adidas, mit denen er auch Schuhe entworfen hat. Na-Kel ist einer der Gründer des Hip Hop-Kollektivs Odd Future, gemeinsam mit Tyler the Creator und Earl Sweatshirt. MID90s ist sein erster Spielfilm.

OLAN PRENATT (FUCKSHIT) ist in Venice Beach, Kalifornien aufgewachsen und hat bereits früh angefangen, an Skate-Wettkämpfen teilzunehmen. Olan hat die USA, Europa und Australien bereist. Er skatet für Rogue Status sowie seine Entourage, Illegal Civilization. Olan hat außerdem für Sprite, Orange Mobile, Ray-Ban, Rag & Bone, All Saints, Hugo Boss, Gucci und Versace gemodelt. MID90s stellt sein Filmdebüt dar.

GIO GALICIA (RUBEN) ist in North Hollywood, Kalifornien geboren und aufgewachsen. Er begann, mit zwölf Jahren zu skaten und schloss sich alsbald Illegal Civilization an. MID90s ist sein erster Film.

RYDER MCLAUGHLYN (FOURTH GRADE) wuchs in Moorpark, Kalifornien auf. Er fing bereits im Alter von sechs Jahren mit dem Skaten an, nachdem sein älterer Bruder ein Board mit nach Hause gebracht hatte. Ryder skatet für Illegal Civilization und drückt sich in den Bereichen Illustration, Design und Video aus. MID90s stellt sein Schauspieldebüt dar.

ALEXA DEMIE (ESTEE) hat in DIE ABENTEUER VON BRIGSBY BÄR (2017) an der Seite von Mark Hamill gespielt. Im Fernsehen konnte man sie unter anderem in RAY DONOVAN und LOVE erleben. Alexa hat eine tragende Rolle in Sam Levinsons neuer Serie EUPHORIA und spielt außerdem in dem Musical WAVES (2019) an der Seite von Lucas Hedges.

Abdruck des Interviews aus dem Presseheft