Serie: Die heute anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. März 2013, Teil 1
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Er selbst hat erzählt, daß er ursprünglich nur einen einzigen Film hat machen wollen, der österreichische Regisseur Ulrich Seidel, einen Film über eine Familie mit vielen Frauen. Dann aber entschied er sich, die Familienmitglieder zu trennen und ihnen eigene Geschichten auf den Leib zu filmen.
PARADIES GLAUBE
Hier ist es Maria im zweiten Teil der Trilogie PARADIES, der als Film völlig für sich steht und den man als Teil nur wahrnimmt, wenn man weiterdenkt, daß sie jetzt Ferien hat, während die rundherum runde Schwester in Kenia Liebesurlaub macht, sich in der Liebe in LIEBE von Schwarzen bedienen läßt und dafür zahlt. Maria ist deren Gegenteil, denkt man erst einmal, die sich im Leben sehr viel aufbürdet, will sie doch ganz Wien als erstes und dann ganz Österreich „katholisch machen“.
Denn nicht um ein formales Glaubensbekenntnis geht es ihr – die meisten Österreicher sind schon katholisch, gehören der römisch-katholischen Kirche an - sondern um das Mitleben von Jesus und Maria im Alltag. Die ganze Gestalt dieser herben Maria in den Vierzigern, innen und außen, ist auf dieses Ziel ausgerichtet und man sitzt einigermaßen fassungslos im bequemen Kinostuhl in Mitteleuropa, wenn Maria nun loslegt. Zuerst einmal gegen sich selbst, gegen das sündige Fleisch. Wie es die Märtyrer vorgemacht haben, ist die Selbstgeißelung kniend vor dem Christuskreuz nur der Anfang, mit der sie die eigenen Sünden wie die der sündigen Welt büßen will. Ihre Liebe zu Jesus ist ihr so übermächtig, daß sie sogar mit dem Kreuz ins Bett steigt, wo ihre wehen Knie ausruhen dürfen, mit denen sie betend durch die Wohnung rutschte. Ja, manchmal hat der Film auch etwas Lächerliches, aber das Lachen bleibt einem im Halse stecken.
Wir waren selten bei einem Film derart schockiert, aufgewühlt und völlig uneins, wie wir das nun fanden, was wir sahen. Derart fremd kommt uns hier Wien vor und eine Person wie diese Maria. Es ist aber ein altes Geheimnis, daß alles das, was einen innerlich beschäftigt, eben doch mehr mit einem selber und eigener Zeit und Raum zu tun hat, als man vordergründig denkt. Denn auch, wenn nicht der Glaube unsere Baustelle wäre, ist es aber das Leben im Glauben dieser Maria, das zu uns durchdringt.
Wir finden den Film grandios gemacht. Gerade durch den schnörkellosen Erzählton, der einfach darstellt, ohne Kommentare zu liefern, fordert er vom Zuschauer eine eigene Meinung zu dem, was er sieht. Dabei hat Regisseur Ulrich Seidl klug eingeplant, daß man als erschütterter Zuschauer auch lachen darf. Denn die Missionierungen mit der Jungfrau Maria als Wanderstatue im Arm in den Armenvierteln von Wien, den österreichischen 'Plattenbauten', in der Regel von Ausländern belegt, bringt soviel Situationskomik mit sich, wenn sich beispielsweise Mohammedaner dagegen wehren oder russischen Prostituierten das ganz normal vorkommt.
Unglaublich auch die Szenen, wenn die Mitglieder dieser christlichen Sekte, so muß man das verstehen, das gemeinsame Ritual des Betens vollziehen, das sie wie Süchtige gen Himmel richten, sich dadurch als Gemeinschaft aber irdisch stark machen wollen, denn hier sind sie endlich Teil von etwas, wo sie sonst allein durch die Welt ziehen. Die Momente der Einsamkeit sind in GLAUBE die stärksten. Wenn Maria ihren Kaffee trinkt und sich auf ihren Bittgang vorbereitet, wenn sie bei Wind und Wetter die Wandermaria im Arm durch Straßen, S-Bahnhöfe, über Gleise und Autostraßen sowie Feldwege stapft, und dann angekommen vor den Türen ihr Lächeln aufsetzt und mit sanfter, aber bestimmender Stimme ausführt: „Die Gottesmutter kommt zu Besuch“, „Die Gottesmutter Maria besucht Sie.“
Was geht in der Frau vor, fragt sich der psychologisch geschulte Kinozuschauer. Er fragt sich das erst recht bei den häuslichen Szenen der Bestrafung des Ichs, die, wie man sieht, Maria nötig hat, denn sie geben ihr das Gefühl von sich selber. Man muß diese Psychologisierung der Maria aber sofort abbrechen, weil sie nicht der Weg zum Verständnis dieses Films ist, der uns ja gerade eine dem Allerweltsbürger völlig fremde Person zeigt, die aber unter uns lebt. Wie viele davon gibt es, ist eine Anschlußfrage, die genauso wenig interessiert, denn Ulrich Seidel zeigt uns hier die eine.
So sehr wir vom Film fasziniert, weil erschrocken, aber betroffen, weil schockiert, aber nachdenklich waren, so wenig können wir mit dem Filmabschluß anfangen, wenn auf einmal ein Ehemann auftaucht, der nach einem Unfall gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen, aus Ägypten zurückkommt, einfach deshalb, weil er sich dort bei seiner Familie aufhielt, er ist nämlich ein mohammedanischer Ägypter. Also auch ein Fundamentalist wie Maria, nur in anderer Richtung. Er fordert jetzt seine Versorgung von Maria, die sie ihm widerwillig gewährt, die er aber auch als christliche Geste von ihr einfordert, was sie nicht verweigern kann. Sieht es mit dem ehelichen Beischlaf wirklich anders aus, der ihm – wie er ausdrücklich betont – rechtlich und moralisch zusteht.
Da gibt es zwar auch urkomische Szenen, aber das wird einem dann alles zu viel. Vergessen haben wir, ausdrücklich Maria Hofstätter als Verkörperung der Maria zu würdigen. Sie macht das phänomenal.