N.N.
Berlin (Weltexpresso) - VOM LOKFÜHRER, DER DIE LIEBE SUCHTE... erinnert an ein modernes Märchen. Wie kamen Sie darauf, die Geschichte rings um einen BH zu erzählen?
Ein sehr spezielles Viertel in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku hat mich zu dieser besonderen Geschichte inspiriert. Dort wurden Häuser so eng an Eisenbahngleise gebaut, dass die Gleise zuweilen auch als Fußweg, als Straßen und als Spielplatz herhalten müssen. Das Leben spielt sich in diesem Viertel auf den Gleisen ab, auf denen mehrmals am Tag riesige Ölzüge durchfahren. Die Bewohner nennen ihr Viertel „Schanghai“; obwohl es mit China nichts zu tun hat. Mir kam die Idee zu einer Geschichte über einen einsamen Lokführer, der nach Feierabend den Bewohnern von Schanghai die Dinge zurückbringt, die seine Lok zuvor mitgerissen hat. Am Tag als er in Rente geht, fi ndet er einen BH. Der Film erzählt von der langen Suche nach der Besitzerin des Kleidungsstücks.
Wie wurden Sie auf Ihren außergewöhnlichen Drehort aufmerksam?
Aserbaidschan hat mich seit dem Dreh von „Absurdistan“ nicht mehr losgelassen. Das Land liegt an der ehemaligen Seidenstraße und ist trotz seiner Abgeschiedenheit zwischen Russland, Armenien und Iran Schnittstelle verschiedener Kulturen und Religionen. Hier koexistieren Moslems, Christen und Juden friedlich nebeneinander. Ich wollte seit Jahren in Khinaliq drehen, dem höchsten bewohnten Ort in Europa. Doch erst als ich das Viertel Schanghai in Baku gesehen habe, hat es Klick gemacht und ich hatte die Idee, beide Orte narrativ in einem Film zusammenzuführen.
Bereits 2014 wurde berichtet, dass das Viertel Schanghai abgerissen werden sollte. Es war ein Glücksfall, dass die Finanzierung des Films endlich 2017 zustande kam und ich die Dreharbeiten einen Tag vor Beginn des Abrisses abschließen konnte.
Worin liegt der erzählerische Vorteil, wenn man auf Dialoge verzichtet?
Dialoge sind eine vollkommen unfi lmische Form des Erzählens. Das Kino sollte Geschichten mit Bildern und Tönen erzählen, wie es schon Truffaut und Hitchcock wunderschön formuliert haben. Doch als Filmemacher kann man nicht einfach die Dialoge aus den Drehbüchern streichen, weil dann der Sinn der Geschichten verloren geht. Filme ohne Dialoge müssen aufwendig entwickelt werden. Eine Geschichte ohne Dialoge zu erzählen ist eine enorme Herausforderung. Aber ich denke, für das Kinopublikum ist das Betrachten des finalen Werks auch eine besondere Erfahrung.
Welchen Effekten, die Sprache im Film ausübt, wollten Sie gern aus dem Weg gehen?
Dialoge sind wie abgefilmtes Theater, hat Alfred Hitchcock gesagt. Mit Dialogen zu erzählen ist der einfachste, um nicht zu sagen der primitivste Weg. Visuelles Erzählen ist die Kür. Und Sprache ist auch das, was Filmen das Reisen schwer macht. Den sowohl Synchronisation als auch Untertitel sind vom künstlerischen Standpunkt aus unzufriedenstellende und zuweilen gar frevelhafte Entstellungen von Kunstwerken. Filmemacher arbeiten jahrelang beim Buch, beim Dreh und im Schnitt an feinen Toneffekten. Später wird in vielen Ländern über die Tonspur ein Offsprecher drübergeklatscht, der die Tonspur niederwalzt.
VOM LOKFÜHRER... kommt ohne Dialoge aus, ist aber kein Stummfilm. Wo genau liegt der Unterschied?
Auch wenn ich es liebe, dass meine Filme in einer eigenen Zeit spielen, irgendwo zwischen gestern und morgen, liegt mir der Ton sehr am Herzen. Bei Sounddesignern bin ich gefürchtet, weil ich mir jede der 240 Geräuschspuren vor der Mischung einzeln anhöre. Die Abwesenheit von Dialog verlangt, dass man sich beim Ton mehr Mühe geben muss. Es ist quasi eine Entfesselung, da der akustische Raum von Anfang bis Ende bespielt werden muss. Der Zuschauer hört auf einmal, weil die Schauspieler nicht ständig quasseln!
In letzter Zeit haben Filme, die das Verhältnis von Text und Bild anders denken, Konjunktur – man denke an „The Artist“ oder auch neue, plötzlich massenkompatible Formen wie „La La Land“. Woher kommt dieses Interesse an veränderten Erzählformen?
Es gab zu Ende der Stummfilmära bereits einen Wettbewerb unter Filmregisseuren, möglichst wenig Textkarten zu verwenden. Filme wie „Menschen am Sonntag“ waren visionär. Aber mit dem Aufkommen des Tonfilms hat die Filmkunst einen mächtigen Rückschlag erlitten. Dennoch treibt es einen als Filmemacher an, Geschichten mit Bildern zu erzählen, quasi Kino in Reinform zu erschaffen.
Das Erzählen wird sich auch durch immer kleinere und lichtstärkere Kameras weiter verändern. So schwer mir der Wechsel von analog zu digital gefallen ist, ich bin dankbar, dass die Kameras wieder leicht sind und ich nicht vier Licht-Lkws am Bein hängen habe.
Hat Ihr Film bei aller Unterschiedlichkeit dennoch etwas mit dem klassischen Stummfilmerbe zu tun und wenn ja, was wäre das?
Ich wollte nie einen Stummfilm drehen, dafür liebe ich Ton zu sehr. Es sollte ein Film sein, in dem die Abwesenheit der Sprache nicht der Geschichte abträglich ist, sondern im Gegenteil die Fantasie der Zuschauer anspricht.
Welche Rolle kommt unter diesen Bedingungen der Filmmusik zu und nach welchen Kriterien haben Sie die Musik ausgewählt?
Wenn man es sich einfach machen wollte, könnte man bei einem Film ohne Dialog überall Musik draufklatschen. Mit zu viel Musik verrennt sich schon das Fernsehen trotz seiner vielen Dialoge. Musik ist für mich da am kostbarsten, wo sie fein dosiert appliziert wird.
Die Musik von Cyril Morin ist mir das erste Mal bei den Filmen „Samsara“ und „Die Syrische Braut“ aufgefallen. Morin hat das besondere Talent, Score und Songs kreieren zu können. Und er schafft es, Klänge aus fernen Ländern in die Musik einzuweben, ohne dass es aufgesetzt klingt. Wir waren schon mehrmals im Gespräch zwecks einer Zusammenarbeit, aber er war immer ausgebucht. Diesmal habe ich ihn sehr früh angesprochen und wir haben uns lange vor den Dreharbeiten getroffen und über Ideen gesprochen. Überraschend war für uns beide am Ende, dass für VOM LOKFÜHRER, DER DIE LIEBE SUCHTE... Klänge aus Osteuropa oder dem Orient für den Score nicht passend waren. Dass die Geschichte an einem besonderen Ort spielt, haben die Bilder erzählt. Wichtiger war es, die Gefühlsebene des Protagonisten zu transportieren. Für die Frauenfiguren jedoch habe ich alte Schlager aus Aserbaidschan gefunden, die bei ihnen im Radio oder auf dem Plattenspieler laufen.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
© Verleih
Info:
Nurlan Miki Manojlović
Lehrling Denis Lavant
Weichenstellerin Chulpan Khamatova
Kleiner Junge Ismail Quluzade
Betrügerin Maia Morgenstern
Vergessliche Frau Paz Vega
Tänzerin Frankie Wallach
Braut Boriana Manoilova
Dorfmädchen Sayora Safarova
https://www.neuevisionen.de/index.php?https://www.neuevisionen.de/einzelfilm.php?id=1255
Worin liegt der erzählerische Vorteil, wenn man auf Dialoge verzichtet?
Dialoge sind eine vollkommen unfi lmische Form des Erzählens. Das Kino sollte Geschichten mit Bildern und Tönen erzählen, wie es schon Truffaut und Hitchcock wunderschön formuliert haben. Doch als Filmemacher kann man nicht einfach die Dialoge aus den Drehbüchern streichen, weil dann der Sinn der Geschichten verloren geht. Filme ohne Dialoge müssen aufwendig entwickelt werden. Eine Geschichte ohne Dialoge zu erzählen ist eine enorme Herausforderung. Aber ich denke, für das Kinopublikum ist das Betrachten des finalen Werks auch eine besondere Erfahrung.
Welchen Effekten, die Sprache im Film ausübt, wollten Sie gern aus dem Weg gehen?
Dialoge sind wie abgefilmtes Theater, hat Alfred Hitchcock gesagt. Mit Dialogen zu erzählen ist der einfachste, um nicht zu sagen der primitivste Weg. Visuelles Erzählen ist die Kür. Und Sprache ist auch das, was Filmen das Reisen schwer macht. Den sowohl Synchronisation als auch Untertitel sind vom künstlerischen Standpunkt aus unzufriedenstellende und zuweilen gar frevelhafte Entstellungen von Kunstwerken. Filmemacher arbeiten jahrelang beim Buch, beim Dreh und im Schnitt an feinen Toneffekten. Später wird in vielen Ländern über die Tonspur ein Offsprecher drübergeklatscht, der die Tonspur niederwalzt.
VOM LOKFÜHRER... kommt ohne Dialoge aus, ist aber kein Stummfilm. Wo genau liegt der Unterschied?
Auch wenn ich es liebe, dass meine Filme in einer eigenen Zeit spielen, irgendwo zwischen gestern und morgen, liegt mir der Ton sehr am Herzen. Bei Sounddesignern bin ich gefürchtet, weil ich mir jede der 240 Geräuschspuren vor der Mischung einzeln anhöre. Die Abwesenheit von Dialog verlangt, dass man sich beim Ton mehr Mühe geben muss. Es ist quasi eine Entfesselung, da der akustische Raum von Anfang bis Ende bespielt werden muss. Der Zuschauer hört auf einmal, weil die Schauspieler nicht ständig quasseln!
In letzter Zeit haben Filme, die das Verhältnis von Text und Bild anders denken, Konjunktur – man denke an „The Artist“ oder auch neue, plötzlich massenkompatible Formen wie „La La Land“. Woher kommt dieses Interesse an veränderten Erzählformen?
Es gab zu Ende der Stummfilmära bereits einen Wettbewerb unter Filmregisseuren, möglichst wenig Textkarten zu verwenden. Filme wie „Menschen am Sonntag“ waren visionär. Aber mit dem Aufkommen des Tonfilms hat die Filmkunst einen mächtigen Rückschlag erlitten. Dennoch treibt es einen als Filmemacher an, Geschichten mit Bildern zu erzählen, quasi Kino in Reinform zu erschaffen.
Das Erzählen wird sich auch durch immer kleinere und lichtstärkere Kameras weiter verändern. So schwer mir der Wechsel von analog zu digital gefallen ist, ich bin dankbar, dass die Kameras wieder leicht sind und ich nicht vier Licht-Lkws am Bein hängen habe.
Hat Ihr Film bei aller Unterschiedlichkeit dennoch etwas mit dem klassischen Stummfilmerbe zu tun und wenn ja, was wäre das?
Ich wollte nie einen Stummfilm drehen, dafür liebe ich Ton zu sehr. Es sollte ein Film sein, in dem die Abwesenheit der Sprache nicht der Geschichte abträglich ist, sondern im Gegenteil die Fantasie der Zuschauer anspricht.
Welche Rolle kommt unter diesen Bedingungen der Filmmusik zu und nach welchen Kriterien haben Sie die Musik ausgewählt?
Wenn man es sich einfach machen wollte, könnte man bei einem Film ohne Dialog überall Musik draufklatschen. Mit zu viel Musik verrennt sich schon das Fernsehen trotz seiner vielen Dialoge. Musik ist für mich da am kostbarsten, wo sie fein dosiert appliziert wird.
Die Musik von Cyril Morin ist mir das erste Mal bei den Filmen „Samsara“ und „Die Syrische Braut“ aufgefallen. Morin hat das besondere Talent, Score und Songs kreieren zu können. Und er schafft es, Klänge aus fernen Ländern in die Musik einzuweben, ohne dass es aufgesetzt klingt. Wir waren schon mehrmals im Gespräch zwecks einer Zusammenarbeit, aber er war immer ausgebucht. Diesmal habe ich ihn sehr früh angesprochen und wir haben uns lange vor den Dreharbeiten getroffen und über Ideen gesprochen. Überraschend war für uns beide am Ende, dass für VOM LOKFÜHRER, DER DIE LIEBE SUCHTE... Klänge aus Osteuropa oder dem Orient für den Score nicht passend waren. Dass die Geschichte an einem besonderen Ort spielt, haben die Bilder erzählt. Wichtiger war es, die Gefühlsebene des Protagonisten zu transportieren. Für die Frauenfiguren jedoch habe ich alte Schlager aus Aserbaidschan gefunden, die bei ihnen im Radio oder auf dem Plattenspieler laufen.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
© Verleih
Info:
Nurlan Miki Manojlović
Lehrling Denis Lavant
Weichenstellerin Chulpan Khamatova
Kleiner Junge Ismail Quluzade
Betrügerin Maia Morgenstern
Vergessliche Frau Paz Vega
Tänzerin Frankie Wallach
Braut Boriana Manoilova
Dorfmädchen Sayora Safarova
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