Bildschirmfoto 2019 03 21 um 02.28.15Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. März 2019, Teil 11

N.N.

Paris (Weltrexpresso) - Als Edmond Rostand (1868–1918) im April 1897 begann, sein Versdrama über den „letzten Musketier“ Cyrano, eine historische Figur aus dem 17. Jahrhundert, zu verfassen, hatte er sich bereits einen gewissen Namen in der Pariser Theaterszene gemacht. Er stand allerdings als junger Vorstand einer vierköpfigen Familie auch unter erheblichem Erfolgsdruck, da er sich als 20-Jähriger mit seinem selbst produzierten Vaudeville-Stück „Der rote Handschuh“ verschuldet hatte.

Gegen den Willen seines großbürgerlichen, durchaus kunstinteressierten, aber ökonomisch orientierten Elternhauses in Marseille betätigte sich Edmond nach seinem Studium in Paris nicht als Jurist, sondern wollte Dichter sein. Das verband ihn auch mit seiner Frau Rosemonde, die ähnliche Ambitionen hatte, diese aber im Lauf der Zeit zurückstellte, um Edmond zu unterstützen. Seit 1894, als er mit mäßigem Erfolg ein Stück am Théâtre Molière platziert hatte, war Rostand mit den beiden größten Schauspielern seiner Zeit bekannt, Sarah Bernhardt und Constant Coquelin. Die 20 Jahre ältere Sarah Bernhardt schwärmte für den jungen Dichter und brachte 1895 in ihrem eigenen Theater sein vieraktiges, für sie konzipiertes Versdrama „Die ferne Prinzessin“ zur Aufführung, in dem sie selbst die Titelrolle spielte. Es ist im Mittelalter angesiedelt und handelt von einem provenzalischen Troubadour, dem historisch belegten Jaufré Rudel, der sich aufgrund der Erzählung heimkehrender Kreuzfahrer in eine orientalische Prinzessin verliebt. Auch dieses Stück kam, wie „Der rote Handschuh“, über einen Achtungserfolg nicht hinaus, Sarah Bernhardt verlor Geld, nicht jedoch ihren Glauben an Rostands Genie.

Und sie sollte Recht behalten, denn mit „Cyrano de Bergerac“ hatte der Dichter offensichtlich einen Stoff gewählt und eine Form gefunden, die einerseits den Zeitgeist perfekt trafen, dessen Inhalt darüber hinaus aber auch, wie der bis heute anhaltende Welterfolg des Stoffs belegt, mehrere die Menschen zutiefst anrührende Grundideen anspricht: 1. Hinter einem wenig ansprechenden Äußeren verbirgt sich oft eine Seele, die durchaus Beachtung verdient; 2. Es gibt eine wertvolle, sozusagen länderunabhängige Form des Patriotismus; 3. Nicht jeder Text muss aus der Feder dessen stammen, der sich damit schmückt – ein gerade heute wieder brandaktuelles Thema!

Nachdem in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts beim Publikum eine gewisse Übersättigung mit Vaudeville-Stücken und naturalistischer Literatur eingetreten war, kam das romantische Versdrama, das noch dazu in äußerst unterhaltsamer Form eine Figur der französischen Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts behandelt, gerade recht.

Der historische Hector Savinien de Cyrano (1619–1655) entstammte einer ursprünglich bürgerlichen Pariser Familie, die zwei Generationen zuvor zu ihrem Adelstitel gekommen war und von einer Familie aus der Gascogne zwei Landgüter erworben hatte. Nach einem dieser Güter nannte sich Cyrano „de Bergerac“ und veröffentlichte unter diesem Namen den zweiteiligen Roman „Die andere Welt“, in dem der Ich-Erzähler Reisen zum Mond und zur Sonne sowie Begegnungen mit deren Bewohnern beschreibt. Der historische Cyrano nutzte seine frühe Form des Science-Fiction-Romans, um durch seine Protagonisten politisch missliebiges, aufklärerisches Gedankengut in die Welt zu tragen. Außerdem war Cyrano bei seinen Militärkollegen als Haudegen, Duellist und großer Verskünstler bekannt. Dazu noch die groteske Erscheinung aufgrund der wohl tatsächlich übergroßen Nase – ein Stoff wie geschaffen für Edmond Rostand, der sich ja schon wiederholt mit historischen Persönlichkeiten befasst hatte.

In seinem romantischen Versdrama voller Wortwitz zeigt Rostand also das (fiktiv abgewandelte) Schicksal des missgestalteten, aber geistvollen Dichters und Soldaten Cyrano, der sich in seine schöne Cousine Roxane verliebt, sich aber aus Angst vor Zurückweisung nicht erklärt. Als er merkt, dass sich Roxane ihrerseits von seinem gutaussehenden Freund Christian angezogen fühlt, verhilft er den beiden zu ihrem vermeintlichen Glück, indem er Roxane in Christians Namen Briefe schreibt. Denn vor allem will Cyrano verhindern, dass der Regimentshauptmann Guiche, der ebenfalls ein Auge auf Roxane geworfen hat, sie zu seiner Geliebten macht. Als Christian und Roxane heiraten, ist Guiche so erbittert, dass er die beiden ungleichen Freunde Cyrano und Christian im französisch-spanischen Krieg an die vorderste Front schickt, wo Christian stirbt. Roxane geht ins Kloster, und Cyrano besucht sie regelmäßig, aber erst 15 Jahre später, als er selbst tödlich verwundet bei ihr eintrifft, verrät er versehentlich seine Urheberschaft an den Briefen, und Roxane muss erkennen, dass sie den falschen Mann geliebt hat.

Der immense Erfolg des Stücks – angeblich wurde schon am Ende der Uraufführung eine volle Stunde lang applaudiert, und keiner außer Victor Hugo hat in Frankreich zu Lebzeiten für sein Werk einen derartigen Zuspruch erlebt – verdankt sich geistreichen Wortgefechten und volksliedhaften Einlagen ebenso wie der Wiedererweckung des totgesagten französischen Versdramas in Alexandrinern, sozusagen einem nationalen wie kulturellen Anliegen, dessen Befriedigung sich darin auszahlte, dass man Rostand als nationalen Dichter feierte. Zudem wurden „Cyranos aufrüttelnde Tiraden über aufrechte Gesinnung und Mannesmut ... im Zusammenhang mit der alle Gemüter bewegenden Dreyfus-Affäre, in der Rostand sich bereits aktiv für den wahrscheinlich zu Unrecht Verurteilten eingesetzt hatte, als gezielter Appell an das Gewissen der Nation verstanden“ (Quelle: Kindlers Literatur Lexikon (dtv, Bd. 3, S. 2301). Edmond Rostand, der sich wie gewohnt pessimistisch auf einen weiteren Misserfolg einstellte, mischte sich bei der Premiere im ersten Akt auf der Bühne unter die Schauspieler, um im Notfall ordnend vor Ort zu sein. In dieser Nacht wurde er weit über die Grenzen von Paris hinaus berühmt.

Im weiteren Verlauf entwickelte sich sein „Cyrano“ in den nunmehr 120 Jahren seines Bestehens zum meistgespielten französischen Theaterstück aller Zeiten, und alle Menschen, deren Muttersprache Französisch ist, haben es mit der ersten Schulbildung in sich aufgenommen, zumal es auch einen profunden Zitatenschatz birgt. Darüber hinaus erlebt der Stoff auch international bis heute zahlreiche Wiederaufnahmen in Form von Oper (Walter Damrosch, 1913; Franco Alfano, Italien, 1936, 2004/05 wiederaufgeführt an der New Yorker Metropolitan Opera mit Placido Domingo; Jack Beesons, „Cyrano“, 1994; David DiChiera, „Cyrano“, 2007), Film („Der letzte Musketier“, 1950, mit José Ferrer; „Roxanne“, 1987, mit Steve Martin; „Cyrano de Bergerac“, 1990, von Jean-Paul Rappeneau mit Gérard Depardieu) Ballett (Marius Constant, 1959; Anna Vita, „Cyrano de Bergerac“, 2013; Goyo Montero, „Cyrano“, 2014) und Musical (Marc Schubring/Wolfgang Adenberg, „Cyrano“, 1995, mit Jonas Kaufmann; Hal Shaper/David Reeves, „Cyrano – The Musical“, 1996; Ad und Koen van Dijk/Curt Werner, „Cyrano – Das Musical“, 1999).

Die jüngste „Wiederaufnahme“ ereignet sich nun indirekt mit Alexis Michaliks Film VORHANG AUF FÜR CYRANO: Der Film spiegelt die Handlung des Originalstücks „Cyrano de Bergerac“ augenzwinkernd in der sich anbahnenden Liebesgeschichte zwischen Edmonds Freund Leo und der hübschen Jeanne, mischt akkurat recherchierte Fakten über den Autor, sein zeitgenössisches Umfeld und die Entstehungsgeschichte seines Stücks voller Witz, Tempo und Ironie mit Michaliks eigenen Phantasien und erzeugt so auf der Leinwand einen fröhlich beschleunigten Wirbel aus dem Nebeneinander von Versen und moderner Sprache, Verwechslungsgeschichten in bester Slapstick-Manier sowie optischer Opulenz mit Theaterinterieurs und Bildern eines romantisierten Paris der Belle Epoque.

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© Verleih

Info:
BESETZUNG
Edmond Rostand (Bühnenautor und Regisseur)                Thomas SOLIVÉRÈS
Constant Coquelin (Berühmter franz. Schauspieler – spielt Cyrano)  Olivier GOURMET
Maria Legault (Spielt Roxane)                                             Mathilde SEIGNER
Léo Volny (Schauspieler und Freund von Edmond – spielt Christian) Tom LEEB
Jeanne (Theatergarderobiere und Léos Angebetete)          Lucie BOUJENAH
Rosemonde (Edmonds Frau) .                                            Alice DE LENCQUESAING
Sarah Bernhardt (Berühmte französiche Schauspielerin)   Clémentine CÉLARIÉ
Jean Coquelin (Sohn von Constant, spielt De Guiche / Carbon)        Igor GOTESMAN