WAS BLEIBT, ein Film von Hans-Christian Schmid



Romana Reich



Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein Film, der mit richtig guten Schauspielern beides transportiert: Familienbande, das Wort hat mit den Worten von Karl Kraus „einen Beigeschmack von Wahrheit“ und es ist gleichzeitig der unauflösliche Ort der Erinnerung an Kindheit und Heimat. Mit beidem haben wir es hier in diesem Film zu tun.



Die Hauptrolle spielt Sohn Marko (Lars Eidinger), mit ihm in Berlin beginnt der Film und endet auch. Aber die eigentliche Hauptrolle verkörpert des Vaters Gattin und Mutter (Corinna Harfouch), die im gepflegten mehr als gutbürgerlichem Eigenheim im Kreis Siegburg Szenen einer Ehe nicht per verbalen Streitigkeiten vorführt, sondern handelt. Und das gleich mehrfach. Eigentlich geht es den Leuten gut, stellt man fest, sie haben es im Leben geschafft, zumindest die Eltern. Woher kommt es, daß man den ganzen Film über daran denken muß, daß diese Filmerzählung so wie sie ist – und sie ist gut! -. nur im Westen spielen kann. WAS BLEIBT wurde auf der Berlinale 2012 im Wettbewerb gezeigt, gleichzeitig mit BARBARA, einem geradezu klassischen Ostfilm, bei dem es einem noch heute wehtut, daß Regisseur Christian Petzold für diesen wunderbaren Film nicht weiter als mit dem Regiepreis geehrt wurde. Warum sind beide Filme so exquisit im Osten und Westen Deutschlands angesiedelt, mehr als 20 Jahre nach dem Zusammenschluß?



Dabei geht es in beiden Filmen um Familie, um Generationenkonflikte genauso wie um Eheprobleme, um nicht aufgehende Pläne beruflicher Stabilität, um die Sehnsüchte und Hindernisse von Zweisamkeit, also um allgemein Menschliches geht? Es ist in WAS BLEIBT die Konzentration auf das Private. An keiner Stelle im Film geht es um etwas anderes als die familiären Beziehungen und wie man eigentlich leben will, wobei Berufliches nur in dem Kontext eine Rolle spielt. Es ist die abgehobene sozial privilegierte Situation, mit schickem Haus mit vielen Zimmern, die jedes für sich perfekt eingerichtet sind, es ist der Grundton einer Welt, in der materiell für alles gesorgt ist, aber die Seele dürstet.

 

Vor allem die der Gattin und Mutter Gitte(Corinna Harfouch. Sie will an einem Wochenende ihre Familie im Westdeutschen beisammen haben. Das sind Marko (Lars Eidinger), der Sohn aus Berlin mit dem einzigen Enkel Zowie (Egon Merten), aber ohne seine Frau, von der er getrennt lebt, was die Familie nicht weiß.  Das ist der gegenüber lebende Sohn Jakob (Sebastian Zimmler)  mit seiner Freundin, der ökonomisch völlig vom Vater abhängig ist, weil dieser ihm das Haus mit perfekter Zahnarztpraxis hingestellt hat, in das sich kaum Klienten verirren und wenn, sind sie auch noch Bekannte der Eltern – und das ist dieser Vater, der Hausherr und Ehemann Günter (Ernst Stötzner), der als erfolgreicher Verleger seinen Verlag gerade verkauft hat und endlich die Reisen unternehmen will, auf die er bisher verzichtet hat, und die er mit seiner schließlich ans Licht kommenden Geliebten Susanne unternehmen will. Endlich leben!

 

Anlaß für Gitte, ihre Familie zusammenzurufen – Freunde waren auch eingeladen, aber die sagten ab – ist die Tatsache, daß sie nach dreißig Jahren mit Tabletten ihrer Depression wegen, diese schon seit zwei Monaten eigenmächtig, also ohne Rücksprache mit Ärzten, abgesetzt hat und künftig ohne diese leben will und von der Familie als gesund wahrgenommen, vor allem endlich als vollwertig behandelt werden will. Wir erleben Szenen, die jeder kennt. Von daher hat Drehbuchautor Bernd Lange etwas ganz Normales aufgeschrieben, wobei der Umgangston der Familie von liebevoll bis streiterfüllt geht. Keine der Personen werden verurteilt oder an den Pranger gestellt, der Autor läßt allen Gerechtigkeit widerfahren, wenngleich die Sympathien der Zuschauer der Mutter gelten, wir auf jeden Fall konnten nicht anders, was auch an dem differenzierten Spiel der Corinna Harfouch liegt, die irgendwie nicht spielt, sondern ist.

 

Gitte jedoch hat keine Chance. Ihr Entschluß der Absetzung der Medikamente hat auch damit zu tun, daß Günter den Verlag, dessentwegen er seit 30 Jahren die Woche in Frankfurt zugebracht hatte und nur am Wochenende zu Hause war, gut verkauft hat, und nun für sein Buch zu „Motiven und Erzählstrategien bei den Assyrern und Sumerern monatelang im Nahen Osten, immer wieder spricht er von Jordanien, recherchieren will. Gitte will mit und nun ihrem Mann eine andere, dem Leben zugewandte Frau sein und selbst endlich glücklich werden.

 

Für jeden in der Familie ändert sich etwas. Marko unterstützt die Mutter, Sohn Jakob weiß als Zahnarzt mehr über die Wirkungen beim Absetzen von Tabletten und Günter hat ganz andere Pläne für seine Studienreise. Wir sehen erst einmal wie im Kammerspiel, wie jede der Personen nur sich selber sieht und auf dem funktionierenden familiären Hintergrund ein Familienleben abläuft, das für Enkel Zowie eine heile Welt bedeuten muß. Allein die Szene, wie Marko am Klavier Charles Aznavour zu intonieren beginnt, DU LÄSST DICH GEHN, dann seine Mutter einfällt, der Vater erstaunt seine Frau anschaut und die Strophen weitersingt, dann beide am Schluß sich umarmend im Tanz drehen, muß jeder Zuschauer jede geglückte eigene Familiensituation imaginieren. Es kann gutausgehen für Gitte und die Familie, signalisiert diese Szene.

 

Auf einmal ist Gitte verschwunden. Während sie im Großaufgebot von Polizei gesucht wird, kommen die Schuldgefühle jedes einzelnen bei der gemeinsamen Suche nach Ehefrau und Mutter im Wald, heraus. Schließlich stellt sich heraus, daß Günter seiner Frau die Wahrheit gesagt hatte, daß er sie nicht mitnehmen kann auf die Reise, da er diese mit seiner Geliebten unternimmt, die er seit zwei Jahren hat.

 

Schnitt. Wir sehen die Familie zu Weihnachten. Statt Gitte steht nun Susanne in der Küche. Äußerlich ist alles beim Alten. Aber die verschwundene Gitte ist ein Grundton, der alles verändert hat. Jakob ist in Schweden, Marko lebt wieder mit seiner Frau. Äußerlich ist alles in Ordnung, innerlich nichts.

 

Warum man sich mit den seelischen Nöten der Personen befaßt, hat mit der Konzentration zu tun, mit der Drehbuch und Regie dieses Mikrokosmos ablaufen lassen, als ob es nichts anderes gäbe. Das Besondere daran ist die Normalität. Wir haben keine Monster in dieser Familie, keine autoritären Väter, keinen Mißbrauch,alle sind liebevoll zu einander, wenigstens im Umgangston und der leicht aufbrausende Streit zwischen den Brüdern ist normal. Schmid erzeugt mit dieser Normalität dieser Familie die Frage aller, wie man eigentlich leben soll in dieser Welt. Was soll man in Familien offenbaren, was verschweigen? So auf jeden Fall bricht diese Mittelschichtsfamilie auseinander und wird nie wieder heil. Die Krankheit der Mutter ist also durchaus die Metapher für die Krankheit der Familie. Gibt es andere?