f die kandidatenDas 12. LICHTER Filmfest in Frankfurt vom 26. bis 31. März, Teil 10

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich glaub‘s nicht. Am gespanntesten war ich auf den letzen Film in der Reihe Zukunft deutscher Film: DREISSIG, aber am besten gefiel mir die harmlose Politdoku über ausgewählte Kandidaten zur letzten Bundestagswahl in Rheinland-Pfalz. Dazwischen lag dann der schon irritierende mexikanische Film, der außerordentlich brutal aber nicht die Gegenwart beschreibt, sondern eine dystopische Zukunft, die allerdings die Mittel der heutigen Drogenbarone verwendet: Mord und Totschlag, am besten alle abknallen. Daß auch die eigenen Leute manchmal so erledigt werden, wen schert‘s.

Hier schert‘s sowieso keinen. Hier, das ist in der Pampa, wo gleichwohl das Überlebenstraining im Wegschlagen des kleinen Balls besteht, Tennis- oder Golfball? So auf jeden Fall lernen wir ein Pärchen kennen, das schnell zu Vater (Rogelio Sosa) und Tochter Huck (Matilde Hernández Guinea) wird. Allerdings unter seltsamen Umständen. Man spürt die Enge, das Zugeschnürtsein der beiden körperlich mit, denn hier stimmt etwas nicht. Nicht nur die unwirtliche Umgebung, unendliches dürres Land, mit vertrocknenden Sträuchern und Grasbüscheln, ein weiter Horizont, hinter dem das Leben zu Ende zu sein scheint. Oder ist es schon hier zu Ende. Es dauert, bis man ein bißchen klarer sieht. Doch, mir gefallen Filme, die nicht durcherzählt sind, sondern dem Zuschauer Rätsel aufgeben, die er durch aufmerksames Zuschauen selbst lösen kann. Das ist so ein Film, auch wenn märchenhafte, mystische Elemente bleiben, wie die überall auftauchenden drei Buben, die einem zunehmend wie die Drei in der Zauberflöte vorkommen, die immer wissen, wo man zur Stelle sein muß und Rat geben, wie es weitergeht. Zumindest Rat und Tat für Huck.

Denn ansonsten ist das kleine Mädchen alleine. Gut, sie hat den Vater, aber der behandelt sie derart ambivalent, daß einem das Herz weh tut, weil man wieder einmal sieht, wie Kinder an ihren Eltern hängen, handeln diese auch noch sooft gegen das Kind, Schläge inbegriffen. Aber das kleine Mädchen hat ja schon die Mutter verloren und die größere Schwester, deren Bilder anzuschauen ihr das Liebste auf der Welt ist. Das versteht man nicht ganz, was hier bloß los ist. Später weiß man, daß die beiden in den Fängen einer Art Mafiaorganisation sind, die Macht über den Vater haben, weil dieser von deren Stoff, dem Rauschgift, abhängig ist. Diese Männerverbrechensgesellschaft jagt Frauen. Frischfleisch für die Machos sozusagen. Damit Huck dem entgeht, was ihre Mutter und Schwester schon erlitten,  verkleidet der Vater sie als Junge, ihr sicheres Verhalten in der Welt spricht zudem für eine männliche Natur. Aber nein, nicht weiter. Zwei andere Filme warten. Auf jeden Fall sind die einzigen Überlebenden die drei Jungen und Huck! Problem: wir sind mit dem Abknallen ab irgendwann völlig einverstanden, so unendlich gemein sind diese Figuren gezeichnet. 

DREIßIG hat ein tolles Thema, gehört aber in die Kategorie, die als Berliner Schule gekennzeichnet ist, was eine ganz gewisse Machart miteinschließt, die auf jeden Fall nicht den Handlungsverlauf und daß der Zuschauer ihn erkenne, in den Mittelpunkt stellt. Simona Kostova heißt die junge Frau, die Buch, Regie und Schnitt in einem verantwortet. Im Programmheft ist dem Film ein Motto vorangesetzt: „In letzter Zeit passiert es mir voll oft, daß ich aufwache und nicht weiß, warum ich lebe.“ Aha. Also keine Milifekrise, sondern eine Lebenskrise, die man ja eigentlich aus der Pubertät kennt, wo sie biologisch und psychologisch hingehört. Nun also Dreißiger. Es beginnt im Morgengrauen. Da liegt einer im Bett. Man hört den Wecker per Handy oder klingelt auch nur das Handy? Der bärtige Mann namens Ovünc (Ovünc Güvenisik) sucht danach, ist sofort erschöpft, muß sich wieder hinlegen, sucht weiter in einer Bude, die leer und unaufgeräumt zugleich ist. Dann findet er das Ding und hört, was am Tag passieren soll, an dem er ja Geburtstag hat, feiern will und alle Freunde einlädt.

Um es kurz zu machen. Den Freundeskreis von drei Frauen und drei Männern erleben wir Person auf Person und müssen mit ihnen durch Berlin treiben, des Tags und dann noch des Nachts. Nein, das macht keine Spaß, ihren Reden und Nichtreden zu lauschen. Unser Hauptheld hat den Faden verloren, er will schreiben, hat aber eine Blockade. Freundin Raha will Schauspielerin werden, aber den Durchbruch schafft sie nicht. Und so wandern die Sechs durch Berliner Kneipen, bessere Klubs, Bier, Bier, Bier!! Für mich uninteressant, alle sechs und der Film erst recht.

Und so blieb meine Aufmerksamkeit auf den DIE KANDIDATEN gerichtert. Kein oscarreifer Dokumentarfilm, aber auch keine trockener Dokumentation über den Bundestagswahlkampf 2017 in Rheinland-Pfalz. Zugegeben, das beabsichtigte Konzept des Regisseurs Michael Schwarz, der auch Buch und Kamera verantwortet, wäre wirkungsmächtiger gewesen. Er wollte nämlich alle Kandidaten eines Wahlkreises zu den personellen Trägern des Films machen. Am liebsten hätte er Haßloch in der Pfalz genommen, die ist nämlich Deutschlands durchschnittlichste Stadt, was natürlich heißen soll, daß sich hier alle Durchschnitte treffen: Alter, Geschlecht etc. Dann hätte der Zuschauer auch die Positionen der einzelnen Kandidaten in ein und demselben Wahlkreis erfahren und vergleichen können. Aber immer wollten einzelne Kandidaten nicht mitmachen und da wir nicht in diktatorischen Welten leben, half nichts, Michael Schwarz mußte die Kandidaten von sechs Parteien, die zur Wahl antraten, aus unterschiedlichen Wahlkreisen nehmen.

Und die bringt er zum Reden. Gut, das Reden und Überzeugen Wollen, Argumente den anderen ins Ohr träufeln gehört zum Geschäft. Aber man hat beim Zuschauen und Zuhören niemals den Eindruck, hier vorgefertigte Politikerfloskeln zu hören. Vielleicht liegt das auch daran, daß in Rheinland-Pfalz in kleinen Orten die Kandidaten meist in den heimischen Dialekt oder zumindest heimatliche Färbung fallen. Da würde Imponiergehabe sowieso lächerlich wirken. Und so schauen wir Kandidaten zu, die auf ihre Weise mit den Wählern ins Gespräch kommen. Klar, die AfD war ein Problem. Das wird Michael Schwarz – noch einmal: Regie, Buch, Kamera (aber nicht Schnitt) – im Publikumsgespräch dann noch erläutern. Er wollte die Realität abbilden und die schließt die AfD ein. Im Film bleibt der AfD-Mann blaß, während die anderen vier Männer auf ihre Weise punkten. Am meisten der SPD-Kandidat, der wirklich als Volkstribun im Kleinen wirkt, was nicht despektierlich gemeint ist, sondern fast bewundernd.

Am Schluß des Films erfahren wir per Spruchband, wer mit welchen Prozentzahlen Abgeordneter im Deutschen Bundestag geworden ist. Die einzige (!) Frau unter den Kandidaten heißt Misbah Khan und kandidierte für die Grünen. Sie war zum Gespräch anwesend, ihre 7,6 Prozent waren nicht durch einen Listenplatz abgesichert und sie will es das nächste Mal wieder probieren. Das und mehr lockt Lichterchef Gregor Maria Schubert über den unbeliebten Politikerberuf heraus, der in der Wirklichkeit eine harte Knochenarbeit ist, wofür der Straßenwahlkampf gewissermaßen eine Übung ist. Wie man Wahlkampfrhetorik erlernt, kann ihm dennoch keiner erklären.

Foto:
Die Kandidaten
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Info:
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