f Birds Of PassageSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. April 2019,    Teil 7

Redaktion

Los Angeles (Weltexpresso) - Würden Sie sagen, Ihr Film ist eine Fortsetzung bisheriger Projekte oder eher eine bewusste Abkehr von ihnen?


Ciro Guerra:
Ohne unsere Anfänge und vorherigen Filme leugnen zu wollen, würde ich schon sagen, dass es hier in der Tat eine gewisse Abkehr gibt, da es unser erster Schritt Richtung Genrekino ist. Dieses Mal war der Plan, einen Mythos zu erforschen, der mich schon sehr lange interessiert. So wie in unseren bisherigen Filmen wollten wir aber auch wieder von den Ureinwohnern Lateinamerikas erzählen und ihre Sicht auf die Geschichte zeigen, die sonst oft vom Kino übergangen wird. Es hat alles mit dem Wunsch begonnen, das Genre wieder aufzugreifen und neu aufleben zu lassen.

Cristina Gallego: Auf der einen Seite ist der Film schon die Fortsetzung eines kreativen Prozesses, der mit unseren vorherigen Filmen begonnen hat, für Ciro als Regisseur und für mich als Produzentin. Auf der anderen Seite ist er auch eine Abkehr, weil es der erste Film ist, bei dem wir gemeinsam Regie geführt haben. Mein Beitrag zu DER SCHAMANE UND DIE SCHLANGE war vom kreativen Standpunkt aus sehr bedeutend, vor allem im Bezug auf den Schnitt und das Drehbuch. Die Mitverantwortung bei diesem Film war ein Weg, unsere Rollen abzustecken.


Welchem Genre gehört der Film aus Ihrer Sicht an?

Ciro Guerra: Für mich ist es ein Film Noir, ein Gangsterfilm. Ja, es könnte auch eine Art Western sein, eine griechische Tragödie oder eine Geschichte von Gabriel García Márquez. Irgendwie sind Filmgenres zu den mythischen Archetypen unserer Zeit geworden. Seit Beginn der Zeit haben Menschen Mythen erfunden, um die Ordnung der Dinge zu erklären und unserem chaotischen Dasein einen Sinn zu verleihen. Das ist die Funktion, die Genres heutzutage haben: Sie bestimmen vorab unser Verständnis der Welt und erzählen uns bereits im Vorhinein, wie sich die Geschichte entwickeln wird. In dieser Hinsicht habe ich mich selbst wie einen Geschichtenerzähler der Ureinwohner betrachtet. Was wir tun, ist nämlich ähnlich zu dem, was sie vor 3000 Jahren in ihren Höhlen gemacht haben: Mit der Hilfe von Licht und Schatten Geschichten erzählen.

Cristina Gallego: Die Kultur, von der wir im Film erzählen, die der Wayuu, lebt nach Normen, die gar nicht so unterschiedlich zu denen von Gangstern sind. Es gibt da eine Figur im Film, den „Wortboten“, dessen Rolle viel mit der eines Beraters der Mafia gemein hat. Es ist ein Genre, das rund um die Welt geschätzt wird, welches das kolumbianische Kino aber noch nicht ganz erschlossen hat. Aufgrund der Umbrüche in unserer jüngsten Geschichte war es nicht einfach, sich dieses zu Eigen zu machen.


Was für Verbindungen gibt es zwischen diesem Film und DER SCHAMANE UND DIE SCHLANGE, Ihrem vorherigem Film?

Ciro Guerra: Noch bevor unser vorheriger Film erfolgreich wurde, hatten wir den Dreh von BIRDS OF PASSAGE bereits geplant. Die Entstehung des Films hat also gar nicht so viel mit diesem vorherigen Erfolg zutun, und das ist gut so. Trotzdem wussten wir, nachdem wir DER SCHAMANE UND DIE SCHLANGE gedreht hatten, dass wir beim nächsten Mal nach etwas anderem streben wollen. Uns fällt auf, dass es viele Wiederholungen im heutigen Kino gib. Dadurch neigt es dazu, egozentrisch zu werden und sich im Kreis zu drehen. Was uns interessiert, ist an Grenzen zu stoßen und alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen? Warum haben Sie sich für genau diesen speziellen Teil des Mosaiks von Geschichten entschieden, das zusammengesetzt die Entstehung des Drogenhandels in Kolumbien erzählt?

Cristina Gallego: Zwischen 2006 und 2007 sind wir an die Nordküste Kolumbien gezogen, um uns auf den Dreh unseres Films DIE REISEN DES WINDES vorzubereiten. Eine der Szenen hat während der „Bonanza Marimbera“ stattgefunden. Wir haben ein bisschen recherchiert und mit den Einwohnern über dieses Thema diskutiert. Man hat uns viele Dinge erzählt, die wir nie zuvor gehört hatten, und wir haben uns gefragt: Wie kann es sein, dass noch nie jemand diese Geschichte erzählt hat?

Ciro Guerra: Natürlich gab es schon zahlreiche Filme über den kolumbianischen Drogenhandel – so viele, dass es schon zum Klischee geworden ist. Die bereits erwähnte und passend benannte „Bonanza Marimbera“ (Eine Periode des Marihuana-Exports in die USA in den 70ern und 80ern, die teilweise in der Guijara-Wüste stattfand, in der BIRDS OF PASSAGE gefilmt wurde.) war unserer Meinung nach eine bezeichnende Geschichte, die noch nicht erzählt wurde. In der kolumbianischen Kunst wird Gewalt oft glorifiziert. Es gibt eine große Faszination für Macht und die brutalsten Aspekte der Geschichte, keiner wagt eine tiefere Betrachtung. Auf uns wirkte diese einseitige Sicht auf die Dinge problematisch.


Also ist BIRDS OF PASSAGE mehr ein Sinnbild für ganz Kolumbien und nicht nur die Geschichte eines trockenen, kleinen Fleckchens im tiefsten Norden des Landes?

Ciro Guerra: Absolut! Die „Bonanza Marimbera“ ist die Originalgeschichte, der Anfangspunkt dieses Phänomens unserer Gesellschaft und unseres Lebens. Es ist die Möglichkeit, die Gesellschaft widerzuspiegeln, was wir für nötig und wichtig halten. Diese Geschichte hat das Potential, mehr als eine einfache Anekdote zu erzählen, sondern etwas viel Tiefgreifenderes zu schaffen.

Cristina Gallego: Es ist eine Metapher für unser Land: Eine Familientragödie, die sich in eine nationale Tragödie verwandelt. Die Vergangenheit zu thematisieren, hilft uns zu verstehen, wo wir heute als Land stehen.

FORTSETZUNG FOLGT

Fotos:
© Paramount

Info:
REGISSEUR
Kevin Kölsch, Dennis Widmyer

DREHBUCH
Stephen King (novel), David Kajganich (screenplay), Jeff Buhler (screenplay)

DARSTELLER
John Lithgow
Jason Clarke
Amy Seimetz
Naomi Frenette

ALTERSEINSTUFUNG
Ab 16 Jahren

LAUFZEIT
100 Minuten

ERSCHEINUNGSJAHR
2019