f 1Birds Of PassageSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. April 2019,    Teil 8

Redaktion

Los Angeles (Weltexpresso) - Wo findet sich diese Geschichte im momentanen politischen Kontext wider, nach der Umsetzung des Friedensprozesses zwischen der Regierung und der FARC-EP (Erklärung: Bis 2016 eine linksorientierte Gurillabewegung in den Bürgerkriegen Kolumbiens. Von 1964-2016 führte sie einen bewaffneten Krieg gegen den kolumbianischen Staat. Seit dem Friedensvertrag ist sie eine linksorientierte, kolumbianische Partei.)

Ciro Guerra: Es ist die richtige Zeit, um diese Geschichte zu erzählen. Der Friedensprozess hat uns die Möglichkeit gegeben, einen langen und genauen Blick in unsere Vergangenheit zu werfen. Kolumbien ist ein Land, dessen Geschichte in den Köpfen seiner Bürger ausradiert wurde. Die „Bonanza Marimbera“ ist zum Beispiel eine Ära, die den jüngeren Generationen überhaupt nicht bekannt ist. Es war unsere Absicht, den Film als eine Art Werkzeug zu verwenden, um unsere Geschichte wieder zusammenzusetzen. Der Dreh des Films war sehr kompliziert, mit extremen Wetterbedingungen und mehreren logistischen Schwierigkeiten ...

Cristina Gallego: Wir haben den Film in einem Klima gedreht, das uns ständig Sorgen bereitet hat und oft sogar bedrohlich wurde. Wir haben sogar Dämme gebaut, um das Set vor einer Flut zu schützen, die dann trotzdem kam. Es war eine hochgradig körperliche und mühselige Arbeit, und wir haben es dank gemeinsamen Betens durchgestanden. Im Angesicht von ständigen und wachsenden Schwierigkeiten haben wir eine bemerkenswerte spirituelle Stärke aufgebracht.

Ciro Guerra: Es war ohne Zweifel unser komplexester Filmdreh bis jetzt. Die Guajira-Wüste ist dürres, wildes Land – ein raues, undankbares Territorium, wo einem nichts geschenkt wird ... Wir wurden mit verschiedenen Arten von schlechtem Wetter konfrontiert, darunter ein Sandsturm und ein monumentales Gewitter, das heftigste der letzten sechs Jahre, das zwei unserer Filmsets komplett zerstört hat. Bei diesem Film mussten wir um jede einzelne Aufnahme kämpfen.


Basiert dieser Film auf dem Wunsch, die Kultur der Wayuu von einem ethnologischen Standpunkt aus zu konservieren oder einzufangen, so wie es bei DER SCHAMANE UND DER SCHLANGE mit den Menschen des Amazonas der Fall war?

Ciro Guerra: Na ja, da gibt es schon einen fundamentalen Unterschied: Die Wayuu sind die am meisten vertretene ethnische Gruppe in Kolumbien. Im Gegensatz zu den Menschen, die am Amazonas lebten, ist ihre Kultur immer noch lebendig und nicht davon bedroht auszusterben. Vielleicht weil sie nicht so viel mit dem Rest des Landes oder der westlichen Kultur verkehrt hat. Wie bereits erwähnt, bleibt das Filmemachen für mich ein Werkzeug, uns anderen anzunähern und sie zu erforschen. Es ist schon fast wie eine Form des Transports: Es hat die Macht, uns an Orte zu versetzen, an denen die Menschen das Leben und die Welt komplett anders als wir sehen. Filme zu machen, ist ein Abenteuer, und sie anzuschauen, sollte auch eins sein.


Was bedeutet es für Sie, gemeinsam Regie zu führen?

Ciro Guerra: Für mich hat mit Cristina schon vor langer Zeit ein Prozess der Zusammenarbeit begonnen, und wir sind mit jedem Film, den wir gemeinsam gemacht haben, enger zusammen gewachsen. Bei DER SCHAMANE UND DIE SCHLANGE hat ihre Sichtweise den ganzen kreativen Prozess des Films beeinflusst. Gemeinsam Regie zu führen war einfach der nächste, natürliche Schritt.

Cristina war in alle Entscheidungen involviert, genauso wie in die Arbeit mit den Schauspielern. Sie hat den Klang und die Kraft des Films beeinflusst. Es gab keine konkrete Aufgabenteilung, wie es manchmal bei Koregisseuren der Fall ist. Außerdem wollten wir eine feminine, starke Sichtweise in den Film einbringen. Die Zusammenarbeit mit ihr hat diesen Aspekt sehr verstärkt.


Es ist ja in der Tat so, dass die weiblichen Charaktere im Film sehr tragende Rollen haben, die in einem Film Noir aus Hollywood wohl wieder auf Nebenrollen eingeschränkt worden wären.

Ciro Guerra: Das ist etwas, was einfach zu der Wayuu-Kultur gehört. Es ist eine matriarchalische Kultur, sogar ein komplett matriarchalisches System, in dem die Frauen alle Entscheidungen treffen und die ganze Last einer Gruppe auf ihren Schultern tragen.

Cristina Gallego: In der Gemeinschaft der Wayuu regeln die Frauen das Geschäft und die Politik. Auf der anderen Seite ist es trotzdem eine Kultur, die vom männlichen Chauvinismus geprägt ist. Als wir unsere Recherchen für den Film gemacht haben, bemerkten wir, dass viele Menschen die Beteiligung der Frauen am Drogenhandel abgestritten haben. „Die sind einfach daheim geblieben“, sagten uns viele. Wir merkten aber schnell, dass das nicht so ganz stimmt. Ich wollte nicht, dass das zu einem weiteren PATE wird, sondern mehr die Geschichte einer „Patin“. Deswegen haben wir uns auch für Carmiña Martínez für die Rolle der Matriarchin entschieden. Sie ist Bühnenschauspielerin, die noch nie zuvor bei einem Film mitgewirkt hat. Sie haben sich erneut für eine Mischung aus professionellen und nicht-professionellen Schauspielern entschieden.


Warum so ein Mix? Und wie haben sich die verschiedenen Schauspieler untereinander ausgetauscht und miteinander kommuniziert?

Cristina Gallego: In erster Linie wollten wir den Film mit Schauspielern drehen, die auch wirklich aus dieser Gegend kommen. Aber es gibt dort keine professionellen Schauspieler, die die Sprache der Wayuu beherrschen. Außerdem war es uns wichtig, dass die Schauspieler, die die tragenden Rollen übernehmen, sich der vollen Tragweite und Bedeutung ihrer Charaktere bewusst sind. Dass sie wissen, was es bedeutet, so eine Transformation zu durchlaufen und von dem Wandel der Zeit gebrandmarkt zu werden. Wir haben uns für die Hauptrollen für professionelle Schauspieler entschieden. Einige von ihnen kommen aber aus der Guajira-Region, wie zum Beispiel Carmiña Martínez und José Acosta.

Ciro Guerra: Es ist eine interessante Art zu arbeiten, weil die professionellen Schauspieler eine extreme Genauigkeit und Disziplin mitbringen, und dazu diese Aura besitzen, die dieses Gewerbe nun mal umgibt. Die nicht-professionellen Schauspieler bringen dafür einen Haufen persönlicher Erfahrung mit und können dadurch Szenen spielen, die die professionellen nicht schaffen, weil sie sicheben nicht auf diese Lebenserfahrung stützen können. Nach langer Suche haben wir auf verschiedenen Ranches, den üblichen Residenzen der Wayuu in der Guajira Region, einige passende nicht-professionelle Schauspieler gefunden.


Wovon wird Ihr nächstes Projekt handeln?

Ciro Guerra: Ich arbeite momentan an einer Adaption von J. M. Coetzees Werk WARTEN AUF DIE BARBAREN, das ich Ende des Jahres verfilmen werde, mit Robert Pattinson in einer der Hauptrollen. Es macht mir nichts aus, in einem fremden Land, in einer Sprache, die nicht meine ist, zu arbeiten. Mich hat diese kraftvolle Geschichte sehr tief berührt, und wenn das passiert, ist alles andere zweitrangig. Der Roman, eine Parabel über den Rassismus in Südafrika, ist so faszinierend, weil es eine komplexe, menschliche und moralische Geschichte ist, die sinnbildlich von der aktuellen Situation der Welt erzählt. Es beinhaltet all die Elemente, die ich als wichtig in einer Geschichte empfinde. Der Film wird anders sein als alles, was ich bis jetzt gesehen habe. Das ist es, was ich als Regisseur erreichen möchte.

Cristina Gallego: Wir arbeiten außerdem gemeinsam an einem anderen neuen Projekt, für das ich momentan Recherchearbeit betreibe. Es wird um einen Charakter gehen, dessen Geschichte vergessen wurde: Eine Frau, die heute absolut unbekannt ist, obwohl sie eine ausschlaggebende Rolle in dem Prozess, der zur Unabhängigkeit Lateinamerikas geführt hat, gespielt hat.

Fotos:
© Paramount

Info:
REGISSEUR
Kevin Kölsch, Dennis Widmyer

DREHBUCH
Stephen King (novel), David Kajganich (screenplay), Jeff Buhler (screenplay)

DARSTELLER
John Lithgow
Jason Clarke
Amy Seimetz
Naomi Frenette

ALTERSEINSTUFUNG
Ab 16 Jahren

LAUFZEIT
100 Minuten

ERSCHEINUNGSJAHR
2019