Michaela Mottinger
Wien (Weltexpresso) - Sie haben sich sehr lange mit diesem Projekt befasst, beinahe zehn Jahre. Worin lag die Faszination in André Hellers Erzählung?
Das Buch kam 2008 heraus, und ich habe es bald danach gelesen. Aber für ein Filmprojekt braucht man immer einen langen Atem; so ein Film ist sozusagen ein nur langsam zu manövrierender Hochseetanker – noch dazu, wenn das Projekt für österreichische Verhältnisse ein so großes ist. Was heißt: Wir haben es majoritär österreichisch fi nanziert. Der Text von André Heller hat zwar einen klaren regionalen Bezug, ist aber gleichzeitig universell verständlich – und extrem ungewöhnlich. Ein Stoff , wie ich finde, der von der Machart her nicht alltäglich ist. Man fi ndet im Rückblick auf die vergangenen dreißig Jahre österreichischer Literaturgeschichte nicht viele Bücher wie dieses.
Machart bedeutet, dass das Buch gut zu verfi lmen ist?
Machart bedeutet, dass das Buch gut zu verfi lmen ist?
Ja, den Eindruck hatte ich sofort. Es hat einen klaren erzählerischen Kern – und mit dem Protagonisten Paul Silberstein eine Hauptfi gur, die man sich merkt. Eine Figur, die auch unabhängig von André Heller funktioniert. Wenn man dessen Lebensgeschichte kennt, fi ndet man natürlich Parallelen. Er selber schreibt ja in der Präambel, manche der geschilderten Begebenheiten hielt seine Kindheit für ihn bereit, aber die Oberhand beim Schreiben hatte die Fantasie. Darüber hinaus ist das Ganze überaus unterhaltsam, es ist wie etwa Torbergs „Tante Jolesch“ sehr kulinarisch. Aber wie Torberg schrieb, es ist ein Buch der Wehmut – und Wehmut kann lächeln, Trauer kann das nicht. Ebenso sehe ich das Heller-Buch.
Sie haben mit André Heller schon zwei Projekte gemacht. Wie hat er auf das Filmprojekt reagiert?
Er hat gesagt: „Macht‘s!“ Außerdem hat er Uli Brée und mir beim Schreiben des Drehbuchs völlig freie Hand gelassen. Es gab von ihm zuvor auch schon ein Näheverhältnis zu den Produzenten Danny Krausz und Kurt Stocker, mit denen er selber Filme realisiert hat.
Ihr Film hat etwas Kammerspielartiges. Würden Sie mir in dieser Beurteilung folgen?
Ja. Jedenfalls in gewisser Hinsicht. Der Film erzählt unter anderem von Enge. Die Geschichte von Paul ist zunächst eine Geschichte der Einengung. Ein Bub, der witzig und fantasiebegabt und weltoff en ist, lebt in einer Familie, die das absolut nicht teilt, sondern ihm ständig sagt, was er nicht tun soll. Das klingt nach schwerem Drama, nach „Zögling Törleß“. Meinem Co-Drehbuchautor Uli Brée und mir ging es aber vorrangig nicht darum, die Studie eines Knaben zu zeigen, der sich mit den Dämonen der eigenen Familie herumschlagen muss, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen, die einen fesselt und packt und unterhält.
Der Film hat auch optisch eine ganz klare Dramaturgie ... ...
...und zwar in der Art, wie die Farben erzählt werden. Bis zum Tod des Vaters ist alles ein wenig grau und düster – und dann geht halt die Sonne auf, wenn der Vater stirbt. Das klingt absurd, wenn man es so sagt, aber erst, als der dominante, sich selbst und die ganze Welt verachtende Patriarch nicht mehr ist, gehen plötzlich die Fenster auf und das Licht kann herein. „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ ist ein Ermutigungsfi lm, ein Befreiungsfilm.
Welch ein Glück, Valentin Hagg als Hauptdarsteller gefunden zu haben!
Absolut. Wir haben uns hunderte Buben angeschaut, und Valentin stand am Ende als Wunschbesetzung fest, weil er so speziell ist, an dieser Schwelle vom Kind zum Jugendlichen. Er hat nie zuvor in einem Film mitgespielt, und er ist dennoch einer der besten Schauspieler, mit denen ich je zu tun hatte.
Er spielt entfesselt. An die Sprache, daran, dass ein Kind sich so elaboriert ausdrückt, muss man sich allerdings gewöhnen.
Klar, alles an dieser Familie ist zunächst einmal eher ungewöhnlich, ist eine Maske – oder vielmehr eine Rüstung, eine Festung. Die Mutter stets perfekt, wie aus einem edlen Modekatalog, Bruder und Vater immer in maßgeschneiderten Anzügen, die Familienvilla wie ein Museum. Deshalb haben wir in der Hermesvilla gedreht, damit alles wie eine Inszenierung und unwirklich wirkt, solange Paul sich nicht befreien kann. Und so ist zunächst auch die Sprache – künstlich und unecht. Aber Paul findet am Ende seinen eigenen Ton, seine eigene Ausdrucksweise.
Diese Festung schießen Uli Brée und Sie mit Szenen skurrilen Humors ein. Etwa, wenn Gerti Drassl als Nonne einen Papierflieger fängt, der ein Liebesbrief ist, den sie auf sich bezieht.
Solche Auflockerungen sind von André Heller schon so angelegt. Manche Szenen sind wie ein Mini-Horváth. Ödön von Horváth, Joseph Roth oder Helmut Qualtinger, mit dem er ja auch gearbeitet hat, sind, wie ich glaube, Leuchttürme, an denen Heller sich unter anderem orientiert. Er sagt über sich selbst, er ist in Wahrheit kein Mensch, sondern ein Wesen, das menschliche Erfahrungen macht und auf dem Planeten Erde ein Gastspiel in der Rolle André Heller gibt. Ich fi nde, er ist gewissermaßen eine multiple Persönlichkeit. Er spaltet sich in verschiedene Stellvertreter auf, die allesamt André Heller heißen und die er losschickt, damit sie für ihn in der Welt Eindrücke sammeln. In „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ gibt er einen sehr tiefen Einblick in die Seele eines Kindes, das wie ein Schwamm Erlebnisse aufsaugt. Und zwar nicht nur das reine Quellwasser, sondern halt auch das „Drecksgschloder“, das aus der eigenen Familiengeschichte rinnt. Heller entwirft das elfte Gebot, das da lautet: „Du sollst dich selbst ehren.“ Und das Motto seines Helden heißt: „Werde nicht wie alle, die du nicht sein willst!“
Foto:
© Verleih
Info:
Besetzer
Paul Silberstein Valentin Hagg
Roman Silberstein Karl Markovics
Emma Silberstein Sabine Timoteo
Johannes Silberstein Nikolaas von Schrader
Onkel Louis André Wilms
Onkel Bel Udo Samel
Onkel Monte Werner Friedl
Tante Tuva Marianne Nentwich
Generalpräfekt Robert Seethaler
Abdruck aus dem Presseheft
Das vollständige Interview ist erschienen bei „MottingersMeinung.at – Die Online-Kulturzeitschrift
Sie haben mit André Heller schon zwei Projekte gemacht. Wie hat er auf das Filmprojekt reagiert?
Er hat gesagt: „Macht‘s!“ Außerdem hat er Uli Brée und mir beim Schreiben des Drehbuchs völlig freie Hand gelassen. Es gab von ihm zuvor auch schon ein Näheverhältnis zu den Produzenten Danny Krausz und Kurt Stocker, mit denen er selber Filme realisiert hat.
Ihr Film hat etwas Kammerspielartiges. Würden Sie mir in dieser Beurteilung folgen?
Ja. Jedenfalls in gewisser Hinsicht. Der Film erzählt unter anderem von Enge. Die Geschichte von Paul ist zunächst eine Geschichte der Einengung. Ein Bub, der witzig und fantasiebegabt und weltoff en ist, lebt in einer Familie, die das absolut nicht teilt, sondern ihm ständig sagt, was er nicht tun soll. Das klingt nach schwerem Drama, nach „Zögling Törleß“. Meinem Co-Drehbuchautor Uli Brée und mir ging es aber vorrangig nicht darum, die Studie eines Knaben zu zeigen, der sich mit den Dämonen der eigenen Familie herumschlagen muss, sondern darum, eine Geschichte zu erzählen, die einen fesselt und packt und unterhält.
Der Film hat auch optisch eine ganz klare Dramaturgie ... ...
...und zwar in der Art, wie die Farben erzählt werden. Bis zum Tod des Vaters ist alles ein wenig grau und düster – und dann geht halt die Sonne auf, wenn der Vater stirbt. Das klingt absurd, wenn man es so sagt, aber erst, als der dominante, sich selbst und die ganze Welt verachtende Patriarch nicht mehr ist, gehen plötzlich die Fenster auf und das Licht kann herein. „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ ist ein Ermutigungsfi lm, ein Befreiungsfilm.
Welch ein Glück, Valentin Hagg als Hauptdarsteller gefunden zu haben!
Absolut. Wir haben uns hunderte Buben angeschaut, und Valentin stand am Ende als Wunschbesetzung fest, weil er so speziell ist, an dieser Schwelle vom Kind zum Jugendlichen. Er hat nie zuvor in einem Film mitgespielt, und er ist dennoch einer der besten Schauspieler, mit denen ich je zu tun hatte.
Er spielt entfesselt. An die Sprache, daran, dass ein Kind sich so elaboriert ausdrückt, muss man sich allerdings gewöhnen.
Klar, alles an dieser Familie ist zunächst einmal eher ungewöhnlich, ist eine Maske – oder vielmehr eine Rüstung, eine Festung. Die Mutter stets perfekt, wie aus einem edlen Modekatalog, Bruder und Vater immer in maßgeschneiderten Anzügen, die Familienvilla wie ein Museum. Deshalb haben wir in der Hermesvilla gedreht, damit alles wie eine Inszenierung und unwirklich wirkt, solange Paul sich nicht befreien kann. Und so ist zunächst auch die Sprache – künstlich und unecht. Aber Paul findet am Ende seinen eigenen Ton, seine eigene Ausdrucksweise.
Diese Festung schießen Uli Brée und Sie mit Szenen skurrilen Humors ein. Etwa, wenn Gerti Drassl als Nonne einen Papierflieger fängt, der ein Liebesbrief ist, den sie auf sich bezieht.
Solche Auflockerungen sind von André Heller schon so angelegt. Manche Szenen sind wie ein Mini-Horváth. Ödön von Horváth, Joseph Roth oder Helmut Qualtinger, mit dem er ja auch gearbeitet hat, sind, wie ich glaube, Leuchttürme, an denen Heller sich unter anderem orientiert. Er sagt über sich selbst, er ist in Wahrheit kein Mensch, sondern ein Wesen, das menschliche Erfahrungen macht und auf dem Planeten Erde ein Gastspiel in der Rolle André Heller gibt. Ich fi nde, er ist gewissermaßen eine multiple Persönlichkeit. Er spaltet sich in verschiedene Stellvertreter auf, die allesamt André Heller heißen und die er losschickt, damit sie für ihn in der Welt Eindrücke sammeln. In „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ gibt er einen sehr tiefen Einblick in die Seele eines Kindes, das wie ein Schwamm Erlebnisse aufsaugt. Und zwar nicht nur das reine Quellwasser, sondern halt auch das „Drecksgschloder“, das aus der eigenen Familiengeschichte rinnt. Heller entwirft das elfte Gebot, das da lautet: „Du sollst dich selbst ehren.“ Und das Motto seines Helden heißt: „Werde nicht wie alle, die du nicht sein willst!“
Foto:
© Verleih
Info:
Besetzer
Paul Silberstein Valentin Hagg
Roman Silberstein Karl Markovics
Emma Silberstein Sabine Timoteo
Johannes Silberstein Nikolaas von Schrader
Onkel Louis André Wilms
Onkel Bel Udo Samel
Onkel Monte Werner Friedl
Tante Tuva Marianne Nentwich
Generalpräfekt Robert Seethaler
Abdruck aus dem Presseheft
Das vollständige Interview ist erschienen bei „MottingersMeinung.at – Die Online-Kulturzeitschrift