atlas stills 06Serie: "ATLAS" 4/8 - das Vater-Sohn-Drama im Handlanger-Milieu der Gentrifizierung - mit Rainer Bock, Albrecht Schuch, Thorsten Merten u.a. / Regie: David Nawrath   

Elke Eich

Berlin (Weltexpresso) - Ruhige und zurückhaltende Typen haben Sie aber doch schon häufiger gespielt, Herr Bock. Was hat Ihnen denn bei diesem Film anfangs Schwierigkeiten bereitet?


Es gab nur eineinhalb Seiten Text für 28 Drehtage! Das ist auf der einen Seite sehr beruhigend, denn man muss sich textlich nicht vorbereiten! Aber: Was mache ich denn dann? Was spiele ich denn dann die ganze Zeit?

Man kann sich ohnehin vorbereiten, wie man will: Am ersten Drehtag weiß man „es“ letztlich immer noch nicht, sondern es ergibt dann alles dann im Verlauf der Dreharbeiten, so Gott will! Und David war da trotz seiner Jugend und seiner scheinbaren Unerfahrenheit mit Langfilmproduktionen ein Fels in der Brandung.

Die ersten, drei, vier Tage bin ich immer wieder zu ihm hingegangen und habe gesagt: „David, ich spiele ja gar nix!

Ich muss doch mal was machen!“ Da antwortete er: „Du spielst SO viel, Rainer! - Komm her, ich zeig‘ Dir das. (Rainer Bock macht die Gesten nach, wie am Set frisch gefilmtes Material auf einem Monitor gesichtet wird.) Das bedeutet, ich musste ein tiefes Vertrauen zu ihm entwickeln und hatte das dann auch. Erstens hatte ich keine andere Wahl, und zweitens habe ich gespürt, dass er mir das Vertrauen und das gute Feedback auch wirklich gibt. Ich konnte ihm im Gegenzug aufgrund meiner Erfahrungen im Gegenzug vielleicht eher bei technischen und organisatorischen Dingen helfen.

Es war insgesamt ein wunderbares Zusammenarbeiten mit David, und mit Albrecht sowieso. Alles im Allem sehr anstrengend, aber ein großer Genuss. Anders kann ich das nicht sage. Es war eine beglückende Arbeit!

 

Die Ereignisse des Films entzünden sich in einem sehr brisanten gesellschaftspolitischen Kontext. Drehort war Frankfurt, aber es könnte jede Stadt sein, in der „Atlas“ spielt.

Neben der Annäherung zwischen Vater und Sohn geht es im Film vor allem um die mit sehr harten Bandagen vorangetriebene Gentrifizierung, die Machtlosigkeit von Mietern, die aus ihren Wohnungen vertrieben werden, und um kriminelle Strukturen, die das ermöglichen und dank derer im Hintergrund viel illegales Geld gescheffelt wird. Ein sehr heißes Thema!

Ihre Figur geht ja mit anderen Möbelpackern und einem Gerichtsvollziehen zu Wohnungen, um sie, gerichtlich abgesegnet, leer zu räumen. Waren diese Aspekte für Sie wichtigß

Ich lebe in München - und das sehr privilegiert, weil ich zur Miete im ersten Stock einer Villa wohne, die von zwei schwäbischen Schwestern mit ihren Männern gekauft wurde. Unsere Wohnung haben wir vor 16 Jahren angemietet, mit Garten und allem, und zwar noch zu einem Preis, dass ich es gerade noch so hinkriege.

Natürlich bekomme ich mit, was sich auch in München abspielt. Das ist der Wahnsinn! Und ich bekomme mit, dass sich das auch so fortsetzt in Berlin, Hamburg und anderen Großstädten, die vormals doch eher als miet- und wohnungsfreundlich galten.

Ich bin ja auch kein unpolitischer Mensch, und insofern war dieses Gewalt besetzte Thema der Entmietungen von Wohnhäusern auch ein interessanter Aspekt für mich. Aber es war für mich tatsächlich NICHT DER Hauptaspekt.

Das liegt - „sehr egomanisch“ als Schauspieler gedacht - natürlich an der Vorgabe der Figur! Walter ist ja jetzt auch keiner, der in der Firma auf die Barrikaden geht. Sondern, er ist eher jemand, der sich raushält. Man erfährt übrigens auch überhaupt nichts über Walters Haltung zu diesen Dingen. Dass der Film seine persönliche Geschichte mit in dieser Situation verortet, fand ich natürlich großartig.

 

Wie würden Sie ihr politisches Engagement umreißen, Herr Bock?

Ende der 70iger Jahre war ich sehr, sehr aktiv in der Anti-AKW-Bewegung, und habe das irgendwann abgebrochen, als es fast schon gefährlich wurde. Also, meine größte Angst im Leben war immer, entweder in der Psychiatrie oder im Gefängnis zu landen. Beides habe ich bisher – Toi, Toi, Toi! – erfolgreich verhindern können! Aber das war damals manchmal ein bisschen auf der Kippe.

Was meinen Sie, wie sehr mir jetzt zum Kotzen ist, wenn ich sehe, wie die sich heute dahinstellen und sagen: „Atomkraft ist gefährlich! Die müssen wir abschaffen!“ Dafür sind in den Siebziger Jahren Menschenleben wirklich ruiniert worden. Ich erinnere mich an einen Berufsschullehrer in Hamburg, der damals so ein Fanal in der Bewegung war. Den haben sie fertig gemacht und er hat, wie viele andere, Berufsverbot bekommen. Ganze Familien sind da zerstört worden! Und heute stellen sich Leute hin und tun so, als sei es ihr Gedankengut, dass Atomkraft weggehört. Das ist manchmal ein bisschen bitter.

Ich finde es großartig, dass unser Film gesellschaftskritisch ist und dieses verbrecherische Gebaren auf dem Wohnungsmarkt mit ins Bewusstsein rückt.

 

Die Handlangerperspektive so nah zu haben ist besonders, also der Blick auf diejenigen, die am Ende der Fahnenstange als Werkzeuge der Profiteure direkt eingreifen und auch mit den verheerenden Konsequenzen direkt konfrontiert werden. Die Drahtzieher, die absahnen bleiben im Hintergrund. Sehen Sie Handlungsspielraum und Möglichkeiten der Veränderung?

Für mich steht letztendlich nach wie vor - und zwar bei fast allen politischen Entscheidungen im Moment - immer noch der Endkonsument im Mittelpunkt. Ich weiß, das klingt utopistisch, was ich jetzt sagen werde, und von mir aus, nennen Sie mich naiv, aber: Wenn wir uns gegen Mietpreiserhöhungen und gegen diese Gentrifizierung, in der Art und Weise, wie sie stattfindet, konsequent wehren würden, dann wäre vielleicht doch Einflussnahme möglich. Wir tun’s nur nicht!

Im Gegenteil, ist es so, dass jeder versucht, dann doch irgendwie bei der Nummer, selbst noch „sein“ kleines „Altbauwohnungchen“ für einen Appel und ein Ei abzugreifen. Menschlich betrachtet, ist das alles irgendwo verständlich, aber im großen Kontext gedacht, ist es eine Tragödie!

 

Das heißt, wir müssten nur konsequent unsere Verantwortung für das Ganze wahrnehmen?

Vieles fängt doch bei jedem Einzelnen von uns an. Seit anderthalb Jahren, denke ich z.B. darüber nach, ob ich mir nicht doch endlich mal ein E-Auto anschaffe. Ich klatsche, wie viele andere auch, der Greta zu und sage: „Dolles Mädchen!“ Doch im Grunde, sitzen wir da und ändern nichts! Oder zu spät. Und da kotze ich mich manchmal selber an. - Gott sei Dank fahre ich wenigstens keinen Diesel!

Andererseits ist es das Privileg des Alters, dass endlich die Jungen auf die Barrikaden steigen, und wir ihnen den Vortritt lassen. Und ich bin der erste, der klatscht und mitläuft, wenn es drauf ankommt.

 

Hätte man die kriminellen Hintergründe des Wohnungsspekulations-Systems noch genauer beleuchtet können, ohne die sehr berührenden zwischenmenschlichen Ebenen zu sehr in den Hintergrund zu rücken?

Das hätte den Rahmen gesprengt. Unser Film ist, glaube ich, auch keine Politparabel.
Im Vordergrund stehen für mich nach wie vor Aspekte, wie die Zivilcourage, der Gedanke, Entscheidungen und Verantwortung zu übernehmen, und die Schuldfrage anhand dieses persönlichen Schicksals und der Vater-Sohn-Beziehung.

 

Im Zentrum steht auch das Thema des organisierten Verbrechens in arabischen, bzw. kurdischen Clanstrukturen. Ein Thema, das ja derzeit immens präsent ist. Das heißt, zumindest in jedem zweiten urbanen Thriller-Film, der in Berlin oder NRW spielt. Diese Bedrohung wird in „Atlas“ durch die Figur von Moussa repräsentiert, der aus einem kurdischen Clan stammt.

Der Einfluss der Clans ist natürlich die Folge eines grundsätzlichen Versagens der Politik. Das haben wir in München natürlich nicht so präsent, wie es hier bei Euch in Berlin ist. Die Frage ist doch, wie es möglich war, dass sich so eine Parallelgesellschaft entwickeln konnte. Dass da nicht irgend jemand gesagt hat: „Halt! Moment mal! Die Mafia haben wir eh schon nicht im Griff. Und jetzt fängt das auch noch an! Da müssen wir einen Riegel vorschieben."

In den Medien und im Fernsehen wird ja jetzt immer wieder groß über Razzien berichtet. Wie effektiv das letztlich ist, kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe nur, dass sie das Problem in den Griff kriegen, und zwar, ohne irgendwelche Subkulturen oder Ethnien anzugreifen. Es geht einzig und allein darum, gegen kriminelle und brutale Strukturen vorzugehen.

Als alter Weltverschwörungstheoretiker denke ich halt: „Es muss doch irgend jemand ein Interesse dran gehabt haben, dass dieses System verhältnismäßig unangetastet bleibt.“ Was ist da los? Sind das verfilzte Strukturen?

 

Um nochmal auf die Haupt- und Nebenrollendebatte zu kommen, die Sie nicht mehr hören können: Wie kommt es überhaupt, dass bestimmte Schauspieler, egal wie gut sie sind, nur in bestimmten, eher untergeordneten Rollenformaten landen?

Das wäre doch ein Job für Euch Journalisten, das mal zu recherchieren! Selbst blicke ich da auch nicht ganz durch. Ich habe zwar habe meine eigenen, kleinen Theorien, die ich aber nicht unbedingt verbreitungswürdig finde.

Es hat wohl auch mit der Film- und Fernsehbranche zu tun. Fast 30 Jahre lang habe ich Theater gemacht und dort sehr viele Hauptrollen gespielt, aber eben auch kleinere und mittlere. Übrigens ist es im subventionierten Theater in Deutschland erforderlich, als Schauspieler eine große Vielfalt an Rollen abdecken zu können. D.h., ich bin am Theater überhaupt nicht ausschließlich als kalter Intellektueller besetzt worden. Wäre dem so gewesen, hätte ich wahrscheinlich auch nur eine Produktion pro Jahr gehabt und dafür im Schnitt ein wunderbares Gehalt bekommen. (lacht süffisant)

Am Theater ist es so: Man spielt einfach die ganze Bandbreite, wenn man es denn kann. Und wenn man es nicht kann, ist man meistens auch nicht engagiert.

Ich werde ja häufig gefragt, warum ich nicht in Komödien spiele. Vor allem sage ich ja auch nicht, dass ich Komödien fürchterlich finde! Das wäre ja völliger Blödsinn! Es besetzt mich nur keiner in einer Komödie! Einfach, weil ich scheinbar durch „Das Weiße Band“ stärker in den Fokus der Branche geraten bin und danach auf bestimmte Rollen festgelegt wurde.

FORTSETZUNG:
Serie: "ATLAS" 5/8 - 8/8 Interviews mit Hauptdarsteller Rainer Bock UND Regisseur David Nawrath
Forstsetzung des Interviews mit Rainer Bock / "ATLAS" 5/8: https://weltexpresso.de/index.php/kino?view=form&layout=edit&a_id=15915&catid=79&return=aHR0cHM6Ly93ZWx0ZXhwcmVzc28uZGUv 


FOTO CREDITS:

1) Rainer Bock als WALTER
© 2/35 Film, Tobias von dem Borne

FILM CREDITS:

ATLAS
100 Minuten
FSK-Freigabe "Freigegeben ab zwölf Jahren"
Regie
David Nawrath
Darsteller
Rainer Bock (Jan), Albrecht Schuch (Jan), Thorsten Merten (Alfred), Uwe Preuss (Roland), Roman Kanonik (Moussa), Nina Gummich (Julia)
Drehbuch
David Nawrath, Paul Salisbury
Musik
Enis Rotthoff
Kamera
Tobias von dem Borne
Schnitt
Stefan Oliveira-Pita
Casting
Silke Koch
Produktion
23/5 Film - Britta Knöller, Hans-Christian Schmid
Verleih
Pandora Film