Serie: "ATLAS" - das Vater-Sohn-Drama im Handlanger-Milieu  David Nawrath c AUSSCHNITT 23 5 Filmproduktionder Gentrifizierung mit Rainer Bock, Albrecht Schuch u.a. / Regie: David Nawrath 5/ 8  

Elke Eich

Berlin (Weltexpresso) - Im Interview zu seinem ersten Spielfilm "ATLAS" spricht Regisseur David Narwath über seine besondere Faszination für die wohl "zwischenmenschlich stärkste emotionale Beziehung zwischen Eltern und Kindern" und das "unsichtbare Band zwischen ihnen. Die Besonderheit und Fragilität der Beziehung zwischen Väter und Söhnen beschäftigen den Sohn eines Persers und einer Deutschen ebenso, wie die Scham als Ursache für viele zwischenmenschliche Probleme.


Der Wunsch, das alles "an einer Figur ganz präzise durch zu deklinieren und zu gucken, wohin oder wie weit das jemanden bringen kann", war das Motiv für den Film, dessen Geschichte über 6 Jahre lang entwickelt wurde - beginnend mit der Geburt seines ersten Kindes.

"ATLAS" ist David Nawraths erster Spielfilm, für den er gemeinsamt mit Paul Salisbury das Drehbuch geschrieben hat. Die Vater-Sohn-Geschichte hat der in Berlin-Schöneberg aufgewachsene Sohn einer Deutschen und eines Persers in einem Gentrifizierungs-Drama inszeniert, dabei aber bewusst vermieden, ins Themenfilm-Genre abzurutschen. Gezeigt wird "die Spitze des Eisbergs" der Gentrifizierung, die Aufmerksamkeit bleibt aber immer nah dran an den Menschen.

Der Möbelschlepper Walter Scholl (Rainer Bock), ein austauschbarer Handlager der Gentrifizierung, steht mit Kollegen eines Wohnungsräumungs-Trupps immer wieder in Begleitung eines Gerichtsvollziehers (Thorsten Merten) bei Menschen vor der Tür, die auf richterlichen Beschluss hin gezwungen werden, ihren Wohraum aufzugeben.

Nach 30 Jahren Trennung von seinem Sohn Jan (Albrecht Schuch), die - wie später erfahrbar wird - äußerst dramatisch verlief, als der gerade 5 Jahre alt war, sieht Walter ihn eines Tages in einer solchen prekären Lage wieder: Jan, nun selbst Familienvater mit Frau (Nina Gummich) und einem jungen Sohn, kämpft um sein Wohnrecht. Walter nimmt sich seiner an - als Vater jedoch unerkannt bleibend - und will ihn und seine Familie aus der Gefahrenzone zu ziehen... Denn in solchen Fällen gibt es tatsächlich reale Gefahren, die weit über reines Schikanieren von Mietern hinausgehen. Und die kann Walter gut einschätzen.

 

DAS INTERVIEW 
 

Herr Nawrath, wie lange hat es gedauert - von den Ersten Vorbereitungen, über das Schreiben des Drehbuchs bis zum Drehbeginn?

Mit seinem ersten Film geht fast jeder lange schwanger: Wie zeigt man sich der Welt? Mit welcher ersten Arbeit.
Manche gehen das viel lockerer an und hauen einfach etwas raus, was im Glücksfall natürlich schön sein kann. Aber für mich war das ein großer Stein, den ich erst mal einen Berg hochrollen musste.

Wenn man es zusammenrechnet, habe ich wirklich sechs Jahre über diesen Film nachgedacht. In verschiedenen Fassungen und Konstellationen mit anderen Autoren, bis ich dann mit meinen Co-Autor Paul Salisbury zusammengefunden habe, mit dem wir das dann von Grund auf neu entwickelt und neu entdeckt haben.

 

Was war der Ausgangspunkt für die Geschichte?

Zu Beginn gab es diese Figur von Walter Scholl, bzw. gab es die Idee eines Mannes in dem Alter, der an seine physischen Grenzen kommt. Die Physis ist ja einfach unglaublich wichtig, gerade wenn man für den Broterwerb auf Gesundheit und Kraft angewiesen ist. Was natürlich bei einem Möbelpacker besonders stark ausgespielt wird. Die Idee war dann, einen Mann in diesem Beruf zu zeigen, der da an seine Grenzen kommt und merkt, dass sich da was ändert.

 

Wie alt waren Sie, als sie mit der Stoffentwicklung begonnen haben? Und: Gab es ein besonderes Schlüsselerlebnis, das Sie auf dieses Thema gebracht hat?

Als ich mit dem Projekt begann, war ich 32 und war selbst Vater geworden. Bis dahin habe ich an „Coming of Age“-Geschichten gearbeitet, was sich mit dem Vatersein total gewandelt hat. Plötzlich hat mich die andere Seite interessiert. Aber nicht vorsätzlich, sondern ganz intuitiv habe ich mich aus dieser anderen Perspektive abgenabelt und angefangen, Geschichten aus der elterlichen Perspektive zu betrachten.

Vater-Sohn-Geschichten haben mich schon immer interessiert. Diese elterliche Beziehung und Bindung, die ja, wenn man so will, zwischenmenschlich die stärkste emotionale Beziehung ist, hat mich so fasziniert, weil es ein unsichtbares Band gibt. Egal, ob man mit dem Elternteil aufgewachsen ist oder nicht: Es gibt immer irgendeine Bindung. In diesem Feld macht sich der Film auf die Suche.

 

Was ist für Sie das Besondere einer Vater-Sohn-Beziehung - in Abgrenzung zu einer starken Bindung zwischen einer Mutter mit ihrem Sohn?

Das Besondere ist dieses Zerbrechliche der Beziehung mit dem Vater! Die Liebe der Mutter würde ich im Gegensatz dazu als bedingungslos sehen. Beispielsweise, wenn man von Vaterland spricht, ist das immer an Bedingungen geknüpft. Man muss dem Vaterland dienen, damit man auch geliebt wird. Deswegen heißt das, glaube ich auch, Vaterland.

Eine Vater-Sohn-Beziehung ist nicht bedingungslos. Und gerade das macht sie so fragil, und trotzdem stark. Was passiert, wenn man sie auf eine Zerreißprobe stellt? Was ist, wenn man 30 Jahre dazwischen lässt, in denen man sich gar nicht kennengelernt hat? In denen der Sohn gar keine Bindung aufbauen konnte? Gibt es dann noch etwas, was sie verbindet? Was gibt es dann da noch und wie stark ist es? Das klärt, bzw. bespielt dieser Film.

 

Geht es in Ihrem Film auch um eine Schuldfrage? Auf jeden Fall geht es um das Verharren in der Verdrängung einer unüberlegten Handlung, die 30 Jahre zurück liegt. Und es geht um Wiedergutmachung und Wiederannäherung...

Das waren ganz starke Elemente. Ich habe natürlich versucht, einen Film zu machen, den ich selber gerne sehen würde, der mich also selber interessiert.

Mich haben Filme immer sehr berührt, in denen Menschen sehr Schuld beladen waren, und in denen sich an einem gewissen Punkt dann diese Schuld entlädt. Das habe ich immer als sehr stark empfunden.

Aber, was diesen Film angeht: Ich weiß nicht, ob man von einer Schuldfrage sprechen kann. Ich glaube, es geht eher um Scham. Weil die Scham ein Riesenproblem in zwischenmenschlichen Beziehungen ist. Scham hat eine solche Macht und Kraft und lässt Grenzen entstehen zwischen den Menschen!

 

FORTSETZUNG

Serie: "ATLAS" 7/8 - 8/8 Interview mit Regisseur David Nawrath


Foto:
1 ) Porträt David Nawrath
© 23/5 Film

Info:

ATLAS
100 Minuten
FSK-Freigabe "Freigegeben ab zwölf Jahren"

Regie
David Nawrath
Darsteller
Rainer Bock (Jan), Albrecht Schuch (Jan), Thorsten Merten (Alfred), Uwe Preuss (Roland),
Roman Kanonik (Moussa), Nina Gummich (Julia)
Drehbuch
David Nawrath, Paul Salisbury
Musik
Enis Rotthoff
Kamera
Tobias von dem Borne
Schnitt
Stefan Oliveira-Pita
Casting
Silke Koch
Produktion
23/5 Film - Britta Knöller, Hans-Christian Schmid
Verleih
Pandora Film

DAS INTERVIEW fand statt in den Räumlichkeiten von Hans-Christian Schmids Berliner Produktionsfirma 23/5