Serie: "ATLAS" - das Vater-Sohn-Drama im Handlanger-Milieu der Gentrifizierung - mit Rainer Bock, Albrecht Schuch u.a. / Regie: David Nawrath 8/ 8
Elke Eich
Berlin (Weltexpresso) - Gentrifizierung ist der situative Nährboden für Ihre Geschichte... Ein Thema, das in dieser Brisanz in fiktionalen Filmen eher selten vorkommt. Nun spielt aber auch noch die organisierte Kriminalität von kurdischen Clans mit rein, was derzeit sehr präsent in vielen urban angesiedelten Filmen ist.
Die Botschaft ist: Bei solchen Schweinereien, durch die Menschen ihren Wohnraum verlieren, stecken ganz oft solche Clan-Strukturen, und gegen sind wir machtlos. Weil es da immer gleich, bzw. schnell um Leben und Tod geht.
Es wird vermittelt, dass man in solch einem Fall keine andere Wahl hat, als auszuziehen. Dass es also keine realistische Chance gibt, mit irgendwelchen juristischen Mitteln Recht zu bekommen oder sich gegen zu jeglicher Form von Gewalt bereite Gegner zu schützen. Was hat sie dazu bewegt, Clan-Kriminalität in dieser Form mit einzuflechten?
Als ich mit der Stoffentwicklung begonnen habe, war das Thema der organisierten Kriminalität auch schon sehr präsent. Ich bin zu Prozessen gegangen, in denen es um die Hell Angels oder die Banditos ging, und habe mir die Leute angeguckt. Ich kenne auch einige Leute, die in diesen Kreisen verkehren. Diese Typen kenne ich einfach, weil ich ein Berliner bin, der in Schöneberg aufgewachsen ist.
Ich habe auch über Jahre hinweg fasziniert mitbekommen, wie sie sich entwickelt haben und was die jetzt machen. Die werden auch überall gefürchtet und von der Polizei respektiert. Wenn man mit der Polizei darüber spricht, gibt es da eigenartiger Weise einen gewissen Respekt für diese wilden Typen, die einfach machen was sie wollen.
Da sitzt zum Beispiel der für ein Gebiet zuständige Kommissar, mit dem wir über die Fakten und die Zustände sprechen, und ich konnte wirklich ganz klar Respekt und eine gewisse Ehrfurcht heraushören vor diesen Brechern, vor diesen Typen, die keine Rücksicht auf die Befindlichkeit anderer nehmen. Einfach weil die so frei und wild sind und machen, was sie wollen. Und das fand ich interessant. Überhaupt, was für Leute gehen teilweise zur Polizei? Nicht für alle, aber für einige verspricht die Polizei ja auch so ein Bild von Männlichkeit. In diesen Clan-Gruppierungen ist das Männlichkeitsbild aber natürlich noch viel extremer.
Warum haben Sie die organisierte Kriminalität ausgerechnet mittels eines Kurden-Clans gezeigt?
Wie ich darauf gekommen bin, das Thema einzubauen: Man ist in Berlin umgeben von der Gentrifizierung. Von den ganzen Symptomen und den Auswirkungen. Und man ist auch umgeben von diesen ganzen Geschichten darüber, was die Clans abziehen. Die Dynamiken und Prozesse im Immobilienmarkt, die zur Gentrifizierung führen, sind sehr komplex. Für unseren Film brauchten wir ein einfaches Bild dafür - und eine sichtbare und gut spürbare Gewalt. Das eigentliche Problem sind aber nicht die Clans, die dahinterstehen.
Wo müssen wir denn ansetzen, um der wild wuchernden Gentrifizierung beizukommen?
Das eigentliche Problem ist die Schere, die gerade auseinandergeht und von der Politik nicht zusammengehalten wird. Das ist die eigentliche Gefahr! Aber um die zu zeigen, müsste man einen Dokumentarfilm machen. Die Zusammenhänge sind so komplex, dass sie bei unserer Dramaturgie keinen angemessenen Platz gefunden hätten.
Ich hoffe sehr, dass es in unserem Film nicht so rüberkommt, als wären die Araber-Clans oder Kurden-Clans oder wie auch immer Schuld an allem sind. Aber es ist filmisch einfach so dankbar und man kann das Problem besser spürbar machen. Man sollte sie absolut ernst nehmen, aber gemessen am Ganzen gehören diese Clan-Strukturen eher zu den geringeren Problemen, die wir haben. Das ist mein Standpunkt dazu.
Die Dynamik der Gentrifizierung ist in der Tat komplex. – Hätte es sie gereizt, mehr Hintergründe in Ihrem Film zu vermitteln?
Dann wäre es ein Themenfilm geworden. Themenfilme sind, wie ich finde, in den seltensten Fällen gelungen. Bei uns steht ganz klar die Hauptfigur im Mittelpunkt, und das Menschliche. Ins Kino gehen wir ja schließlich wegen der Menschen und der Geschichten.
Wenn ich mich über ein Thema ergiebig informieren will, dann mache ich das im besten Falle über eine Reportage oder einen Dokumentarfilm, oder ich lese darüber. Aber in einem fiktionalen Film wäre das vergebene Zeit, weil: Ein Spielfilm kann nie so kraftvoll werden, wenn man über das Thema geht. Deshalb war die Entscheidung ganz klar, dass wir die Spitze des Eisbergs zeigen. Wenn man das Thema nur peripher zeigt und es nur ankratzt vermitteln sich dadurch zwar nicht alle Fakten, aber ein dazu passendes Gefühl kommt intensiv rüber
Im Grunde genommen sind ja einzelne Elemente auch austauschbar und es geht um das Symbolische: Da existiert eine Macht und eine Bedrohung, mit der man umgehen muss. Um Ihren Film zu verstehen, reicht das.
Warum genau wollten Sie eigentlich Filmemacher werden? Was war Ihr Impuls?
Der Impuls, Filme machen zu wollen, liegt wohl in meiner Kindheit. Meine Mutter arbeitete in einer Boutique im Europa-Center, wo es damals noch das Broadway-Kino gab. Und manchmal, wenn sie keine Zeit hatte, hat sie mich in eine Kinovorstellung gesetzt. Das heißt, im Alter von 5/6/7 Jahren habe ich regelmäßig Kinofilme gesehen. Manche sogar mehrmals. Vielleicht hat sich die filmische Erzählform, bzw. dieses Medium, dadurch so bei mir eingebrannt.
Sie haben, wie sie vorhin sagten, relativ spät mit dem Filmen angefangen. Welche Jobs haben Sie gemacht, bis Sie den Beruf des Regisseurs voll umsetzen konnten?
Ich habe alles Mögliche gemacht. Habe auf dem Bau und lange in Bars gearbeitet, und ich habe auch eine Zeit lang für Reiseführer fotografiert
Herr Nawrath, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihrem wunderbaren Film viele Zuschauer!
Fotos:
1) Jan (Albrecht Schuch) und Alfred (Thorsten Merten)
© 235 Film, Tobias von dem Borne
2 ) ATLAS Berlin-Premiere *)
© 235 Film
*) David Nawrath, Roman Kanonik, Thorsten Merten, Rainer Bock,
Britta Knöller, Albrecht Schuch, Uwe Preuss, Hans-Christian Schmid
Info:
ATLAS
100 Minuten
FSK-Freigabe "Freigegeben ab zwölf Jahren"
Regie
David Nawrath
Darsteller
Rainer Bock (Jan), Albrecht Schuch (Jan), Thorsten Merten (Alfred), Uwe Preuss (Roland),
Roman Kanonik (Moussa), Nina Gummich (Julia)
Drehbuch
David Nawrath, Paul Salisbury
Musik
Enis Rotthoff
Kamera
Tobias von dem Borne
Schnitt
Stefan Oliveira-Pita
Casting
Silke Koch
Produktion
23/5 Film - Britta Knöller, Hans-Christian Schmid
Verleih
Pandora Film