Serie: "ATLAS" 1/8 - das Vater-Sohn-Drama im Handlanger-Milieu der Gentrifizierung - mit Rainer Bock, Albrecht Schuch, Thorsten Merten u.a. / Regie: David Nawrath
Elke Eich
Berlin (Weltexpresso) - 30 Jahre lang hat Walter Scholl (Rainer Bock) isoliert und auf emotionaler Sparflamme gelebt, so als hätte er die Luft angehalten. Abgespalten von seinen Sehnsüchten und Emotionen und gegen den Verfall seines einst extrem starken Körpers mit häuslichen Trainings ankämpfend.
Mit einem Trupp von Möbel-Schleppern der Speditionsfirma von Roland Grone (Uwe Preuss) taucht Walter im Tross des Gerichtsvollziehers Alfred Hoppe (Thomas Merten) immer wieder auch bei Menschen auf, die auf richterlichen Räumungsbeschluss hin ihre Wohnungen verlassen müssen. Er macht stoisch seine Arbeit, scheint sie nicht zu hinterfragen und hält sich aus allem raus.
Eines Tages steht der wortkarge Mann mit seinen Kollegen jedoch vor einer Wohnungstür, die von einem jungen Mann mit außerst unerschrockener und kämpferischer Attitüde geöffnet wird: Es ist sein Sohn Jan (Albrecht Schuch), der mit seiner Frau (Nina Gummich) und dem kleinen Sohn dort lebt und als Letzter gegen Kündigung und Räumung im ansonsten mittlerweile unbewohnten Mietshaus noch die Stellung hält.
Nun ist Walter emotional gefordert, sich um seinen Sohn zu
kümmern, der ihn im Treppenhaus nicht sehen konnte und ihn
ohnehin nicht als Vater erkannt hätte. Kümmern heißt in diesem Fall: Jan, den Walter vor 30 Jahren das letzte Mal gesehen hat, aus einer Gefahrenzone zu ziehen.
Nährboden und Hintergrund-Atmosphäre dieser sehr persönlichen Geschichte ist die Gentrifizierung und das rücksichtslose Vorgehen von Geldwäschern und Spekulanten, die Mieter aus ihren Wohnungen vertreiben, u.a. mit kriminellen Methoden, um maximale Gewinne zu erzielen. Da ist wenig bis gar kein Mitgefühl zu erwarten.
Ein grandioser Rainer Bock in der sehr körperlichen und wortkargen Hauptrolle als Walter Scholl
Seit dem Erfolg von Michael Hanekes Welt weit geschätzten Film "Das Weiße Band", in dem der in Kiel geborene Schauspieler einen übergriffigen Arzt spielte, ist er auch international sehr gut im Geschäft. Sogar für drei Drehtage liess man Rainer Bock da schon mal nach Australien einfliegen - zig-Extras inklusive, mit denen der gar nicht so "reisefreudige" Schauspieler die Interessenten von seiner Buchung abbringen wollte! (siehe Interview, Serie "ATLAS" 2/8 -5/8) - weil ER einfach für den Regisseur von "Tracks" die absolute Wunschbesetzung für die Rolle war und blieb.
In David Nawraths Spielfilm "ATLAS" um eine Vater-Sohn-Geschichte der besonderen Art, spielt Rainer Bock nun die Hauptrolle. Was heißt "spielt!? Eigentlich verwandelt sich der 64-jährige Wahl-Münchener regelrecht in den Möbel-Schlepper Walter Scholl, der durch die Begegnung mit seinem "verlorenen" Sohn Jan aus seiner trostlosen Bahn geworfen wird. Besser gesagt: Walter wird nahezu wieder zum Leben erweckt und stößt Stück für Stück seine emotionale Verkrustung ab!
Auf Theaterbühnen hat der vielbeschäftigte Charakterschauspieler über 30 Jahre hinweg viele tragende Rollen gespielt. Im Bereich Film hat Bock tatsächlich mit der Figur des Walter seine erste Hauptrolle gelandet. Zudem ist die Rolle sogar noch völlig gegen den Strich besetzt, denn auf dem Schirm hatten die für Besetzungen verantworlichen Menschen ihn eigentlich immer wieder nur für intellektuelle und eher auch kalte Charaktere. Kalt, wie der grausame Arzt in "Das Weiße Band" eben!
Zwar folgte Rainer Bock der Einladung zum "ATLAS"-Casting für die Rolle von Walter, hielt sich selbt aber erst mal für eine klassische Fehlbesetzung. Er als Möbelpacker?
Im Drehbuch habe etwas von Muskelspiel gestanden, dass sich unter dem Hemd abzeichnete, erzählt Bock amüsiert in unserem ebenso launigen, wie tief schürfenden Interview. Nach Blicken links und rechts an seinem Körper herunter, habe er sich doch sehr gewundert, wie man da auf ihn gekommen sei. Doch weil er das Drehbuch grandios fand und ihn die Vater-Sohn-Geschichte die die daran geknüpften Themen ebenso faszinierten, wie persönlich beschäftigen - als Vater wie als Sohn - machte er sich auf den Weg nach Berlin. Schließlich ist es immer gut, neue gute Leute in der Branche kennenzulernen und sich zu zeigen, selbst, wenn es mit einer speziellen Rolle dann nicht klappen sollte.
Beim Spiel einer Schlüsselszene mit Roman Konanik klickte es dann aber sofort beim Regisseur: Bereits nach 30 Sekunden wusste David Nawrath nach eigenen Aussagen im Interview, dass er mit Rainer Bock endlich seinen Walter gefunden hatte. Roman Konanik, der aus Sibirien stammt und im Film ein kurdisches Clan-Mitglied spielt, erinnert sich schmunzelnd: "Ich habe David an seinen Reaktionen sofort angesehen, dass er sich in Rainer bei diesem Vorspielen regelrecht verliebt hat. Ganz unruhig wurde er auf seinem Stuhl und hat richtig gestrahlt!"
Einen Haken gab es allerdings, was die Vorbereitung für Rainer Bocks betraf: Ein halbes bis dreiviertel Jahr gecoachter Muskelaufbau in einem Fitnessstudio sollte schon noch sein. Aber nicht, um Rainer Bock eine Bodybuilder-Figur à la Arnold Schwarzenbecker anzutrainieren, sondern, wie der Schauspieler es ausdrückt, um "oberkörpertechnisch ein bisschen zu beglaubigen, dass der Walter mal vor 40 Jahren richtig gestemmt hat, bzw. in diesem Beruf arbeitet".
Das intensive Fitness-Training im Studio hat dem auch sonst sportlichen Schauspieler sehr gut getan, körperlich und auch menschlich. Letzteres aufgrund wichtiger Erkenntnisse, die bei ihm mit einem Vorurteil aufräumten, und so etwas schätzt er sehr: Menschen, die sich professionell in der Fitnessstudio-Welt bewegen, können auch noch was anderes im Kopf als ihren Körper haben! Manni, sein, wie Bock es umschreibt, sein sehr behutsamer und kluger Personal Coach, ist aktiv und auch im sozialen Bereich sehr umtriebig wurde ein Freund...
FORTSETZUNG
Serie: "ATLAS" 2/8 - 8/8 - Die Interviews mit Schauspieler Rainer Bock und Regisseur David Nawrath
Weiter zum Interview mit Schauspieler Rainer Bock: https://weltexpresso.de/index.php/kino?view=form&layout=edit&a_id=15912&catid=79&return=aHR0cHM6Ly93ZWx0ZXhwcmVzc28uZGUv
FOTO CREDITS:
1 ) Walter (Rainer Bock) - auf dem "ATLAS"-Filmplakat
© 235 Filmproduktion, Gerald von Foris
2) Szene: Jan (Albrecht Schuch), Walters Sohn, und Alfred (Thosten Merten) an Jan's Wohnungstür
© 235 Film,Tobias von dem Borne.tif
FILM CREDITS:
ATLAS
100 Minuten
FSK-Freigabe "Freigegeben ab zwölf Jahren"
Regie
David Nawrath
Darsteller
Rainer Bock (Jan), Albrecht Schuch (Jan), Thorsten Merten (Alfred), Uwe Preuss (Roland), Roman Kanonik (Moussa), Nina Gummich (Julia)
Drehbuch
David Nawrath, Paul Salisbury
Musik
Enis Rotthoff
Kamera
Tobias von dem Borne
Schnitt
Stefan Oliveira-Pita
Casting
Silke Koch
Produktion
23/5 Film - Britta Knöller, Hans-Christian Schmid
Verleih
Pandora Film