Bildschirmfoto 2019 05 02 um 10.27.48Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Mai 2019, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Respektlos gesprochen, stellt dieser Film, in dem die Schloßherrin Claire Darling (Catherine Deneuve) ihr Haus von allem entrümpelt, herrliche Antiquitäten zusammen mit dem skurrilsten mechanischen Spielzeug im Garten des feudalen Anwesens zu Schleuderpreisen verkauft, die Analogie her, daß hier die inzwischen 75jährige französische Schauspielerin ebenfalls als antik zu Dumpingpreisen ausgestellt wird.

Unentwegt blickt die Kamera auf sie, die, wie seit vielen vielen Jahren, jeweils sehr lange ihr kühles, rätselhaftes Gesicht zeigt, ohne daß die Gedanken und Gefühle erkennbar wären, irgendwie leer, irgendwie alt, irgendwie schön. Aber halt auch ganz schön ausdruckslos. Und da Catherine Deneuve gerade deshalb eine interessante Frau ist, kann man den Film auch gut aushalten.

Es gibt noch einen zweiten Zugang. Wer sowohl die Schönheit der Möbel vergangener Zeit liebt, erst recht, wer die Wunderwerke der früheren Spielwerke, des mechanischen Spielzeugs genauso wertschätzt, die vielseitigen Puppen die akrobatischen Zirkusfiguren, die – aufgezogen - ihre Kunststücke vorführen können, wer all den Krempel liebt, weil er unwiederbringlich eine Zeit aufscheinen läßt, wo der Mensch noch nicht zum Arbeitstier geworden, stark seinem Spieltrieb und seinem Schönheitssinn folgen durfte, der ist hier richtig in diesem Film, der uns mit dem einen Tag des Flohmarkts gleichzeitig das ganze Leben der Claire Darling bieten soll. Das geht nicht auf.

Denn Catherine Deneuve ist die reine Fehlbesetzung für die, uns als geistig hinfällig beschriebene, ja in die Demenz gleitende Claire Darling, aber eine agile und selbstbewußte Fehlbesetzung. Aber auch keine Sekunde ist sie das Opfer ihrer Umstände. Wenn sie zu Beginn aus dem Schlaf aufwacht, fest glaubt, daß der letzte Tag ihres Lebens angebrochen ist, energisch die Vorhänge aufzieht, die sie wohl jahrelang geschlossen hielt, dann nimmt sie das Heft des Handelns in die Hand. Der Ehemann ist schon lange tot, der geliebte Sohn tödlich verunglückt, eine Tochter, die 20 Jahre nicht zu Hause war, gibt es auch, doch die kommt erst später, wenn das Spektakel, den einen ihr Glück, der Tochter ihr Unglück, also der Flohmarkt, schon fast vorbei ist.

Claire Darling zieht also die Vorhänge auf und entscheidet, es muß alles raus. Das ganze vollgestopfte Haus soll leer werden, denn vielleicht wird ihr Kopf dann auch erträglich und erinnert sie nicht ständig an das Gestern. Das ist doch ein faszinierender Anfang. Die Gegenstände, die einen ein Leben lang begleitet haben, die man liebte, zu verschleudern, damit Platz im Hirn und Platz in den Gefühlen herrschen können. Um Geld mußte sich die Grande Dame noch nie kümmern, was gelogen ist, denn das Haus sieht leicht verwahrlost aus und hätte eine Renovierung dringend nötig. Aber nicht der Gewinn ist dieser Claire wichtig, sondern die erhoffte Leere. Diese Leere soll zusätzlich der ihr vertraute katholische Priester vermitteln, von dem sie einen Exorzismus erwartet. Aha, nichts anderes als Exorzismus ist auch ihr Ausverkauf der einst geliebten Sammlerstücke.

Lange gefiel uns der Film genau in diesen Szenen, wie die ganze Dorfbevölkerung in Windeseile vom Flohmarkt der Madame Wind bekommt, hineilt, die schönsten Stücke für Pfennige erwirbt und sich diebisch freut, so billig, so Rares bekommen zu haben. Das Herz der Zuschauerin empört sich, wenigstens das Herz solcher, die diese Gegenstände auch gerne hätten. Doch gibt es gute Menschen. Die Besitzerin des Antiquitätengeschäfts – wir sind in Frankreich, wo Dörfer solches besitzen – und gute Freundin der Tochter, informiert diese von der Verrücktheit der Mutter und kauft die gerade billig erworbenen Gegenstände von den Käufern für mehr Geld zurück, so weit es geht.

Während wir nun der ewig rauchenden Claire – das lenkt eher ab und ist ein fatales äußeres Kennzeichen - beim Erinnern zuschauen – ob Fiktion, ob echtes Erinnern, ist völlig wurscht, denn es gibt keine geschichtliche Wahrheit, die interessieren könnte, wahr ist immer, was der eigene Kopf als Erinnerung uns vorgibt – rauscht ihr Leben vorbei, das wie bei jedem aus Irrtümern, Fehlern, ja vielleicht auch Verbrechen besteht. Und vor allem aus Schweigen über Geheimnisse.


Bildschirmfoto 2019 05 02 um 10.29.00Längst ist die Tochter Marie (Chiara Mastroianni, die echte Tochter der Deneuve, links im Bild) gekommen, die guten Grund hat, ihre Mutter so lange nicht sehen zu wollen. Mütter-Tochter-Filme haben immer etwas Interessantes, da sich insbesondere weibliche Zuschauer identifizieren können, mit der einen oder der anderen – und noch spannender: mit beiden. Aber das bleibt alles verhalten, weshalb wir an dieser Stelle Schluß machen, aber die herrlichen Requisiten noch lange in sehr guter Erinnerung behalten werden und wären wir am Tag des Ramschverkaufs in diesem französischen Dörfchen gewesen, hätten wir wohl alles aufgekauft!





Fotos:
Madame Claire (Catherine Deneuve) begegnet den Memoiren ihres Lebens
© Neue Visionen Filmverleih

Info:
Besetzung

Claire Darling          Catherine Deneuve, Alice Taglioni
Marie Darling          Chiara Mastroianni, Colomba Giovanni, Mona Goinard
Amir                        Samir Guesmi, Amine Mejri
Martine                   Laure Calamy, Lewine Weber
Claude Darling       Olivier Rabourdin
Priester Georges    Johan Leysen, Julien Chavrial
Martin Darling         Simon Thomas, Joseph Flammer
Junge Helfer           Valentin Dériaud, Yasin Houicha, Morgan Niquet, Jérémy Beuvin