Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos am 28. und ab dem 30. Mai 2019, Teil 1
Margarete Frühling
München (Weltexpresso) - Als Kun vier Jahre alt ist ändert sich sein Leben radikal. Bis jetzt war er der Liebling seiner Eltern, doch jetzt bringen sie seine kleine Schwester aus dem Krankenhaus mit. Nun haben sie überhaupt keine Zeit mehr für ihn, beachten ihn nicht und alles dreht sich nur noch um seine kleine Schwester Mirai.
Kun versucht durch Schreien und Toben auf sich aufmerksam zu machen, das hilft aber auch nicht weiter. Als er seine kleine Schwester auch noch mit seinem Spielzeug-Zug schlägt, wird er erst recht von seiner Mutter ausgeschimpft.
Ganz schlimm wird es, nachdem seine Mutter wieder mit dem Arbeiten angefangen hat, während sein Vater als Architekt zu Hause arbeitet und sich auch um die beiden Kinder kümmern will. Der ist damit allerdings zuerst einmal hoffnungslos überfordert.
Wenn Kun sich besonders verlassen fühlt, geht er in den kleinen Garten des Hauses, dort steht ein magischer Familienbaum. Eines Tages begegnet er dort einem Mann, der sich als menschliche Verkörperung seines Hundes Yukko herausstellt und der sich darüber beschwert, dass Kun ihm die Liebe seiner Herrchen gestohlen hätte.
Darauf besucht Kun immer wieder den Garten und trifft dort auf verschiedene Verwandte in unterschiedlichen Lebensabschnitten aus der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft: seine kleine Schwester als 12Jährige, seinen inzwischen verstorbenen Urgroßvater als tatkräftigen jungen Mann trotz einer Beinverletzung nach dem Krieg, seine Mutter als kleines Mädchen, die sich über ihren jüngeren Bruder ärgert, und seinen Vater, der Probleme hat, Fahrrad fahren zu lernen.
Er lernt dabei seiner Schwester zu helfen, überwindet mit seinem Urgroßvater seine Angst vor den Fahrrad fahren und sieht, dass auch seine Mutter als Kind eifersüchtig auf ihren jüngeren Bruder war.
Als er dann auch noch lernen muss, was für Folgen es hat, zurückgelassen zu werden, beginnt Kun die Wichtigkeit seiner Familie aus einer anderen Perspektive zu sehen und sich mit seiner neuen Schwester zu arrangieren.
"Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft" ist ein Animationsfilm von Regisseur Mamoru Hosoda, der auch selbst das Drehbuch verfasst hat. Er hat darin Erlebnisse seiner eigenen Familie verarbeitet, als er und seine Frau Eltern eines zweiten Kindes wurden.
Dabei werden hier die Konflikte aus der Sicht des vierjährigen Kun gezeigt, der nicht mehr der Prinz im Haus ist, sondern plötzlich auf den zweiten Platz gedrängt wird. Dabei gehen immer wieder Kuns Geschrei und seine Wutausbrüche nicht nur seinen Eltern, sondern vermutlich auch den Zuschauern gewaltig auf die Nerven. Kun selbst erfährt recht bald, dass der Familienhund ihm gegenüber ähnliche Gefühle gezeigt hat, wie Kun sie jetzt für Mirai fühlt.
Mamoru Hosoda hat dabei die Problematik sehr genau beobachtet und sie auch in kleinen Szenen immer wieder eingefügt, z.B. wenn der Vater Kun in den Kindergarten bringt und der sich laut schreiend mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Er zeigt aber auch, dass sich nicht nur der kleine Junge schwierig verhält, sondern dass auch die Eltern Fehler machen, so dass es regelmäßig zu Problemen mit dem älteren Kind kommen muss.
Interessant ist auch, dass Kun in einer modernen japanischen Familie lebt, denn die Mutter geht nach kurzer Zeit wieder arbeiten und der Vater (der auch das für Japan untypische Haus entworfen hat) arbeitet als Architekt zu Hause, während er die beiden Kinder betreut. Dabei passieren natürlich immer mal wieder auch kleine Katastrophen, die der Vater aber lernt zu meistern.
Wunderbar und mit viel Slapstick sind die Szenen, wenn die ältere Mirai, der menschliche Familienhund Yukko und Kun gemeinsam versuchen, eine Vergesslichkeit des Vaters zu beseitigen und der dann plötzlich seine kleine Tochter nicht mehr in der Wippe findet.
Ganz langsam lernt Kun und damit auch die Zuschauer, seine gesamte Familiegeschichte in der Gegenwart, der Vergangenheit und auch in der Zukunft kennen - wie sich seine Urgroßmutter und sein Urgroßvater kennen gelernt haben, dass Kuns Mutter ihm doch sehr ähnlich war, dass sein Vater auch Probleme mit dem Fahrrad fahren hatte und vor allem, dass sich Mirai und Kun zu netten und verantwortungsbewussten Jugendlichen entwickeln werden. Diese nachdenklichen Momente machen einen großen Teil des Charmes des Filmes aus.
Toll sind auch die fantastischen Erlebnisse Kuns umgesetzt. Vor allem zum Schluss muss sich der Junge in einer für Kinder sicher verstörenden Vision damit auseinander setzen, was es bedeutet, auf einem riesigen Bahnhof verloren zu gehen. Er muss verhindern, dass er in einen abfahrbereiten Zug des Shinkansen, seines Lieblingszuges, hineingezogen wird, denn dort droht ihm ein Leben ohne Familie und er muss auch die kleine Mirai daran hindern, in den Zug zu krabbeln. In dieser Sequenz wird die positive Verbindung von Kun zu seinen geliebten Spielzeugzügen plötzlich ins Gegenteil verkehrt und durch das Gefühl des Verlassen werdens sind sie auch angstbesetzt. Dadurch lernt der Junge, über seinen Schatten zu springen und seine kleine Schwester und damit auch sich selbst zu retten (und sich damit in der realen Welt mit ihrer Anwesenheit abzufinden).
Durch die verschiedenen Erlebnisse im Garten erfährt Kun, dass seine Probleme nicht einzigartig sind, sondern dass es seinen Eltern in deren Kindheit nicht anders gegangen ist, denn schon seine Mutter war unordentlich und auf ihren jüngeren Bruder eifersüchtig und sein Vater ist das eine oder andere Mal vom Fahrrad gestürzt. Er lernt auch, dass man die Angst vor dem Verlassen werden durch den Zusammenhalt von Geschwistern mildern kann - und dass man nicht unbedingt immer alles mit Geschrei durchsetzen muss.
Der Regisseur zeigt dabei Kuns reale Welt in sanften Pastelltönen, dagegen sind einige der Fantasiewelten doch recht dramatisch. Da leuchtet plötzlich eine rotes Hexengesichts auf oder der verzauberte Eisenbahnzug und der ewig lange Bahnsteig wirken bedrohlich und düster.
"Mirai – Das Mädchen aus der Zukunft" wurde in diesem Jahr für einen Oscar in der Kategorie "Bester Animationsfilm" nominiert, er hat allerdings gegen "Spider-Man: A New Universe" verloren. Der Film wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW) mit dem Prädikat "wertvoll" ausgezeichnet.
Insgesamt ist "Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft" ein sehenswerter Film, der evtl. an einigen Stellen etwas gekürzt werden könnte. Er ist ganz sicher kein Film allein für Kinder, aber er ist wunderbar als Familienfilm geeignet, denn die angesprochenen Probleme können so oder so ähnlich in allen Familien auftreten.
Zusatz: Regisseur und Drehbauchautor Mamoru Hosoda hat Kuns Geschichte auch als Buch veröffentlicht. Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft ist 2019 als deutschsprachige Ausgabe beim Verlag Kazé Manga erschienen.
Foto: Mirai und Kun © Studio Chizu
Info:
Mirai - Das Mädchen aus der Zukunft (Japan 2018)
Originaltitel: Mirai no Mirai
Genre: Animation, Fantasy, Drama
Filmlänge: 98 Minuten
Drehbuch und Regie: Mamoru Hosoda
Japanische Sprecher: Moka Kamishiraishi, Haru Kuroki, Gen Hoshino, Kumiko Aso, Mitsuo Yoshihara, Yoshiko Miyazaki, Koji Yakusho u.a.
Verleih: AV Visionen Filmverleih
FSK: ab 6 Jahren
Kinostart: 28.05.2019 im Rahmen der Kazé Anime Nights 2019, regulär am 30.05.2019