Karin de Miguel Wessendorf
Köln (Weltexpresso) - Im Frühjahr 2015 besuchte ich zum ersten Mal das rheinische Revier. Zu dem Zeitpunkt habe ich bereits seit 18 Jahren in Köln gelebt. Von der Braunkohleförderung in der Region hatte ich, wie viele Menschen in meinem Umfeld, nicht viel mehr mitbekommen als die rauchenden Schlote der Kraftwerke in der Kölner Bucht. Dass sich 40 Kilometer vor meiner Haustür die größte CO2 Quelle Europas befindet, war mir lange nicht bewusst. Mein Interesse an der Region und auch am Widerstand der Menschen dort wurde geweckt, als ich mitbekam, dass internationale Klimaaktivisten und Aktivistinnen spektakuläre Besetzungsaktionen in den Tagebauen planten, um im Vorfeld der Pariser Klimakonferenz gegen Braunkohle als klimaschädlichste Form der Energiegewinnung zu protestieren. Der Schulterschluss dieser Aktivisten und Aktivistinnen mit Menschen aus der Region, die seit Jahrzehnten weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit gegen den Verlust ihrer Heimat durch die Tagebaue und Kraftwerke von RWE kämpften, machte das Thema für mich noch spannender. Eine Verbindung von so verschiedenen Gruppen, mit so unterschiedlichen Motivationen und Methoden interessierte mich sofort.
Am Anfang meiner Recherchen fuhr ich nach Immerath, ein Dorf im Abbaugebiet des Tagebaus Garzweiler, das mittlerweile nicht mehr existiert. Damals war Immerath zwar noch intakt, doch es lebten bereits nur noch wenige Menschen im Ort. Die meisten hatten ihre Heimat schon aufgegeben. Einige wenige waren geblieben, um der Umsiedlung zu trotzen. Der Anblick dieses Geisterdorfes, der leeren Straßen, der verlassenen Häuser und Geschäfte, hat mich zutiefst erschüttert. Wenn es nach den Plänen von Politik und RWE gehen würde, sollen sich im Rheinland bis zum Jahr 2045 die Bagger weiter durch das Land fressen, unersetzliche Natur zerstören und Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Dass dies im 21. Jahrhundert in einem Land, das sich als Vorreiter der Energiewende darstellt, für das Allgemeinwohl noch als unumgänglich betrachtet wurde, wollte mir nicht einleuchten. Spätestens an diesem Tag beschloss ich, dass ich einen Film über die Menschen machen wollte, die sich dagegen wehren.
Wenig später war ich zum ersten Mal im Hambacher Forst. Dort traf ich auf eine Gruppe von 20- 30 Besetzern, die sich einen erbitterten Kampf mit den Energieriesen lieferten. Ein aussichtsloser Kampf, wie es damals schien. Doch in den über 3 Jahren, in denen ich dort gedreht habe, entwickelte sich der Wald zum Kristallisationspunkt einer Bewegung, die immer weiter gewachsen ist. Und das obwohl die Methoden der Besetzer durchaus umstritten sind. Für immer mehr Menschen - nicht nur in der Region - ist ziviler Ungehorsam zu einem legitimen Bestandteil des Protestes gegen fossile Brennstoffe geworden.
In meinem Film gehe ich der Frage nach, wie es dazu kam, dass aus verschiedenen kleinen Gruppen, die jahrelang kaum Beachtung fanden und die in ihren Motivationen und Ansätze unterschiedlicher kaum sein könnten, eine breite Bewegung entstanden ist, die Einfluss auf die Politik ausüben kann.
Während der Dreharbeiten habe ich beobachtet, wie immer mehr Menschen in den Konflikt hineingezogen wurden. Sicher hat die Unnachgiebigkeit von RWE und der Landesregierung einen beträchtlichen Anteil an dieser Entwicklung. Umweltschützer und Bürgerinitiativen hatten die ehemalige Autobahn A4 am Tagebau Hambach zur roten Linie erklärt: an dieser Linie müsste der Tagebau halt machen, wenn Deutschland die Klimaziele erreichen soll. Doch dies ist nicht die einzige rote Linie, die überschritten wurde: jedes Mal, wenn wirtschaftliche Interessen teilweise mit Polizeigewalt durchgesetzt wurden; jedes Mal, wenn sich das Gefühl von Ohnmacht eingestellt hat; jedes Mal, wenn politische Entscheidungen nur noch auf Unverständnis gestoßen sind, ist der Widerstand gewachsen. Aus dieser Beobachtung kommt der Titel des Films. Die rote Linie ist eigentlich schon lange klar definiert: Wenn die globale Erwärmung deutlich über 1,5 Grad steigt, wird es zunehmend gefährlich für das Leben auf der Erde. Die Überschreitung dieser Grenze ist für immer mehr Menschen nicht mehr tolerierbar. Das Jahr 2018 wird möglicherweise in die Geschichte eingehen als das Jahr, in dem der Kohleausstieg eingeleitet wurde. Dies wird nicht daran liegen, dass die Politik einen Kurswechsel eingeleitet hätte, sondern daran, dass die Klimaschutzbewegung in die Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst spielen darin eine Schlüsselrolle.
Foto:
Karin de Miguel Wessendorf // © Thurnfilm/Corinna C. Poetter
Info:
DIE ROTE LINIE – WIDERSTAND IM HAMBACHER FORST
Buch und Regie: Karin de Miguel Wessendorf
Produzent: Valentin Thurn
Redaktion WDR: Jutta Krug
Kamera: Frank Kranstedt, Gerardo Milsztein
Zusätzliche Kamera: Dieter Stürmer, Rainer Friedrich, Michael
Goergens, Jennifer Günther, Julia Franken
Ton: Ralf Weber, Ralf Gromann, Marcel Lepel,
Juliane Vari, Thomas Funk, Jule Cramer
Dramaturgische Beratung:
Sebastian Stobbe
Schnitt: Kawe Vakil
Musik: Fabian Berghofer
Karin de Miguel Wessendorf // © Thurnfilm/Corinna C. Poetter
Info:
DIE ROTE LINIE – WIDERSTAND IM HAMBACHER FORST
Buch und Regie: Karin de Miguel Wessendorf
Produzent: Valentin Thurn
Redaktion WDR: Jutta Krug
Kamera: Frank Kranstedt, Gerardo Milsztein
Zusätzliche Kamera: Dieter Stürmer, Rainer Friedrich, Michael
Goergens, Jennifer Günther, Julia Franken
Ton: Ralf Weber, Ralf Gromann, Marcel Lepel,
Juliane Vari, Thomas Funk, Jule Cramer
Dramaturgische Beratung:
Sebastian Stobbe
Schnitt: Kawe Vakil
Musik: Fabian Berghofer