Ko-Autorin Oh Jung-mi
Seoul (Weltexpresso) - Ich habe Lee Chang-dong das erste Mal 2010 an der Filmhochschule getroffen und einen Storytelling-Kurs bei ihm belegt. Er lehrte uns, dass wir uns keine guten Geschichten ausdenken, sondern finden sollen. Wie lebendige Wesen wandern gute Geschichten um uns herum, und wenn wir geschulte Augen haben, können wir sie erkennen. Ich habe mit ihm später fünf Jahre lang als Drehbuchautorin gearbeitet.
In diesen fünf Jahren sind uns viele solcher Geschichten begegnet und um uns herumgeschwebt. Einige sind zu Drehbüchern geworden, aber dann im Regal gelandet, weil wir nie ganz erklären konnten, warum sie ‚unbedingt Filme werden müssen‘. Lange fühlte es sich an, als würden wir uns auf der Suche nach einem unausgetretenen Pfad einfach im Kreis drehen. Gerade als die Warterei anfing uns zu erschöpfen, stolperten wir über Haruki Murakamis Kurzgeschichte ‚Scheunenabbrennen’. Genau wie es der Regisseur vorausgesagt hatte, fanden wir die richtige Geschichte zufällig, in einem völlig unerwarteten Moment.
EINE KURZE UNTERHALTUNG MIT REGISSEUR LEE CHANG-DONG
Ich glaube, die Leute sind überrascht, dass du einen Film nach einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami gemacht hast. Die Geschichte ist eine dieser Geschichten, in denen so gut wie gar nichts passiert. Ist das nicht genau die Art von Material, vor dem du deine Filmstudenten immer gewarnt hast?
Als du mir die Geschichte das erste Mal empfohlen hast, war ich tatsächlich ein wenig perplex. Die Geschichte hatte etwas sehr Mysteriöses an sich, aber eigentlich passierte wirklich nicht viel. Ich musste dir allerdings zustimmen, dass da in diesem Mysteriösen etwas sehr Filmisches lag. Ein kleines Mysterium dieser Kurzgeschichte ließe sich mit filmischen Mitteln vielleicht in größere Mysterien und etwas Vielschichtigeres verwandeln. Die klaffenden Lücken in der Kette der Ereignisse – das fehlende Puzzleteil, das uns für immer die Wahrheit vorenthält – macht die undurchschaubare Welt in der wir leben ja erst aus; eine Welt, von der wir wissen, dass mit ihr etwas nicht stimmt, aber in der wir das zugrundeliegende Problem nicht genau bestimmen können.
Wir haben ein paar unserer Notizen „Projekt Wut“ betitelt. Du wolltest Geschichten über Wut erzählen, besonders über die Wut, die junge Leute heute spüren. Aber du wolltest diese Geschichten nicht auf konventionelle Weise erzählen. Wie glaubst du, ist aus der mysteriösen Kurzgeschichte von Murakami eine Geschichte über Wut geworden?
Es wirkt auf mich, als seien Menschen heute überall auf der Welt, unabhängig von ihrer Nationalität, Religion oder ihrem sozialen Status, aus ganz verschiedenen Gründen wütend. Die Wut der jungen Menschen ist dabei ein besonders dringliches Problem. Junge Menschen in Südkorea haben es zurzeit sehr schwer. Sie leiden unter Arbeitslosigkeit. Sie finden keine Hoffnung in der Gegenwart und sehen, dass die Dinge in der Zukunft für sie nicht viel besser aussehen. Weil sie aber kein Ziel ausfindig machen können, auf das sie ihre Wut projizieren können, fühlen sie sich hilflos. Die Welt wirkt, als würde sie immer hochentwickelter und bequemer – auf den ersten Blick ein perfekt funktionierender Ort, doch für viele junge Leute wird sie immer mehr zu einem riesigen, undurchschaubaren Puzzle. Sie sind ein bisschen wie der Protagonist in Murakamis Geschichte, der einem Mann, dessen wahre Identität geheimnisumwoben bleibt, nur apathisch und teilnahmslos gegenübersteht.
Da stimme ich dir zu. Menschen, die sich eher als durchschnittlich oder schwach wahrnehmen, können dieses Gefühl der Hilflosigkeit nachvollziehen. Als ich das erste Mal die Bezeichnung ‚nutzlose Scheune’ gelesen habe, dachte ich gleich, das könnte metaphorisch für ‚nutzlose Menschen’ stehen, was mich wütend gemacht hat. Da fällt mir ein, dass dich an dem Projekt ja auch fasziniert hat, dass Murakamis Geschichte den gleichen Titel trägt, wie eine Kurzgeschichte von William Faulkner.
In William Faulkners Geschichte geht es tatsächlich um Wut. Unser Film basiert zwar auf Murakamis Geschichte, aber er ist auch mit der Welt von William Faulkner verbunden. Faulkners Geschichte handelt von einem Mann und seiner Wut gegenüber der Welt und seinem Leben. Sie beschreibt außerdem sehr lebhaft die Schuld, die der Sohn für die Brandstifterei seines Vaters fühlt. Anders als bei Faulkner, geht es bei Murakami um einen Mann, der Scheunen rein aus Spaß abbrennt – eine eher rätselhafte Geschichte. So sind auch die Art und Weise, in der die beiden ihre Geschichten erzählen, ganz unterschiedlich. Murakamis Scheune ist mehr Metapher als Objekt, während sich in Faulkners Scheune die Wirklichkeit selbst widerspiegelt. Sie ist das tatsächliche Ziel der Wut.
Und Jongsu, der Protagonist unseres Films, ist wie besessen von dieser Metapher. Ich erinnere mich, dass wir am allerersten Tag, als wir über BURNING sprachen, auch über eine Vignette gesprochen hatten, in der ein Mann durch Plastik in ein Gewächshaus blickt. Ein Gewächshaus statt einer Scheune, weil es in Korea einfach häufiger zu finden ist. Ein Gewächshaus, das durchsichtig, aber befleckt ist. Und ein Mann, der durch eine Schicht Plastik in ein leeres Nichts starrt. Ich hatte das Gefühl, dass ein Teil des Geheimnisses unseres Films darin lag. Anders als die hölzernen Scheunen in Murakamis Geschichte, hat das Gewächshaus seine eigene physische Dimension mit in diesen Film gebracht.
Wir gehen mal davon aus, dass eine Metapher einfach für ein Konzept oder eine Bedeutung steht. Das heruntergekommene Gewächshaus im Film geht aber weiter als das. Es hat eine physische Form, aber es ist auch transparent und hält nichts im Innern. Es ist einmal für einen klaren Nutzen hergestellt worden, heute aber völlig nutzlos. Es ist absolut filmisch, in dem Sinne, dass es nicht einfach mit einem Konzept oder einer tieferen Bedeutung erklärt werden kann. Und es gibt andere Dinge in unserem Film, die auf ähnliche Weise einer Interpretation entweichen: Pantomime, die Katze, und auch Ben. Wer ist Ben? Ist die Katze echt? Ist Haemis Geschichte vom Fall in den Brunnen wirklich passiert? Wenn du es nicht sehen kannst, heißt das dann, dass es nicht existiert? Anders als Texte, transportieren Filme visuelle Bildsprache, und die ist in sich ja schon eine Illusion – auf eine Leinwand projizierte Lichtstrahlen. Nichtsdestotrotz nimmt sich das Publikum diese leere Illusion und füllt sie mit Bedeutung. Ich wollte mit diesem Film das Mysterium aufzeigen, das dem Film als Medium zugrunde liegt.
Ich denke, das Mysterium, das dem Medium Film zugrunde liegt, spiegelt das Geheimnisvolle in unserem eigenen Leben wider. Menschen hinterfragen immer wieder den Sinn einer Welt, die sinnlos erscheint. Aber die Welt bleibt für uns weiter ein Mysterium. Trotzdem geben manche die Suche nach dem Sinn des Lebens nicht auf. So wie Haemi, die im Film den Tanz des großen Hungers tanzt. Ich muss oft an ein Zitat eines Stammesmannes denken, über das ich bei meiner Recherche gestoßen bin. Ich wollte es ursprünglich als Zeile im Film einbauen, aber ich habe einfach nicht den richtigen Platz dafür gefunden: „Alle Tiere und Objekte in diesem Universum verspüren den großen Hunger. Die Sterne am Nachthimmel beben, weil sie den Tanz des großen Hungers tanzen, in dem Wissen, dass sie schwinden und ihr Licht erlöschen wird. Der frühe Morgentau ist eine Ansammlung von den Sternen vergossener Tränen.“ Die Vorfahren der Menschheit, die Stammesleute der Kalahari-Wüste, tanzten die ganze Nacht auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Aber nur weil jemand die ganze Nacht tanzt, ändert sich die Welt nicht einfach. Die Tatsache, dass trotzdem jemand tanzt, vermittelt Hoffnung. Vielleicht ist Filmemachen gar nicht so viel anders, als den Tanz des großen Hungers zu tanzen.
Foto:
© Verleih
Info:
Regisseur Lee Chang-dong
mit Ah-in Yoo, Steven Yeun, Jong-seo-Jun, Soo-Kyung Kim, Seung-hol-Choi
Es wirkt auf mich, als seien Menschen heute überall auf der Welt, unabhängig von ihrer Nationalität, Religion oder ihrem sozialen Status, aus ganz verschiedenen Gründen wütend. Die Wut der jungen Menschen ist dabei ein besonders dringliches Problem. Junge Menschen in Südkorea haben es zurzeit sehr schwer. Sie leiden unter Arbeitslosigkeit. Sie finden keine Hoffnung in der Gegenwart und sehen, dass die Dinge in der Zukunft für sie nicht viel besser aussehen. Weil sie aber kein Ziel ausfindig machen können, auf das sie ihre Wut projizieren können, fühlen sie sich hilflos. Die Welt wirkt, als würde sie immer hochentwickelter und bequemer – auf den ersten Blick ein perfekt funktionierender Ort, doch für viele junge Leute wird sie immer mehr zu einem riesigen, undurchschaubaren Puzzle. Sie sind ein bisschen wie der Protagonist in Murakamis Geschichte, der einem Mann, dessen wahre Identität geheimnisumwoben bleibt, nur apathisch und teilnahmslos gegenübersteht.
Da stimme ich dir zu. Menschen, die sich eher als durchschnittlich oder schwach wahrnehmen, können dieses Gefühl der Hilflosigkeit nachvollziehen. Als ich das erste Mal die Bezeichnung ‚nutzlose Scheune’ gelesen habe, dachte ich gleich, das könnte metaphorisch für ‚nutzlose Menschen’ stehen, was mich wütend gemacht hat. Da fällt mir ein, dass dich an dem Projekt ja auch fasziniert hat, dass Murakamis Geschichte den gleichen Titel trägt, wie eine Kurzgeschichte von William Faulkner.
In William Faulkners Geschichte geht es tatsächlich um Wut. Unser Film basiert zwar auf Murakamis Geschichte, aber er ist auch mit der Welt von William Faulkner verbunden. Faulkners Geschichte handelt von einem Mann und seiner Wut gegenüber der Welt und seinem Leben. Sie beschreibt außerdem sehr lebhaft die Schuld, die der Sohn für die Brandstifterei seines Vaters fühlt. Anders als bei Faulkner, geht es bei Murakami um einen Mann, der Scheunen rein aus Spaß abbrennt – eine eher rätselhafte Geschichte. So sind auch die Art und Weise, in der die beiden ihre Geschichten erzählen, ganz unterschiedlich. Murakamis Scheune ist mehr Metapher als Objekt, während sich in Faulkners Scheune die Wirklichkeit selbst widerspiegelt. Sie ist das tatsächliche Ziel der Wut.
Und Jongsu, der Protagonist unseres Films, ist wie besessen von dieser Metapher. Ich erinnere mich, dass wir am allerersten Tag, als wir über BURNING sprachen, auch über eine Vignette gesprochen hatten, in der ein Mann durch Plastik in ein Gewächshaus blickt. Ein Gewächshaus statt einer Scheune, weil es in Korea einfach häufiger zu finden ist. Ein Gewächshaus, das durchsichtig, aber befleckt ist. Und ein Mann, der durch eine Schicht Plastik in ein leeres Nichts starrt. Ich hatte das Gefühl, dass ein Teil des Geheimnisses unseres Films darin lag. Anders als die hölzernen Scheunen in Murakamis Geschichte, hat das Gewächshaus seine eigene physische Dimension mit in diesen Film gebracht.
Wir gehen mal davon aus, dass eine Metapher einfach für ein Konzept oder eine Bedeutung steht. Das heruntergekommene Gewächshaus im Film geht aber weiter als das. Es hat eine physische Form, aber es ist auch transparent und hält nichts im Innern. Es ist einmal für einen klaren Nutzen hergestellt worden, heute aber völlig nutzlos. Es ist absolut filmisch, in dem Sinne, dass es nicht einfach mit einem Konzept oder einer tieferen Bedeutung erklärt werden kann. Und es gibt andere Dinge in unserem Film, die auf ähnliche Weise einer Interpretation entweichen: Pantomime, die Katze, und auch Ben. Wer ist Ben? Ist die Katze echt? Ist Haemis Geschichte vom Fall in den Brunnen wirklich passiert? Wenn du es nicht sehen kannst, heißt das dann, dass es nicht existiert? Anders als Texte, transportieren Filme visuelle Bildsprache, und die ist in sich ja schon eine Illusion – auf eine Leinwand projizierte Lichtstrahlen. Nichtsdestotrotz nimmt sich das Publikum diese leere Illusion und füllt sie mit Bedeutung. Ich wollte mit diesem Film das Mysterium aufzeigen, das dem Film als Medium zugrunde liegt.
Ich denke, das Mysterium, das dem Medium Film zugrunde liegt, spiegelt das Geheimnisvolle in unserem eigenen Leben wider. Menschen hinterfragen immer wieder den Sinn einer Welt, die sinnlos erscheint. Aber die Welt bleibt für uns weiter ein Mysterium. Trotzdem geben manche die Suche nach dem Sinn des Lebens nicht auf. So wie Haemi, die im Film den Tanz des großen Hungers tanzt. Ich muss oft an ein Zitat eines Stammesmannes denken, über das ich bei meiner Recherche gestoßen bin. Ich wollte es ursprünglich als Zeile im Film einbauen, aber ich habe einfach nicht den richtigen Platz dafür gefunden: „Alle Tiere und Objekte in diesem Universum verspüren den großen Hunger. Die Sterne am Nachthimmel beben, weil sie den Tanz des großen Hungers tanzen, in dem Wissen, dass sie schwinden und ihr Licht erlöschen wird. Der frühe Morgentau ist eine Ansammlung von den Sternen vergossener Tränen.“ Die Vorfahren der Menschheit, die Stammesleute der Kalahari-Wüste, tanzten die ganze Nacht auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Aber nur weil jemand die ganze Nacht tanzt, ändert sich die Welt nicht einfach. Die Tatsache, dass trotzdem jemand tanzt, vermittelt Hoffnung. Vielleicht ist Filmemachen gar nicht so viel anders, als den Tanz des großen Hungers zu tanzen.
Foto:
© Verleih
Info:
Regisseur Lee Chang-dong
mit Ah-in Yoo, Steven Yeun, Jong-seo-Jun, Soo-Kyung Kim, Seung-hol-Choi