Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. Juni 2019, Teil 8
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Ich weiß, daß ich nichts weiß“ ist ein geflügeltes Wort, das auf Sokrates zurückgeht und das Wissen um das Nichtwissen als Voraussetzung für Dialektik und die Möglichkeiten der Transzendenz anführt. Daran mußte ich denken, als ich diesen geheimnisvollen Film ansah, mich von ihm verführen und leiten ließ in lauter Irrwege und Fallstricke, bei denen das Geheimnisvollste ist, wie es Regisseur Lee Chang-dong gelingt, es für 148 Minuten zum Wichtigsten der Welt werden läßt, was es auf sich hat mit der auf einmal verschwundenen Haemi (Jong-seo Jun) und dem undurchsichtigen Schönling Ben (Steven Yeun), im Bild rechts .
Dabei, doch das ahnen wir erst im Nachhinein, ist die größte Rätselfigur doch Lee Jong-su (Ah-in Yoo), auf dem Foto links, der so brav erzählt und dem wir genau deshalb in die Fänge gehen. Seine Geschichte geht so. Er kommt vom Land, lebt auf dem Bauernhof der Familie, hilft also bei der Landwirtschaft, aber innen, da sieht es ganz anders aus, denn er weiß, er wird Schriftsteller werden, ach was, ein richtiger Dichter, das gewiß. Nun hält er sich immer wieder in der nicht weit entfernten Hauptstadt Seoul auf, wo das bunte Nachtleben tobt und wo er sich Anregungen für seine Gedanken und Worte erhofft. Eben auch Lebenserfahrung.
Und da steht sie vor ihm, die schöne Haemi, die ihm erst ein Los anbietet, das er kauft und wofür er eine Damenuhr eintauschen wird, und die ihm dann von der gemeinsamen Schulzeit im Heimatdorf erzählt. Warum kann er sich an sie nicht erinnern? Weil sie Schönheitsoperationen vornehmen ließ, sagt sie. Seltsam. Aufgeklärt wird das nie, aber es ist für den recht naiven Jong-su einfacher, ihr alles zu glauben, denn dadurch stehen sie ja in Kontakt, der sich ausweitet und – für ihn unfaßbar – sogar zum Beischlaf in ihrem Bett führt. Einmal, doch für ihn ist es für immer.
Denn wichtiger sind doch die Gespräche um Nichts und Alles, wobei er sehr konkret seine Schriftstellerzukunft ersehnt, während sie eher nihilistisch den ganzen Zauber, der selbstbestimmtes Leben genannt wird, in Frage stellt. So könnte man mit den Figuren anfangen.
Man könnte aber auch mit Räumen beginnen, mit Gewächshäusern und Ställen oder mit der Bleibe, die Wohnung zu nennen, fast euphemistisch ist, also man könnte mit der engen und dusteren Absteige, die Haemis Zuhause ist – Seoul ist teuer, echt!! - genauso beginnen, denn immer wieder muß Jong-su sie aufsuchen, denn Haemi ist offiziell nach Afrika verschwunden. Das hatte sie ihm schon gleich zu Beginn gesagt und eben auch, daß sie auf ihn baut, daß er ihre Katze füttert. Katze? Wo ist die? Nie sieht er sie. Aber es muß sie geben, denn die täglichen Futterrationen sind am nächsten Tag verschwunden. Er hat also allerhand zu tun, als Bauer im Tagesgeschäft und Katzenhüter des Nachts. Oder stimmt das alles nicht? Doch eh wir uns Gedanken machen, ist sie schon wieder da: Haemi. Aber nicht allein. Sie kommt aus Afrika mit dem reichen Schnösel, der nicht nur viel Geld hat, sondern es auch ausgibt, zurück und hat kein Gefühl dafür, daß dies für den hoffentlich baldigen Dichter der Herzschmerz ist, der bei anderen zum dichterischen Durchbruch führt, bei ihm aber nur zum Katzenjammer. Buchstäblich.
Jetzt beginnt ein Leben zu Dritt, einerseits in feudalen Etablissements, in das sie mit dem schnittigen Wagen des reichen Ben fahren, andererseits bei einfachen Genüssen, zu denen auch das Landleben zählt – und rätselhafte Gewächshausbrände, die Ben legt, von denen aber Jong-su nie etwas mitbekommt.
Man könnte also auch die Geschichte so erzählen, daß man aufzählt, was man alles nicht weiß und sich dabei nicht anmaßend und bescheiden gleichermaßen auf Sokrates beziehen darf, sondern schlicht beim Film bleibt, der einem, je weiter er fortschreitet, desto rätselhafter wird. Denn Haemi ist ja verschwunden. Hat Ben damit zu tun? Das ist im Film das zweite Mal, daß es ohne sie gehen muß. Aber immerhin war sie das erste Mal angekündigt in Afrika, nur das zweite Mal ist sie einfach weg. Und schon wieder sind wir Lee Chang-dong in die Falle getappt, denn mit mäandernden Bewegungen der Handlung lockt er uns immer wieder, unsere Aufmerksamkeit auf die Gegenwart im Film zu richten, wo wir doch gerade zum Grundsätzlichen uns Gedanken machen wollten.
Daß dieser Film auf einer Kurzgeschichte von Hauki Murakami beruht, glauben wir gerne. Daß er von Cannes über andere Festivals, die Auszeichnungen vergeben, solche einheimste und vor allem die Filmkritiker zu höchsten Lobsprüchen brachte, das glauben wir genauso und können es nachempfinden. Denn den ganzen Film über geht es immer ums Ganze, das Burning ist das, wofür Fans der Frankfurter Eintracht das ganze Stadion brennen lassen, man weiß nie, was genau, kennt aber die Gefühle, die Ängste, die Hoffnungen, die Enttäuschungen genau. Daß der Schriftstellereleve für diese und für Haemi brennt, erleben wir, daß Ben die Gewächshäuser abbrennt, sehen wir, daß Haemi für die brennt, die brennen ahnen wir. Ein rätselhafter Film, so rätselhaft wie das Leben. Eben.
Foto:
Die Drei
© Verleih
Info:
Regisseur Lee Chang-dong
mit Ah-in Yoo, Steven Yeun, Jong-seo-Jun, Soo-Kyung Kim, Seung-hol-Choi