Retrospektive des 19. Filmfestivals Nippon Connection
Claus Wecker
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - 2010 wurde sie von der populären japanischen Filmzeitschrift »Eiga Hiho« zur besten japanischen Schauspielerin aller Zeiten gekürt, hierzulande ist sie nahezu unbekannt – wie viele japanische Filmdiven. Umso verdienstvoller war es jetzt von dem japanischen Filmfestival »Nippon Connection«, Ayako Wakao im Deutschen Filmmuseum zu Frankfurt am Main ein Wochenende mit acht Filmen zu widmen.
Etwa zur Halbzeit dieser Veranstaltung hieß es in einer Filmeinführung, sie besitze in Japan in etwa die Bedeutung, die in Frankreich Brigitte Bardot habe. Es gebe ein japanisches Kino vor ihr und eines nach ihrem Erscheinen im japanischen Film.
Diese Einordnung kam gerade zur rechten Zeit, denn begonnen hatte die kleine Retrospektive mit einem Frauenporträt, das unserer Klischeevorstellung von Japanerinnen à la Madame Butterfly wunderbar entsprach. In »The Blue Sky Maiden«, ihrer ersten Arbeit unter dem Regisseur Yasuzu Masumura aus dem Jahr 1957, spielt sie die herangewachsene uneheliche Tochter, die sich im Haus ihres Vaters klaglos der Tyrannei von dessen Ehefrau beugt. Die bei der Großmutter in der Provinz aufgewachsene Yuko hat erfahren, dass ihre Mutter keineswegs tot ist und auch nicht die vorige Ehefrau, sondern die Geliebte ihres Vaters war. Jetzt ist Yuko nach Tokyo gekommen, um sie endlich zu treffen und mit ihr zu leben – was ihr auch gelingt. Durch Yuko kommt es am Ende auch zu einer Katharsis in der Ehe ihres Vaters, die immer noch unter dessen Fehltritt leidet.
Als naives Mitglied einer Theatertruppe, das von der eifersüchtigen Partnerin des Ensembleleiters in eine Intrige hineingezogen wird, trat sie in »Floating Weedsׂ« (1959, in Deutschland seinerzeit unter »Abschied in der Dämmerung« im Kino) von Yasujiro Ozu auf. Die hübsche Kayo soll den ahnungslosen Sohn des Chefs, den er seinen Onkel nennt, verführen und verliebt sich dabei in ihn. Auch hier wieder ungeordnete Familienverhältnisse, die in den fünfziger Jahren nicht nur für Japan charakteristisch waren.
Einen Ozu-Film im Kino zu sehen, noch dazu in einer tadellosen 35mm-Kopie, ist immer ein Ereignis, das diesmal mit der höchsten Besucherzahl gewürdigt wurde. Hier rückte ein Teilaspekt in den Focus, der in einer Ozu-Retrospektive weniger Beachtung gefunden hätte: die einfühlsame Darstellung eines Reifeprozesses innerhalb kürzester Zeit. Denn Kayo übernimmt Verantwortung, als sie erkennt, dass sie als Werkzeug einer eifersüchtigen Frau benutzt worden ist.
Ayako Wakao war bei den Dreharbeiten zu diesem Film 25 Jahre alt, ein vielversprechendes Talent, das in einer »Neue Gesichter«-Kampagne der Produktionsgesellschaft Daiei lanciert worden war. Sie hatte aber bis dahin schon in mehr als fünfzig Filmen mitgewirkt. Die großen Charakterrollen der sechziger Jahre standen ihr noch bevor.
Denn es war nur eine Frage der Zeit, bis die gereifte Schauspielerin ins vielschichtige Charakterfach wechselte und tatkräftige Figuren, darunter eben auch eifersüchtige Frauen, darstellte. In Frankfurt war diese Entwicklung gut nachzuvollziehen, auch wenn die Filme nicht in der Reihenfolge ihrer Entstehung liefen. Yuzo Kawashimas »Women Are Born Twice« bezeichnet so etwas wie einen Wendepunkt. Der Film erzählt die Geschichte der verführerischen Geisha Koen. Nach einer Auseinandersetzung mit der Ehefrau eines verstorbenen Kunden deutet der Film ihr neues Leben an einem neuen Ort an.
Aus Ayakos umfangreicher Zusammenarbeit mit dem Regisseur Yasuzo Masumura waren noch die fiebrige Erotikphantasie »The Goddess of Mercy« (1964), in der die Japanerin der Französin BB am meisten ähnelt, das Außenseiterdrama »Seisaku's Wife« (1965) und der anklagende (Anti-)Kriegsfilm »The Red Angel« (1966) zu sehen.
In den drei Filmen triumphiert eine zur Bessesenheit gesteigerte Leidenschaft, für die das japanische Kino zur damaligen Zeit berühmt-berüchtigt war und auch vom hiesigen Publikum geschätzt wurde. Ob als bisexueller Teil einer Vierecks, als verzweifelte Bauernfrau, die ihrem Ehemann die Augen ausstischt, um ihn vor der Einberufung in den Russisch-Japanischen Krieg zu bewahren, oder als immer selbstloser werdende Krankenschwester im Japanisch-Chinesischen Krieg, immer liefert Ayako Wakao eine eindringliche Performance.
Der zuletzt gezeigte »The Red Angel« war einer der Höhepunkte der Retrospektive. Die Schrecken des Krieges zeigt der Film an den unmenschlichen Zuständen in Militärlazaretten auf dem chinesischen Festland. Wer noch nicht tot eingeliefert wird, muss damit rechnen, eines oder mehrere seiner Gliedmaßen abgesägt zu bekommen. Einer, dem beide Arme amputiert wurden, wird nicht entlassen, weil sein Anblick daheim die Wehrkraft zersetzen könnte.
Der ständig amputierende Oberarzt ist Morphinist, um das Elend, das ihn umgibt, auszuhalten. Soldaten seien keine Menschen, sondern Waffen, belehrt er die Krankenschwester Sakura, die aus Mitleid mehrmals die Grenzen überschreitet, die ihr gesetzt worden sind. Wie in den berüchtigten Arztromanen verliebt sie sich in ihren Chef und sieht es als ihre Aufgabe an, ihn von seiner Sucht zu befreien. Dass er dadurch seine Manneskraft zurückgewinnen kann, spornt sie besonders an.
Diese Liebesgeschichte zwischen schwer erträglichen Arbeitseinsätzen, bei denen die Säge und die Schreie der Soldaten zu hören und Kübel voller abgeschnittener Gliedmaßen zu sehen sind, ist eine starke Filmidee, hochgradig camp, bisweilen hart an der Kitschgrenze. Leider kommt es am Ende doch noch zu Kampfszenen – vermutlich aus kommerziellen Erwägungen. Ayako Wakaos Darstellung eines »Engels der Verwundeten« bleibt einem dennoch lange im Gedächtnis. Mit ihr gewann jetzt auch bei uns das großartige japanische Kino der goldenen fünfziger und sechziger Jahre eine neue Facette.
Die Retrospektive wird mit zwei zusätzlichen Filmen bis zum 29. Juli im Japanischen Kulturinstitut in Köln wiederholt.
Foto:
retro_the red angel
© Nippon Connection