f SST Stills 1 85Cropped 16bit rec709FR G24 0004722Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 13. Juni 2019, Teil 6

László Nemes, Regisseur

Budapest (Weltexpresso) - SUNSET ist ein Film über eine Zivilisation am Scheideweg. Im Herzen Europas, auf der Spitze des Fortschritts und der technischen Entwicklung, ohne, dass darüber Geschichtsbücher berichten, wird der Lebensweg einer jungen Frau zum Spiegelbild eines Prozesses, der die Geburt des 20. Jahrhunderts markiert.

Vor einem Jahrhundert beging Europa, als es auf seinem Zenit stand, Selbstmord. Dieser Selbstmord bleibt für mich bis heute ein Rätsel. Es ist, als würde eine Gesellschaft, die auf ihrem Höhepunkt steht, bereits das Gift produzieren, das sie zu Fall bringt. Die Beschäftigung mit diesem Rätsel wurde zum Herzstück des Films.

SUNSET spielt vor dem Ersten Weltkrieg in der Zeit der Habsburger Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, einem scheinbar prosperierenden Vielvölkerstaat mit einem Dutzend verschiedener Sprachen und vielen Menschen, mit ihren blühenden Hauptstädten Wien und Budapest, den kulturellen Zentren der Welt. Dennoch bildet dies alles nur den glanzvollen Vordergrund für verborgene Kräfte, die in Wahrheit dabei sind, das Reich zu zerstören.

Als Kind habe ich immer den Geschichten meiner Großmutter, die 1914 geboren wurde, zugehört. Ihr Leben überspannte das gesamte Jahrhundert. Sie erlebte die Erschütterungen, die den europäischen Kontinent überzogen. Die totalitären Regime, die Genozide, die gescheiterten Revolutionen und die Kriege. In gewisser Weise war sie selbst Europa.

Meine tief-europäischen Wurzeln führen dazu, dass ich mir über die Zeit, in der wir heute leben, und die Ära unserer Vorfahren Gedanken mache. Auch darüber, wie fragil die Oberfläche einer Zivilisation sein kann und was sich darunter befindet. In unserer modernen Welt, in der Nationalstaaten kaum noch eine Rolle spielen, scheinen wir oft die Dynamik der Geschichte vergessen zu haben. Ebenso ist uns scheinbar in unserer Technikhörigkeit und unserer grenzenlosen Liebe zur Wissenschaft nicht bewusst, wie nah an den Rand der Zerstörung sie uns bringen können. Ich glaube, wir leben in einer Welt, die nicht viel anders ist, als die kurz vor dem Ersten Weltkrieg 1914. Es ist eine Welt, die so gut wie blind für die Kräfte der Zerstörung ist, die sie selbst aus ihrem Inneren heraus nährt. Wir sind nicht weit entfernt von den Vorgängen, wie sie in der österreichisch-ungarischen Monarchie stattgefunden haben. Geschichte passiert jetzt, und zwar in Mitteleuropa.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto:
Iris (Juli Jakab) © Laokoon Filmgroup - Playtime Production 2018

Info:
Regie: László Nemes
Mit: Juli Jakab, Susanne Wuest, Vlad Ivanov, Evelin Dobos, Levente Molnár
Originaltitel: Napszállta
Land: Ungarn / Frankreich
Jahr: 2018
Genre: Drama
Laufzeit: 142 Min.
Sprachfassung: DtF / OmU
Format: DCP / Blu-ray
Kinostart: 13.06.2019
FSK: freigegeben ab 12 Jahren
Pressebetreuung: ana radica! Presse Organisation
Produktionsbudget: 8.900.000 €

LÁSZLÓ NEMES (REGISSEUR)

László Nemes wurde am 18.02.1977 in Budapest geboren. Sein Vater war der ungarische Filmregisseur András Jelis. Aufgewachsen ist Nemes überwiegend in Paris, wo er Geschichte und Politikwissenschaften studierte.

Ab 2005 begann Nemes bei verschiedenen Filmproduktionen mitzuwirken und entschied sich schließlich 2006, Regie in New York zu studieren. Nach einem Jahr brach er das Studium wieder ab. Danach arbeitete László Nemes als Regieassistent bei Béla Tarr und realisierte mit dem Regisseur den Film DER MANN AUS LONDON, in dem Tilda Swinton die Hauptrolle spielte.

Bald realisierte Nemes auch Kurzfilme. Sein Erstling TÜRELEM wurde 2007 im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele in Venedig gezeigt und 2008 in der Kategorie „Bester Kurzfilm“ für den Europäischen Filmpreis nominiert. 2008 und 2010 veröffentlichte er die Kurzfilme THE COUNTERPART und THE GENTLEMAN TAKES HIS LEAVE. Seine drei Kurzfilme gewannen zusammen mehr als 30 Preise und liefen auf über 100 Filmfestivals.

2015 wagte sich László Nemes an sein Spielfilmdebüt. Mit SON OF SAUL, für den Nemes auch das Drehbuch schrieb, begeisterte er Kritiker weltweit. Der Film zeigt 36 Stunden im Leben eines jüdischen KZ-Häftlings (gespielt vom ungarischen Dichter Géza Röhrig) im Vernichtungslager in Auschwitz. Der Film lief nicht nur im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes und gewann dort den Großen Preis der Jury sowie den FIPRESCI-Preis. SON OF SAUL wurde auch mit einem Golden Globe® ausgezeichnet und gewann schließlich einen Oscar® in der Kategorie „Bester
fremdsprachiger Film“.

Abdruck aus dem Presseheft