Struthof Natzweiler Lager 2019Die Dokumentation zum ‚arischen‘ Ahnenerbe mit ‚Rassehygiene‘, Germanisierung und tödlichen Experimenten der NS-Herrschaft - auf Arte,  Teil 2/3
 
Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Sigurd Rascher fragte: wie lange kann ein im Vernichtungskrieg abgeschossener Pilot im Meer überleben? Sigmund Rascher (1909 - 1945) experimentierte 1941 im KZ Dachau mit Unterdruckkammern, in denen er Flughöhe und vorhandene Luft- und Druckverhältnisse imitieren konnte.

Dabei fanden mindestens siebzig von zweihundert Versuchspersonen den Tod. Das Leben von Ariern galt für derartige Experimente als zu schade. Versuchspersonen brüllten, wenn sie akut am Erfrieren waren. In Dachau wurden die brauchbaren menschlichen Objekte selektiert. Auschwitz aber galt für diese Taten als wesentlich geeigneter, weil es dort kälter war.

Rascher fotografierte den Sterbeprozess. Die Opfer wurden im Schlusseffekt geschüttelt und verendeten unter wahnsinnigen Schmerzen. Er protokollierte wie ein Organ platzt oder an seine Grenzen kommt. Da die Wissenschaft das zu legitimieren schien wurden Leute wie Rascher zu Serienmördern.
 
Er forschte auch über die blutstillende Wirkung des Mittels Polygal, einem Geliermittel. Hierzu wurde auf Häftlinge geschossen, damit Blut schoss. Viel kam aber dabei nicht heraus. Die Qualen der Opfer waren gleichgültig. Der Eid des Hippokrates hatte keine Geltung.

 
Handflächen von Juden und Schädel von Tibetern
 
Die Handflächen von Juden waren das Steckenpferd von NS-Forscher Hans Fleischhacker. Er zeichnete ab 1943 detailliert den Verlauf einzelner Handlinien nach, die ihm als typisch für Juden vorkamen.
 
Bruno Beger war zuvor bereits aus Tibet zurückgekommen – dort hatte er Schädelmessungen an Tibetern vorgenommen, um den Ursprung „nordischer Menschen“ auch in Tibet zu belegen. Mit diesen Vermessungen von Schädeln im Handgepäck traf er weltanschaulich mit Fleischhacker zusammen. Sie wurden erst 1970 gemeinsam vor dem Landgericht Frankfurt am Main wegen Beihilfe zum Mord angeklagt, weil sie in der rassistischen Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe e.V. Insassen des KZ Auschwitz vermessen und selektiert hatten, um die Opfer danach im Lager Struthof-Natzweiler (Elsaß) zu vergasen und sie in anatomische Sammlungen zu überführen. Abartig delikat wurde, dass die Messergebnisse und konservierten Leichen für die Anatomie der „Reichsuniversität“ Straßburg bestimmt waren, wo ein Hauptsturmführer August Hirt Skelette und Köpfe zum Zweck der „NS-Rassenforschung“ gesammelt hatte. Die „Reichsuniversität“ Straßburg wurde zum Kabinett des Schreckens.

 
Lager Struthof-Natzweiler
 
Kennzeichnend  für das ‚Straf- und Arbeitslager‘ Struthof-Natzweiler (gebaut seit 1941) war die Stelle des 'Festsaals'. Zu diesem Lager liegt eine umfangreiche Geschichte vor, die ein ganzes Forscherleben einnehmen kann. Es hatte eine Gaskammer (2 Kilometer vom Lager entfernt) für rassistische Experimente. Der arte-Film nimmt Bezug auf 186 Juden unter Quarantäne, die gegen Ende der Naziherrschaft innerhalb drei Monaten ums Leben gebracht wurden, Männer und Frauen. Die Opfer wurden innerhalb von Sekunden vergast, um an möglichst unverletzte Leichen zu gelangen. Sie wurden in Tanks mit synthetischem Alkohol gelegt. Dann sollte eine Flüssigkeit die Leichen soweit auflösen, dass nur noch die Skelette übrig waren.
 
Daraus resultiert eine Geschichte, die gleichsam Glück im Unglück bedeutete. Ein Heinrich Hinzpeter (Henripierre), der im Leichenkeller gearbeitet hatte, brachte die Geschichte für die Nachwelt ans Licht.

Während üblicherweise die Leichen verstümmelt waren oder Anzeichen von Misshandlungen aufwiesen, schienen die ihm aufgefallenen „quasi noch am Leben zu sein, ohne jede äußere Verletzung“. Sie waren auch noch warm und in gutem Zustand. „Einige hatten Schlagspuren, Adern waren geplatzt“.
 
Der Film gibt zur Kenntnis: „Daraus schloss Hanspeter, dass es sich um eine kollektive Tötung mit Gas handelte, dass hier ein Verbrechen passiert sein muss.
 
Darauf tat Henripierre etwas entscheidendes: er notierte die Nummer, die jedem Auschwitzhäftling in den linken Unterarm tätowiert wurde. Selbstverständlich ohne dass seine Vorgesetzten das merkten, er riskierte damit sein Leben. Er sagt in Französisch: sie hatten nur die Nummern, die er später den Aliierten übergab“.
 
An den Tateinheiten im KZ-Natzweiler Struthof war auch August Hirt beteiligt. Er verstümmelte Leichen grundlos, entnahm ihnen verschiedenes Gewebe. Vornehmlich ging es ihm um die Erprobung von Senfgas, die Vorgehensweisen nach sich zogen, die Aufnahmen entstehen ließen, die kaum zu ertragen sind. Die Erkenntnis, die der arte-Film vermittelt ist, dass in derartigen Experimenten der Tiefpunkt des Nationalsozialismus zum Vorschein kommt. „Nie zuvor wurde der Rassenwahn soweit getrieben, wie in den Experimenten Hirts. August Hirts Projekt ist geradezu symbolisch für alle Verbrechen, die von Wissenschaftlern im Nationalsozialismus begangen wurden“. Und sie ermordeten vornehmlich Juden aus ganz Europa. Die abscheulichen Experimente seien als ein Konzentrat der Shoa zu betrachten, der Auslöschung des europäischen Judentums. „Die Ermordung von Menschen, um sie in Museumsstücke zu verwandeln“.
 
Ein kommentierender Wissenschaftler: „Da haben sie das ganze Grauen der Nazimedizin in einem Projekt.- Schädel, Skelette, aufgereiht, Namen in Büchern aufgelistet – und das für wissenschaftliche Zwecke“. - Forschungsergebnisse auf Massenmord zu gründen sei der tiefste Abgrund der Verdorbenheit (Perfidie).

 
Rückzug folgt auf Rückzug – die Versuche an Häftlingen aber halten an

Anfang 1943 landeten die West-Aliierten in Nordafrika. Die Naziforscher blieben bei ihren Experimenten. Die Vernichtung der deutschen 6. Armee in Stalingrad Anfang 1943 war der psychologische Wendepunkt im Deutsch-Sowjetischen Krieg, der Juni 1941 vom Reich Hitlers ausging. Der Herrenmensch begann die ersten Rückschläge zu erfahren.


Furchtbare Wissenschaft
 
In Struthof führt Eugen Hagen Typhus-Versuche durch. Er ist Bakteriologe und Virologe und Professor in Straßburg. Auch führt er Fleckfieberversuche an Häftlingen durch. Er injiziert dieses Virus Sinti und Roma, die er aus Auschwitz bezieht. Otto Bickenbach liefert Versuchspersonen Phosgen, einem farblosen Gas, aus, das die Lunge zerfrisst. Er ist ein deutscher Internist und auch Professor in Straßburg. In Auschwitz forscht der Gynäkologe Karl Glauberg zur Sterilisierung von Frauen, indem er seinen Opfern unter Zwang eine toxische Lösung in die Gebärmutter injiziert. Hunderte erleiden den Tod an Folgen.
 
Josef Mengele nimmt sich für seine Taten Zwillinge vor, die er bei der Ankunft in Auschwitz an der Rampe selektiert. Auch er bezeichnet sich als Anthropologe. Als ein solcher der abgründigen Art führt er diverse menschenverachtende Versuche unter Anwendung von grausamsten Methoden durch, die eine sadistische Natur hervortreten lassen. Ab 1937 war er Assistent des Erbbiologen und ‚Rassenhygienikers‘ Otmar von Verschuer. Wolfram Sievers, Sohn eines evangelischen Kirchenmusikers, ist Geschäftsführer des genannten Ahnenerbes. Bei ‚Studien‘ mit Senfgas (auch Yperit genannt) kommt August Hirt mit der ätzenden Flüssigkeit in Kontakt und muss sich einer Lungenbehandlung unterziehen. Wolfram Sievers schreibt an Hitler, Hirt habe seine Gesundheit nicht geschont und man könne ihn als Opfer der Wissenschaft sehen. Während sich dessen Opfer in Qualen winden, genießt er einen Genesungsurlaub in den österreichischen Alpen.
 
Am 6. Juni 1944 landen die West-Aliierten in der Normandie. Bald schon schlagen V1-Raketen in Ost-London und V2 im weiteren England und Antwerpen ein. Die fliegenden Bomben ändern aber am Kriegsverlauf nichts mehr. Die Bomben der Aliierten sind effizienter, wie der Film aussagt. Indessen beginnen deutsche Städte in Trümmern zu versinken.


Foto:
Struthof © Europäisches Zentrum der Deportation und Widerstand

Info:
1. Nationalsozialismus ist Ur-Fake - Folge: tödliche NS-Wissenschaft und Arier-Humbug
2. Wissenschaftliche Forschungen und Erkenntnisse, die den Tod der Experimentierobjekte einpreisten
https://weltexpresso.de/index.php/kino/16328-wissenschaftliche-forschungen-und-erkenntnisse-die-den-tod-der-experimentierobjekte-einpreisten