f moralische1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Juni 2019, Teil 13

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso)n – Es gibt Filme, die einen Sog entwickelt und von einer Wucht sind, daß man sie noch lange, fast körperlich spürt. Die Gänsehaut auch. Ein solcher Film ist EINE MORALISCHE ENTSCHEIDUNG vom iranischen Regisseur Vahid Jalivands, bei dem man sich erneut fragen kann, wie es möglich ist, daß ein Land so viele bedeutsame, auch international anerkannte Regisseure hervorbringt.

Und gleich hängt sich die Frage an, was es auf sich hat mit menschlichen Schicksalen, die aus einer Verkettung unglücklicher Umstände entstehen und wie in der griechischen Tragödie mit jedem Zug immer die schlimmste Wendung nehmen. Denn es hätte auch ganz anders ausgehen können. Gut nämlich. Hätte, wäre, wenn...

Beginnen wir – wie der Film – mit dem Unfall. Der Gerichtsmediziner Dr. Kaveh Nariman ist spät abends mit dem Wagen auf dem Heimweg, als so ein testosterongesteuerter Autofahrer, die wir alle kennen, sich hinter ihn klemmt, hupt, aufblendet, vorbeiflitzt und ihn schneidet, was bei jedem Autofahrer zum Reflex des Ausweichens führt. Pech und Problem, daß der Wagen dabei ein Motorrad streift, auf dem Familienvater Moosa mit Frau und zwei Kindern nach Hause fährt. Trotz des Unfalls machen alle vier einen guten Eindruck, wie Nariman nach einer schnellen Untersuchung aufatmend feststellt. Nur der achtjährige Amir ist leicht am Kopf verletzt.

Deshalb will Nariman, daß sie ins Krankenhaus fahren. Die Polizei aber will Nariman deshalb nicht rufen, weil er seine Autoversicherung in den letzten Monaten nicht bezahlt hatte. Moosa dagegen will weder Polizei, noch Krankenhaus und fährt mit dem lädierten Jungen nach Hause. Und das Geld, das ihm Nariman für die Reparatur des Motorrads und den Arzt für seinen Sohn zusteckt, nimmt er nicht einmal begeistert.

Dieser Anfang, alltäglich und erst einmal gut ausgegangen, wird nun der Ausgangspunkt für ein biblisches, für ein antikes Drama. Das beginnt damit, daß am nächsten Tag der Forensiker auf einem der Leichentische in der Gerichtsmedizin die Leiche des Achtjährigen sieht. Was er erst noch nicht glauben mag und wegwischt, wird ihm drängende Gewißtheit und er benimmt sich so auffällig, daß seine Kollegin Dr. Sayeh Behbahani  , die er morgens mit dem Wagen abgeholt hatte, merkt, daß hier etwas nicht stimmt. Doch behauptet er ihr gegenüber das Gegenteil, nur innerlich räsoniert er: . Wie kann der Junge nach dem Unfall tot sein? Doch nur, indem er innere Verletzungen davon trug, die von außen nicht zu sehen waren und es sich also bitter rächt, daß Nariman sich gegenüber dem Vater nicht durchgesetzt hatte, den Jungen im Krankenhaus durchchecken zu lassen. Trotz Nachfragen erzählt er seiner Kollegin nichts vom Unfall, sondern verstrickt sich in Lügen, der Tote sei der Sohn eines Bekannten, alles Dinge, die ihn auffällig werden lassen, eben auch, daß er seine Kollegin nicht in Ruhe sezieren läßt.

Die Obduktion des Jungen ergibt dann, daß dieser an einer Vergiftung mit Lebensmitteln gestorben ist., das ,was man Botulismus nennt. Nariman könnte durchatmen, doch das Gegenteil tritt ein. Er macht sich nicht nur innerlich Vorwürfe, sondern ist sich zunehmend sicher, daß die Todesursache falsch diagnostiziert ist und er, das heißt der Unfall, den Tod des Jungen herbeigeführt hat. Seine Schuld ist ihm klar und auch, daß er diese auch offiziell werden lassen muß.

f moralischeUnd nun macht der Film eine Volte, die das Verhalten des ehrenwerten, äußerst kritischen und auf Leistung und Verantwortung eingestellten Arztes erst recht manisch erscheinen lassen. In grauslichen Szenen bekommen wir mit, wie in einer Verkaufsstelle von Fleisch die verdorbenen Hühnerreste aus einer Tonne von einem der Arbeiter heimlich verkauft werden. Und ahnen, wie Moosa, der Vater des Jungen, diese Hühner ganz billig gekauft hatte; vor allem sehen wir, wie er aufgebracht nach dem Tod des Jungen den Verkäufer des Verdorbenen stellt und angreift. Die Ursache des Todes des Jungen ist klar. Und auch, daß dies das Ende seiner Ehe ist. Die Ehefrau kann dem Vater seine Tat nicht verzeihen, die Amir den Tod brachte.

Dennoch gibt Nariman nicht auf, bei sich die Schuld zu suchen. Da war doch die Verletzung am Kopf? Ja, eine Schwellung, antwortet seine Kollegin, aber völlig harmlos, ohne jegliche Folgen. Aber vielleicht sei die Lebensmittelvergiftung gar nicht die Todesursache, sondern unter Umständen ein nicht diagnostizierter Genickbruch, wendet Kaveh Nariman ein.

Inzwischen hatte der Vater den Hühnerverkäufer so zusammengeschlagen, daß dieser im Koma liegt und er im Gefängnis. landet. Dort besucht ihn nun Nariman und stellt die offizielle Todesursache – und damit auch den Grund für die Schlägerei und das Gefängnis – in Frage und verweist auf den Unfall. Das nun verstört Moosa endgültig und er wirft dem Gerichtsmediziner vor, warum er damit nicht früher rausgerückt sei, denn jetzt sei es zu spät, sein Leben sei zerstört.

Kaveh Nariman agiert nun konsequent, läßt den beerdigten Jungen ausgraben, nimmt die Obduktion selbst vor – das Ergebnis wollten wir hier nicht verraten.

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Info:
Darsteller

Moosa               Navid Mohammadzadeh
Dr. Nariman       Amir Agha’ee
Sayeh                Hediyeh Tehrani
Leila                   Zakiyeh Behbahani
Inspektor           Sa’eed Dakh
Staatsanwalt     Alireza Ostadi