f moralische3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Juni 2019, Teil 11

Redaktion

Teheran (Weltexpresso) -  Seit der Iranischen Revolution 1979 hat sich im Land eine neue Generation von Filmemachern entwickelt, die mit ihren Arbeiten einen authentischen Blick auf die Gesellschaft und die Kultur im heutigen Iran werfen. Sowohl auf den wichtigsten internationalen Filmfestivals als auch in den Kinos weltweit haben vor allem die subtile, komplexe Auseinandersetzung mit sozialen Themen und zwischenmenschlichen Beziehungen in einem Staat mit starker öffentlicher Reglementierung für großen Respekt und Bewunderung gesorgt.

Auf den ersten Blick erscheinen die Botschaften, die diese Geschichten transportieren, bisweilen simpel, ihre Meisterschaft liegt darin, das Profunde der Menschlichkeit einfach zu erzählen. Die Filme, die im Iran selbst entstehen, sind deshalb auch immer Produkte ihrer gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. Viele Themenfelder werden nur verklausuliert dar- oder infrage gestellt, die Kulturpolitik seit 1979 basiert massiv auf strengen Auflagen für die Filmemacher und auf Zensur. Die Genehmigungen für Drehs und Produktionen erteilt das Ministerium für Kultur, seiner Kontrolle sind nicht wenige Regisseure zum Opfer gefallen. Jeder Film muss vorgelegt werden und die vorgegebenen Sitten und Gesetze einhalten, um für öffentliche Vorführungen im Iran freigegeben zu werden.

Doch während vor allem in der ersten postrevolutionären Dekade bis 1989 die Filme sehr streng nach diesen Vorgaben entstanden und etwa Frauen kaum tragende Rollen spielten, wurde in den folgenden Jahrzehnten der Fokus auf Individuen im Allgemeinen und vermehrt auf Protagonistinnen gelenkt. Auch in den Dialogen wurden sittliche Vorgaben oft gebrochen, wenn auch subtil und symbolhaft, oft nur für mit der iranischen Kultur vertrauten Zuschauern erkennbar. Die Achtziger Jahre waren zudem vom Iran-Irakischen Krieg geprägt, viele Kinos wurden geschlossen oder in Brand gesetzt. Allein beim Anschlag auf das Cinema Rex in Abadan kamen über 400 Menschen ums Leben.

Als internationaler Durchbruch des neuen iranischen Films gilt DER GESCHMACK DER KIRSCHE, mit dem Abbas Kiarostami 1997 beim Filmfest Cannes die Goldene Palme gewann. Mit seinen offenen, ambivalenten Filmen wie QUER DURCH DEN OLIVENHAIN, TEN oder DER WIND WIRD UNS TRAGEN prägte er das Bild des iranischen Films im Arthousekino bis zu seinem Tod 2016.

Ihm folgten im Laufe der Jahre viele weitere. Asghar Farhadi, der Kiarostami als einen seiner Lehrmeister bezeichnet, gehört längst selbst zu den international renommiertesten Filmemachern des Iran. Er dreht mittlerweile zwar auch in Europa, zuletzt OFFENES GEHEIMNIS (2018) in Spanien, doch es sind vor allem die in seiner Heimat entstandenen Filme, die hochinteressant sind, weil sie sehr spezifisch von iranischen Verhältnissen handeln, zugleich aber in ihrer psychologischen Analyse des Zwischenmenschlichen universell auf der ganzen Welt verstanden werden. Seine Filme, ob NADER UND SIMIN (2011) und zuletzt THE SALESMAN (2016) schildern die Klassenunterschiede in der Gesellschaft und die, nicht zuletzt moralischen, Abgründe der urbanen Mittelschicht Teherans. Das Öffentliche und das Private sind zwei sehr unterschiedliche Sphären bei Farhadi, zumal für Frauen. Seine Filme sind Gesellschaftspsychogramme und moralische Fabeln und zugleich dicht erzähltes, herausragend gespieltes Erzählkino.

Während Farhadi weitgehend arbeiten und sich frei bewegen darf, werden andere Regisseure stark gegängelt und inhaftiert. Jafar Panahi etwa, der im selben Jahr wie Kiarostami in Cannes, für THE MIRROR in Locarno mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde, war 2010 festgenommen worden und mit sechs Jahren Haft und 20 Jahren Berufs- und Reiseverbot belegt worden. Zuvor hatte er noch den Goldenen Löwen in Venedig (2000 für THE CIRCLE) und den Goldenen Bären der Berlinale 2006 (für OFFSIDE) erhalten. Ihm gelingt es trotzdem immer wieder, Filme außer Landes zu schmuggeln, um sie auf Filmfestivals wie etwa der Berlinale laufen zu lassen, ohne ihn. Seine Filme sind sehr persönlich und reflektieren seine Situation als Künstler im Iran. TAXI TEHERAN etwa spielt ausschließlich in einem Taxi, Panahi selbst ist der Fahrer, die Bilder kommen von der Überwachungskamera im Auto, das Resultat eine schillernde Mischung aus Inszenierung und Dokumentation. Es steigen Leute ein und aus, unterhalten sich. Die Fahrt durch die Stadt wird zum Spiegelbild der Gesellschaft und, wie fast alle seine Werke, wie auch das Video-Essay DIES IST KEIN FILM über seinen Hausarrest, sind auch immer Liebeserklärungen ans Kino. Und Panahi verliert dabei nie seinen leisen, feinen Humor. Auch sein jüngster Film DREI GESICHTER über drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen ist im Iran verboten worden.

Es wären noch viele andere Filmemacherinnen und Filmemacher zu nennen, von Moshen Makhmalbaf (KANDAHAR, 2001) über Majid Majidi (DIE FARBEN DES PARADIESES, 1999) bis Bahman Ghobadi (SCHILDKRÖTEN KÖNNEN FLIEGEN, 2004) bis Marjane Satrapi (PERSEPOLIS, 2007), die in den letzten 25 Jahren das Weltkino geprägt haben. Mit dem 1976 geborenen Regisseur Vahid Jalivand, der mit EINE MORALISCHE ENTSCHEIDUNG seinen zweiten Spielfilm inszeniert hat, verschafft sich nun eine neue, vielversprechende Stimme des iranischen Kinos Gehör.


Regisseur Vahid Jalilvand

Vahid Jalilvand wurde 1976 in Teheran geboren. Er absolvierte  das Studium der Theaterregie an der Universität in Teheran. Jalilvand startete seine Karriere bereits mit 15 Jahren als Theaterregisseur. Seit 1996 arbeitete er zunächst als Cutter und später als Regisseur für das iranischen Staatsfernsehen.

Sein Debütfilm WEDNESDAY, MAY 9 sorgte  international für Aufregen und wurde u.a. mit dem Fipresci-Preis und dem Interfilm-Preis beim Internationalen Filmfestival von Venedig 2015 ausgezeichnet. ...

NO DATE, NO SIGNATURE (AT) ist sein zweiter Spielfilm.

Filmografie (Kino)

Jahr Titel
2017 EINE MORALISCHE ENTSCHEIDUNG Regie, Drehbuch | Kinospielfilm
2015 WEDNESDAY, MAY 9 Regie, Drehbuch | Kinospielfilm