f yard1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 20. Juni 2019, Teil 17

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es ist absolut auffällig, wie viele Musikfilme es derzeit zu sehen gibt, Dokumentarfilme, die der Geschichte spezieller Musikrichtungen nachgehen gehören auch dazu, obwohl die personalisierten ‚biopics‘ extrem zugenommen haben. Ein Glück, daß dieser Film aus Jamaika beides vereint.

„INNA DE YARD“ nennt sich eine Gruppe alter und ewig junger Musiker, die, legendär geworden, sich weder ins Grab noch in die Hängematte legen, sondern ein Album schaffen wollen und geschaffen haben,THE SOUL OF JAMAICA, das für immer bewahren soll, wie diese Musik entstanden ist und wie sie klingt. Wir alle verbinden mit Musik aus Jamaika Reggae und den Namen Bob Marley (über den es viele Dokumentarfilme gibt) und vielleicht noch Peter Tosh. Beide tot. Aber die alten Haudegen, die wir im Film erleben, sind quicklebendig. Es sind Ken Boothe, Winston McAnuff, Cedric Myton (auf dem Foto) und Kiddus I.

Das Vorhaben, zu den Ursprüngen der Musik zurückzukehren, bedeutet, die Aufnahmen dort zu machen, wo gemeinhin gespielt wurde: draußen, in der Natur, in der Landschaft. Der Begriff INNA DE YARD ist also wortwörtlich zu nehmen, denn in der eigentümlichen sprachlichen Mischung von Englisch und Einheimisch, die in Jamaika gang und gebe ist, heißt das ‚Innerhalb‘ oder ‚Im Garten‘.

Nun müßte man einen Bildband oder einen Kurzfilm über das Grün von Jamaika vorausschicken, denn diese Insel, heiß,mit heftigem Regen, ist eine vegetative Urlandschaft, die gleichwohl überall anders aussieht.

INNA DE YARD befindet sich in gesitteter Natur, denn oberhalb der Hauptstadt Kingston in den Bergen, gibt es Terrassen, auf einer solchen ist dieser Garten und genau dort sollen auch die Richtungen der jamaikanischen Musik entstanden sein, von denen der Reggae halt am bekanntesten wurden, wir hören hier vieles andere auch und Ska und Vorläufer Rocksteady . Das Album vereint legendäre Künstler wie Ken Boothe, Kiddus I, Winston McAnuff, Cedric Myton, The Viceroys, Horace Andy, Judy Mowatt, aber auch die vielversprechenden Newcomer des Reggaes Jah9, Var, Kush McAnuff und Derajah.

Regisseur Peter Webber, der mit DAS MÄDCHEN MIT DEM PERLENOHRRING bekannt wurde, dem Film, in dem einem Bild vom niederländischen Porträtmeister Johannes Vermeer  eine Geschichte untergeschoben wird, läßt uns glauben, daß er beim Geschehen kaum eingegriffen hat, sondern nur die Kamera gerichtet hat auf diese alten Männer, die so was von entspannt und weise wirken und einem gleichzeitig wie vom Leben noch nicht enttäuschte Kinder vorkommen. Das ist das eine, das andere, wie unterschiedlich die einzelnen Personen sind, die doch eine gemeinsame Lebenseinstellung ausströmen. Und natürlich die Musik.

Daß so viel Wehmut mitströmt, hat mit den aktuellen Verhältnissen zu tun, denn die Lebensbedingungen in Jamaika sind nicht so strahlend, wie man hoffte, als mit dieser Musik auch eine neue Zeit begann. Interessant ist es, zu beobachten, daß dies ein reiner Männerfilm ist. Kennt man aber die Situation in Jamaika, dann weiß man, wie sehr dort die Frauen das Sagen haben. Und zwar selbstverständlich. Nicht modern feministisch. Es herrscht eine matriarchalische Grundstruktur vor. Als Beispiel dafür mag gelten, was hierzulande eben auch völlig unbekannt ist. Die normale Jamaikanerin hofft nicht auf die große Liebe, baldige Hochzeit und die Kleinfamilie. Sie probiert zuvor die Männer aus. Nein, es kann schon sein, daß sie beim ersten bleibt. Aber der, mit dem sie ein Kind haben will oder dann aus Versehen schon bekommt, der zieht erst einmal in den Großhaushalt der jungen Frau ein – und erst dann, manchmal erst nach dem zweiten Kind, erst dann, wenn er sich bewährt hat als Ehemann und Vater, erst dann wird er geheiratet. Ist doch ein Supermodell, warum es auch in Jamaika besonders wenig Scheidungen gibt, denn das wird vorher erledigt, in dem die sich nicht bewährenden Männer und Väter rausgeworfen werden aus der matriarchalischen Sippe oder von selbst das Weite suchen.

Das nur nebenbei, aber dies ist wichtig, wenn man verstehen will, warum da draußen die Männer unter sich sind. Aber solche Gedanken und Untersuchungen interessieren den Regisseur weniger, müssen ja auch nicht. Er führt die Männergeschichten fort, in dem er sie als Helden der Wirklichkeit mit gefährlichen Vergangenheiten erscheinen läßt, so wie bei uns die Helden aus Freiheitskriegen oder die, die wie Schinderhannes gegen die Obrigkeit aufstanden und das Volk schützten. Solche Männer gibt es in Jamaika zu hauf, denn die Insel ist von dem Vereinigten Königreich ‚zivilisiert‘ worden und wurde als Alterssitz gerne gewählt. Ach ja, daß in einmalig schöner Umgebung auch der Erfinder von James Bond, Ian Fleming, residierte, nur am Rande. Aber beim Stichwort Jamaika und Terrassen in den Bergen muß einem das einfallen. Schon wegen der Bar, die er mitten in den Bergen errichtet hatte und wo er seine Romane geschrieben haben soll: "Casino Royale", das Buch, mit dem alles begann, erschien 1953. Das war die gute alte Zeit - für die Engländer!

Also Männer. Es geht um Protestkulturen, um Rastafaris, aber auch geschichtlich um die Maroons, Sklaven, die aus Afrika verschleppt, sich in Jamaika befreien konnten und in den Bergen ein eigenes Leben führen konnten. Aber es geht auch darum, daß wir ins Szenen Sängerinnen erleben wie Jah9, die von der Reggaesängerin Judy Mowatt unterstützt, mit ihr im Aufnahmeraum ein gemeinsames Lied aufnimmt, aber die Musiker dazu draußen – im Garten – stehen bleiben. ??? Der Film sagt dazu leider nichts.

So muß man sagen, daß man den Film zwar gerne anschaut und anhört – die Band INNA DE YARD ist auch in Deutschland unterwegs -,  aber das alles doch etwas zu glatt ausfällt, ein Wohlfühlfilm.

Foto:
© Verleih

Info:
Regie: Peter Webber
Herstellungsland/-jahr: Frankreich / 2018
Genre: Dokumentation / Musikfilm
Laufzeit: ca. 99 Minuten