Serie: Frankfurt liest ein Buch 2013, vom 15. bis 28. April: Siegfried Kracauer GINSTER (Suhrkamp), Teil 8
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Mit vier von Siegfried Kracauer in der Frankfurter Zeitung besprochenen, allesamt sozial-politisch engagierten Filmen nimmt auch das Filmmuseum an den GINSTERwochen teil. KUHLE WAMPE vom 16. April ragt schon wegen der Autorenschaft von BertBrecht und der solidarisch-negativen Kritik durch den Filmkritiker hervor.
Da könnte man gleich eine Magisterarbeit darüber verfassen, so komplex ist der Film, so widersprüchlich der Eindruck beim Sehen, so verheerend die Wirkung für den, die Filmsoziologe begründenden Kracauer. Das Filmmuseum hatte zu diesem 76 Minuten langen Film mit dem Text eingeleitet: „KUHLE WAMPE war der erste deutsche Film, der offen einen kommunistischen Standpunkt einnahm. Bert Brecht und Ernst Ottwald schrieben das Drehbuch; die Musik komponierte Hanns Eisler. In mehreren Episoden zeigt der Film Alltagsskizzen einer von der Wirtschaftskrise geprägten Arbeiterfamilie.“
Das Letztere stimmt und stimmt doch wieder nicht. Mit dem Begriff des'Arbeiter' ist es hier eben nicht getan, weil es im Film darum geht, welche Orientierung diese Arbeiter haben und welche sie haben müßten. Leider gab es nur eine kurze mündliche Einführung und keine anschließende Diskussion, die, wenn man es mit der Film-Kracauer-Beteiligung an den GINSTERwochen ernst meint, zur Erhellung des Gesehenen dringend gebraucht hätte, denn nur wenigen sind die Seiten 51-55 und 73 aus der Werkausgabe Band 6.3 „Kleine Schriften zum Film 1932-1961“ bekannt, die dann auch noch einzuschätzen wären, denn auch ein Kritiker kann und muß kritisiert werden.
Also, so die mündliche Einführung: zuerst habe es schon bei der Produktion Schwierigkeiten gegeben, dann folgte ein Aufführungsverbot des Films durch die Zensur, wogegen die Frankfurter Zeitung durch Siegfried Kracauer protestiert habe. Es handele sich um einen der wenigen proletarischen Filme. Gedreht hat ihn der Bulgare Slátan Dudow, der zuvor in Berlin durch einen Dokumentarfilm über die Wohnverhältnisse der Berliner Arbeiter aufgefallen war.
Wir wußten darüberhinaus, daß die Filmfirma Prometheus vor Ende der Dreharbeiten in Konkurs ging, daß Mitglieder der Nazis, die SA, die Filmaufnahmen störten, wohingegen die der KPD das Drehen beschützten. Die Uraufführung fand am 14. Mai 1932 in Moskau statt, wurde aber kein Erfolg und abgesetzt, für die Russen waren diese Arbeiter, die sogar Motorräder besitzen' nicht proletarisch genug. Die deutsche Erstaufführung erfolgt dann am 30. Mai in Berlin mit großem Erfolg! Gleich 13 Kinos übernahmen den Film, der auch im europäischen Ausland gezeigt wurde und 1934 in den USA. Dann war Funkstille bis zu DDR-Zeiten, wo der Film früh gezeigt wurde, in der Bundesrepublik galt er als verschollen, tauchte dann im Gefolge der 68er Jahre wieder auf. Seit 2008 gibt es den Film als DVD.
Da der Film durch Zensur erst einmal verboten war, dann durch Schnitte der offiziellen Zensurgründe die Aufführung wieder für ein Jahr erlaubt war und erst gleich nach dem Machterhalt der Nazis 1933 wieder verboten wurde, wissen wir nicht, welche Fassung wir heute sehen. Wir vermuten die Originalfassung.
So schwierig es ist, mit den Filmaugen von heute, alte Filme in ihrer Qualität und filmischen Machart zu beurteilen, so deutlich wird, daß der gesamte Anfang filmisch von einer Wucht und Rhythmus, von einer Intensität und verstörendem Lebensgefühl ist. Hart sind erst Wohnhäuser/Siedlungen, hoch und kahl, gegeneinander geschnitten, dann folgen die Fahrräder, die normalen Fortbewegungsart der Arbeiter und vor allem ihrer Jugendlichen, von denen sogar einige Motorräder besitzen.
Man hatte den Vorspann: EIN ARBEITSLOSER WENIGER gelesen und wähnt sich in diesem faszinierenden Radfilm in einem Stummfilm. Oft nehmen die Füße, die in die Speichen treten, die ganze Leinwand ein, die Schnellebigkeit der Zeit, dieses Hasten und sich um Arbeit bemühen, diesen Wettkampf des arbeitslosen Proletariats - freie Stellen werden per Flugblatt bekannt gegeben, 50-100 fahren los, ein bis zwei erhalten eine Stelle - , folgt ohne Dialoge oder eine Erzählstimme Schlag auf Schlag, die Schwarz-Weiß Aufnahmen und die hektische, dissonante Musik unterstützt noch die – falsche- Annahme eines Stummfilms. Ein wirklich furioser, vorwärtsdrängender, toll-irrsinniger Beginn. Fortsetzung folgt.
INFO:
Siegfried Kracauer, GINSTER, Suhrkamp Verlag 2013
Siegfried Kracauer, GINSTER, Hörbuch, 4 CDs, Hörbuch Hamburg 2013
Wolfgang Schopf, BIN ICH IN FRANKFURT DER FLANEUR GEBLIEBEN...SIEGFRIED KRACAUER UND SEINE HEIMATSTADT, Suhrkamp Verlag 2013
Wolfgang Schopf (Hrsg.), DER RISS DER WELT GEHT AUCH DURCH MICH, Theodor W.Adorno – Siegfried Kracauer Briefwechsel 1923-1966, Suhrkamp Verlag 2008
Siegfried Kracauer, Werke in neun Bänden, hrsg. von Inka Mülder-Bach und Ingrid Belke, ab 2004 ff, Suhrkamp Verlag
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