f LeidundHerrlichkeit 010Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. Juli 2019, Teil 7

Pedro Almodovar

Madrid (Weltexpresso) - Im Verlauf der Geschichte sehen wir den Regisseur Salvador Mallo in drei Phasen seines Lebens: seine Kindheit in den 1960er Jahren; seine Zeit als junger Erwachsener im Madrid der achtziger Jahre (Salvador ist ein Produkt der movida madrileña, der wilden Dekade nach dem Ende der Franco-Diktatur); und wir sehen auch den heutigen Salvador, vereinsamt und deprimiert. Er ist gezeichnet von verschiedenen Krankheiten und abgeschnitten von der Welt und vom Kino.

Ich identifiziere mich mit all diesen Epochen, ich kenne die Orte und die Gefühle, die Salvador durchmacht. Aber ich habe nie in einer Höhle gelebt und mich als Kind nie in einen Handwerker verliebt, obwohl beides hätte passieren können. Zunächst habe ich mich selbst als Referenz genommen, doch sobald man mit dem Schreiben beginnt, legt die Fiktion ihre Regeln fest und macht sich unabhängig vom Ursprung. So ist es mir immer ergangen, wenn ich Themen mit realen Bezügen behandelt habe. Die Wirklichkeit liefert mir die ersten Zeilen, aber den Rest muss ich erfinden. Zumindest ist es das Spiel, das ich gerne spiele.


DAS LEICHENTUCH

Jahre vor ihrem Tod hatte meine Mutter meiner älteren Schwester bereits erklärt, wie sie verhüllt werden wollte. Sie sprach völlig natürlich über ihr eigenes Ableben und meine Schwester hörte ihr ebenso zu. Ich selbst habe ein kindisches, unreifes Verhältnis zum Tod und immer bewundert, wie selbstverständlich meine Mutter meiner Schwester alles beigebracht hat, was sie als gute Frau aus La Mancha zum Tod und den Riten wissen muss.

f leidundherrlichkeit112 v contentgrossIn meinem Land gibt es eine sehr reiche Kultur des Todes, durch die es gelingt, das Ereignis menschlicher zu gestalten, ohne das Spirituelle zu verlieren. Leider habe ich diese Kultur nicht geerbt, obwohl mein Kino stark davon beeinflusst ist. Während ich die Szene geschrieben und wieder umgeschrieben habe, in der Mutter Jacinta zu Salvador sagt: „Wenn sie mir die Füße zusammenbinden“ (sie tun das beim Leichnam normalerweise, damit die Füße nicht zur Seite wegkippen), „löst du sie und sagst, ich hätte dich darum gebeten. Zu dem Ort, an den ich komme, möchte ich unbeschwert gehen.“, habe ich am Ende jedes Mal vor dem Computer geweint.

Ich habe Julieta Serrano mit der Bitte angerufen, Jacinta im Alter von 84 Jahren zu spielen. Ich wollte schon seit einiger Zeit wieder mit ihr zusammenarbeiten und es nun endlich zu tun, bereitete mir dieselbe Freude wie bei unseren Dreharbeiten in den Achtzigern. Das Alter hat Jacinta zu einer etwas verbitterten, vertrockneten Frau gemacht. Sie macht es ihrem Sohn Salvador nicht leicht.

Als ich am vierten Teil des Drehbuchs arbeitete, an der Sequenz, in der Salvador seine Assistentin Mercedes im Schlafzimmer seiner Mutter unterbringt, steht in Wahrheit Jacinta im Mittelpunkt und mit ihr die Vorstellung vom Jenseits. Der Tod hatte schon die Mutter verfolgt, aber auch in Salvadors gegenwärtigen Leben geistert er herum. Er sitzt im Sessel, in dem früher seine Mutter saß, und bittet Mercedes um die Blechdose, in der Jacinta ihren Krimskrams aufbewahrte. In Mein blühendes Geheimnis hatte ich die liebenswerte, lustige Version meiner Mutter in diesem Alter gezeigt. Aber jetzt hatte ich das Gefühl, dass es interessanter wäre, wenn es zwischen Mutter und Sohn nicht einfach wäre – wenn ihre letzten Gespräche bitter wären.

Jacinta war mit den Jahren zu einer 9 harten, mürrischen Frau geworden und sie spricht mit ihrem Sohn mit einer gewissen Grausamkeit ohne offensichtlich boshaft zu sein, wie es Ältere und Kranke bisweilen mit denen tun, die ihnen am nächsten stehen. Julieta Serrano war in ihrer Darstellung vom ersten Moment an so präzise und aufrichtig, dass sie mich umhaute und ich mehr von ihr im Film sehen wollte. Also schrieb ich während des Drehs, völlig improvisiert und voller Vorfreude, mehrere neue Szenen für sie. Doch in gewisser Weise waren sie bereits in einem Teil meines Unterbewusstseins versteckt und wurden zu unerlässlichen Szenen, die mich ebenso verblüfften wie Salvador selbst. Ich spreche von den Szenen im Flur und auf der Terrasse. Nachdem ich sie geschrieben und gefilmt habe, erscheinen sie mir nun so real, dass ich mich frage, ob es zwischen meiner Mutter und mir ähnliche Spannungen gab. Ich habe den Eindruck, dass diese improvisierten Szenen mehr über mich ausdrücken, über meine Beziehung zu meinen Eltern und zu La Mancha und die Orte, an denen ich in meiner Kindheit und Jugend gelebt habe, als alles, was ich bisher darüber gesagt habe. D


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Info:
BESETZUNG
Antonio Banderas      Salvador
Asier Etxeandia          Alberto
Leonardo Sbaraglia   Federico
Nora Navas                Mercedes
Julieta Serrano          Jacinta, in späten Jahren
César Vicente            Eduardo
Asier Flores               Salvador als Kind
Penélope Cruz          Jacinta, in jungen Jahren
Cecilia Roth               Zulema
Susi Sánchez            Fromme Frau
Raúl Arévalo              Venancio