f wortSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 1. August 2019, Teil 6

Ilker Çatak

Berlin (Weltexpresso) -Die Geschichte von ES GILT DAS GESPROCHENE WORT begann im Grunde noch bevor ich wusste, dass ich einmal Filme machen würde. Meine Großeltern waren in den 1980ern mit dem Ersparten aus zwei Dekaden Gastarbeit in die Türkei zurückgekehrt, um eine kleine Pension am Mittelmeer zu führen. Marmaris entwickelte sich in den 1990ern zu einem pittoresken, von Touristen aus aller Welt frequentierten Ferienort. Bis zu meinem 18. Lebensjahr verbrachte ich meine Sommerferien dort. In gewisser Weise war das meine erste Schule, um Filmemacher zu werden.

Meine Großmutter sagte immer, dass ein Hotelier ein Menschenkenner sein müsse. Man solle wissen, wen man ins Hotel lässt – zu häufig wurde sie von Schlitzohren über den Tisch gezogen. Es muss in dieser Zeit gewesen sein, in der ich meinen Blick für Leute und ihre Eigenarten schärfte. Nicht selten hatten wir Angestellte und Gäste, die sich in ähnlichen Konstellationen einfanden wie Baran und Marion: Einerseits junge Männer aus Anatolien, die im Streben nach Wohlstand und Reichtum keine Moral kennen und alles in Kauf nehmen, um ihren Traum von Europa wahr werden zu lassen. Andererseits Frauen auf der Suche nach einer anderen Wirklichkeit – nach Sinnlichkeit und Liebe.
 
Das Schicksal solcher Paare fasziniert mich seit jeher. Denn angekommen in Deutschland, setzt oftmals Ernüchterung ein. Die Rollenverhältnisse kehren sich radikal um: War der Mann eben noch ein galanter Kenner der exotischen Kultur, so ist er plötzlich abhängig von der Frau. In so ziemlich jeder Lebenslage. Genau dieses Spannungsfeld bot sich an. Als ich vor einigen Jahren begann, einen Plot zu einem solchen Paar zu skizzieren, war recht schnell klar, dass es wichtig ist, dem klischeehaften Bild dieser Konstellationen entgegenzusteuern. Bedeutet: keine naive Frau, die alle Warnungen ausblendet und blindlings an die selbstlose Liebe ihres Partners glaubt. Kein gefühlskalter Mann, der nur darauf aus ist, seine drei Jahre auszusitzen, um dann den Pass einzustecken und sich scheiden zu lassen – auch wenn das oftmals die trostlose Realität ist. Stattdessen wollte ich aus Marion und Baran Figuren machen, die ihr Schicksal in die Hand nehmen. Menschen, die sich nicht klein kriegen lassen – sondern über sich hinauswachsen. Menschen, die sowohl innere als auch äußere Widerstände überkommen, um sich am Ende gegenseitig als Liebende zu erkennen.

Foto:
© Verleih

Info:
Besetzung
Anne Ratte-Polle (Marion)
Oğulcan Arman Uslu (Baran)
Godehard Giese (Raphael)
Jörg Schüttauf (Mark)

Das Wagnis also, einen Liebesfilm zu machen. Jenes Genre, das so großartige Geschichten bespielen kann, wenn es gut gemacht ist. Die Herausforderung anzunehmen, Kulturen aufeinander prallen zu lassen und in vier Sprachen zu drehen. Existenzielle Fragen zu stellen. Von Sehnsüchten und Träumen und Leidenschaften zu erzählen. Vor der Vielfalt des Lebens nicht zurückzuschrecken, sondern genau jene Winkel auszuleuchten, die es interessant machen – Milieus und soziale Geflechte, die wir sonst nicht vor Augen geführt bekommen. Menschliche Beziehungen, die rau und ruppig sind, zuweilen gar tragisch, um am Ende groß zu werden. Das alles soll dieser Film sein! Ein Wagnis. Eine Herausforderung. Eine Chance. So wie das Schicksal unserer Protagonisten selbst.