CongoCalling Motiv Flugzeug web mitText klein 724x10241Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. August 2019,  Teil 

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Warum eigentlich hat Fußballmanager Clemens Tönnies sich am Kindermachen hochgezogen, anstatt das organisierte Morden in Afrika anzusprechen, womit er eine sinnvolle Auseinandersetzung über einen Kontinent in Gang gesetzt und womöglich ganz Afrika ihm zugehört hätte.

Alle Afrikaner immer nur zu exkulpieren kann es auf Dauer auch nicht sein

Der Dokumentarfilm Congo Calling ist nahe zum Lustspiel geraten, eine moralische Lehre kann und darf er als Film nicht erteilen. Aber er bietet aufschlussreiche Einblicke in die Funktionsweise eines Kontinents zwischen Moderne und Resttradition. Mehrheiten sind zu achtzig Prozent überall menschlich gepolt, gewisse Minderheiten aber sind Querschläger in Bezug auf das menschliche Geschlecht. Gegen sie müsste die Weltgemeinschaft Dauerkampagnen fahren, im Namen der Opfer. Dabei würden sich auch manche der Unsrigen getroffen fühlen.

Der Film ist – bei allen beleuchteten fragwürdigen Verhältnissen – des Sehens wert, obgleich er verwirrend desultorisch arbeitet; er ist sprunghaft wie eine Heuschrecke. Viele seiner afrikanischen Szenen sind herzig, aber es ist nicht immer leicht, sie in den örtlichen Sinn- und Kausalzusammenhang einzuordnen, um ihn zu einer Art Gemälde vom Land Kongo zusammen zu puzzeln. Die Aufnahmen wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren gedreht.
 
Die Crew, die herzlich aufgenommen wurde, wie Macher Stephan Hilpert nach Schluss des Films bekannte, hatte auch Begegnungen, die nicht ganz ohne waren, wie eine mit Rebellen vom Schlag der Mai-Mai-Milizionäre. Ihr Moralkodex schlug dabei durch. Es wird eine ganze Kodex-Litanei runtergebetet, die auch eine Mystifikation - man sei vom Mai-Mai-Geist durchströmt - beinhaltet, wobei auch was von Musizieren bei gleichzeitigem Auspeitschen zum Besten gegeben wird.


Afrika ist lebendig wie nur etwas

Die schnell aufeinander folgenden Szenen an diversen Plätzen vermitteln einen Eindruck von einem Land, das den Aktiven der Entwicklungspolitik dauerhaft zum Zuhause wird. Sie reißen keinen Job herunter, wie ein ehemaliger deutscher Außenminister, der den Flughafen von Goma, seine neuste Version, einweiht und ein paar gedrechselte Worte ausknutscht.

Geradezu im Zentrum einer vielstimmigen Metropole steht das Amani Festival mit großer Bühne und lebenslustigem Volk. Es zeigt am Ende auch den Auftritt von Santi Sol, einem bedeutenden Künstler, der die Massen vor der Bühne in Ektase versetzt. Die Bild- und Tonaufnahmen zu Tanzrhythmen könnten auch in einer Disko des Nordens aufgenommen worden sein. Die Entwicklungshelferin Anne-Laure, schon am Absprung aus Goma und Afrika, arbeitete noch für dieses Event, hat aber ihre Stelle schon aufgegeben. Mit ihrem einheimischen regimekritischen Freund kämpft sie „für eine bessere Zukunft“. Goma, in Nähe des Staates Ruanda gelegen, hat in kurzer Zeit die große Zahl von c. 1,5 Millionen Bürgerkriegsflüchtlingen aufgenommen. Man begreift: Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer sind moderne Samariter mit hohem moralischem Ethos.


Förderungen von Bodenschätzen sind Tötungsprogramme, die von Staaten des Nordens einkalkuliert werden

Wobei zu bedenken ist: Im Kongo waren im gefährlichsten Zeitraum 18000 Blauhelme stationiert. Stationiert. Die Jahre 2017 und 2018 handelten in der Presse von der Kongo-Tragödie vor dem bereits angesprochenen Hintergrund der Kongo-Massaker. Diktator und Menschenschinder Joseph Kabila hätte im Dezember 2016 nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit zurücktreten müssen, damit dem Gesetz entsprechend Wahlen hätten abgehalten werden können. Dies verweigerte er. Selbst an einen neuen Termin für Ende 2017 hielt er sich nicht – es sei nicht genug Geld da, behauptete er. Durch Kabilas Beharren an der Macht mitverursacht brachen in den diamantreichen Kasai-Provinzen Unruhen aus. „Tausende sind bereits tot, zwei Millionen auf der Flucht“ texteten im Februar 2018 Zeitungsmeldungen.


Apokalyptischer Massenmord an ganzen Dörfern

Im Juni 2017 berichteten die Zeitungen von den Grausamkeiten in den kongolesischen Kasai-Provinzen. Die Berichte sprechen von Hunderten verstümmelten Körpern, niedergebrannten Dörfern und Massengräbern. Der Chef der UN-Menschenrechtskommission sprach schockiert von unsäglichen Gräueln: „Mein Team sah zweijährige Kinder, denen die Arme und Beine abgehackt wurden“, „Selbst Babys wiesen Brandwunden und Verletzungen von Macheten auf“ und: „Mindestens zwei schwangere Frauen wurden bei lebendigem Leib von Milizionären aufgeschnitten und ihre Embryonen zerstückelt“ (06.2017).
 
Von diesen Entwicklungen handelt der Film nur mittelbar. Er liefert ein Gegenbild von einem Kongo der großen Möglichkeiten und Potentiale. Die Menschen hierfür existieren und leben allzeit lebhaft. Die einheimischen Protagonisten sind alle fit für eine moderne Zivilgesellschaft, aber ihre Köpfe sind noch von alten Reflexen von Männlichkeit, Gerissenheit und Chuzpe durchwummert. Schade, dass sich nicht der bessere Teil von ihnen zu einem neuen Gesamtsubjekt zusammenfindet, um die Geister der Vergangenheit endlich zu vertreiben – bei aller Wahrung von Traditionen, die der menschlichen Vernunft kinswegs Hohn sprechen.

 
Die Entwicklungshelfer sind die Samariter der Neuzeit
 
Protagonisten auf der Entwicklungsseite sind noch Raúl und Peter. Der Youngster und der Altgediente. Der Erstere, jüngere, Raúl, ein französisch-spanischer Wissenschaftler, findet sich pfeilschnell und wohl dauerhaft ins Gewerbe des global vernetzten und umsichtig getakteten Helfens ein. Kollegen finanzieren sein Projekt. Nach einer Abwesenheit von einem Jahr nimmt er sich Christian, seinen unmittelbaren Mitarbeiter vor, der Leute führt, sich in seiner Funktion aber der Vetternwirtschaft schuldig gemacht hat. Alle, die am neuen Kongo arbeiten wirken fit enough, um den neuen, der universellen Humanität verpflichteten Kongo aufzubauen. Sie bewegen sich aber noch auf einem Grat, der Abgründe bereithält, die zur Verlockung werden können. Kurzfristiges Denken eben. Entwicklungsarbeit, in entwickelten Welten erdacht und geplant, ist ein kleinteiliges Geschäft, eine unendlich mühevolle Sache, die ein Leben verschleißt, aber am Ende doch auch erfüllt.

Eben dies kommt in der Person von Peter (65) zum Tragen, der 30 Berufsjahre auf dem Buckel hat, aber nun von fernen Verwaltungsangestellten in Rente geschickt wird, von einem Tag auf den andern, ohne dass ihm der wohlverdiente Ruhestand abgesichert würde. Seine letzten Tage im Kongo werden szenisch geschickt in Einschüben geschildert, wobei Rührung über sein Schicksal immer wieder aufkommt. Einstmals hatte er sich für Nicaragua engagiert. Die Bürokratie aber degradierte ihn nun zum Auslaufmodell, zum Underdog – und Peer Steinbrück kassiert pro Monat trotz seines überwiegend liederlichen Geschwafels vor versammelten Tätern der Finanzindustrie, die er losgelassen hatte, 9300 Euro Rente (so die BILD-Zeitung), nachdem er für geschwätzige Vorträge schon ein Vermögen anhäufte, das jedem achtbaren Sozialdemokraten vom alten Schlag die Zornesröte ins Angesicht treiben muss. Der andere, gute Peer landet am Schluss des Films im kalten Berlin, wo er sehen muss wo, er bleibt.

 
Noch eine gute Meldung
 
Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik Kongo fanden am 30. Dezember 2018 statt. Am 10. Januar 2019 erklärte die Wahlkommission Félix Tshisekedi zum Sieger. Mit diesem Amtsantritt kam es erstmals in der Geschichte des Landes zu einer demokratischen Übergabe der Macht. Amtsinhaber Joseph Kabila durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.

Fazit 
Blick auf einen ansonsten menschlich liebenswerten Horrorstaat, in dem auch organisierter Massenmord und Schlächterei an eher zufälligen Opfern zuweilen an der Tagesordnung ist.


Foto:
© jip film & verleih gbr

Info:
Protagonisten: Anne-Laure Van der Wielen, Peter Merten, Raúl Sánchez de la Sierra u.v.a.
Buch, Regie, Produktion: Stephan Hilpert
Bildgestaltung: Daniel Samer
Montage: Miriam Märk
Musik: Sebastian Fillenberg
Sounddesign und Tonmischung: Andreas Goldbrunner
Konzept-Inspiration und -Beratung: Raúl Sanchez de la Sierra, Gauthier Marchais
Producer (Preproduction): Lilian Dammann
Redaktion: Eva Katharina Klöcker (ZDF – Das kleine Fernsehspiel)
Herstellungsleitung HFF München: Ferdinand Freising, Manya Lutz-Moneim
Projektbetreuung HFF München: Knut Karger, Daniel Lang
Gesamtleitung HFF München: Prof. Heiner Stadler
Eine Produktion von Stephan Hilpert in Koproduktion mit ZDF-Das kleine Fernsehspiel in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Fernsehen und Film München, gefördert durch den FilmFernsehFonds Bayern

Filmstart: 22.08.2019

Wir konnten den Film in einer Vorpremiere im Frankfurter Kino Mal Seh'n mit  Anwesenheit des Regisseurs Stephan Hilpert erleben.  Dort läuft der Film täglich bis Dienstag um 18 Uhr.