Claudio Giovannesi (Regisseur)
Rom (Weltexpresso) - PARANZA – DER CLAN DER KINDER erzählt vom Erwachsenwerden in einem kriminellen Milieu, von einem Leben unter Bedingungen, die Freundschaft und Liebe - die wichtigsten Gefühle im jugendlichen Alter - unmöglich machen. Mein Film zeigt, wie ein Fünfzehnjähriger und seine gleichaltrigen Freunde ihre Unschuld verlieren. Nicolas Entscheidung, eine kriminelle Jugendgang anzuführen, wird Schritt für Schritt unwiderruflich, bestimmt sein Leben und zwingt ihn dazu, seine erste große Liebe für die Gang zu opfern.
Keiner dieser Jungen strebte von Kind auf eine kriminelle Karriere an. Sie ist die Folge einer im Alltag ihrer Stadt verbreiteten Atmosphäre, in der illegale Machenschaften an der Tagesordnung sind. PARANZA – DER CLAN DER KINDER betrachtet diese Welt, in der sich die Jugendlichen im Film bewegen, nicht aus einer soziologischen Perspektive. Ich nehme als Regisseur den Blickwinkel der jungen Leute ein und urteile nicht über sie, sondern zeige ihre Gefühle als Heranwachsende, die Macht haben wollen und Straftaten begehen. Der Film beschreibt den Weg in die Kriminalität ausschließlich über die individuellen Empfindungen der Jugendlichen, ihre Erfahrungen mit Liebe und Freundschaft, die zum Scheitern verurteilt sind.
Trotz ihres jungen Alters müssen die Hauptfiguren tagtäglich mit dem Tod leben und ihrem eigenen Tod als real existierender Gefahr ins Auge blicken. Berauscht von ihrer neu gewonnenen Macht, lassen sie sich in einen Krieg hineinziehen. In ihrem Wunsch, über die Stadt Neapel zu herrschen, steckt auch das alterstypisch naive Paradox, Gutes durch Böses bewirken zu können: der Traum von einer gerechten Macht, die Illusion einer moralisch handelnden Camorra. Die Söhne töten die Väter, um deren Platz einzunehmen. Dafür müssen sie sehr schnell erwachsen werden, ihre jugendliche Unbekümmertheit aufgeben und den Tod oder das Gefängnis als ständig drohende Konsequenz in ihrem Leben in Kauf nehmen.
Vorbereitung und Dreharbeiten
Der Film ist zwar durch reale Ereignisse inspiriert, aber er beabsichtigt weder, reale Vorfälle in einem bestimmten Viertel genau zu rekonstruieren, noch einen Kommentar zur Jugendkriminalität in Neapel zu liefern. Die Stadt ist nur der Schauplatz von PARANZA – DER CLAN DER KINDER: Das eigentliche Thema des Films geht weit über den Ort seiner Inszenierung hinaus. Im Mittelpunkt der Erzählung stehen das Alter der Hauptfiguren und ihre unwiderrufliche Entscheidung für die Kriminalität. Die jungen Protagonisten befinden sich in einem Alter, in dem sie erfahren müssen, was es bedeutet, wenn sie „gut“ und „böse“ für sich in einer bestimmten Art und Weise definieren.
Mit genau diesem Thema haben sich meine jugendlichen Schauspieler und ich uns auseinandergesetzt, um ihre Figuren zu entwickeln und ein Gespür für die Szenen, die sie spielen, zu bekommen. Für die Jungs im Film zählen vor allem die Statussymbole unserer Konsumgesellschaft: Markenkleidung, teure Uhren, Motorräder, ein eigener Tisch in der Diskothek, Champagner. Um all das zu besitzen, brauchen diese jungen Menschen Geld - viel Geld und das am besten sofort. Die Möglichkeit, es durch kriminelle Machenschaften zu erwerben, liegt für sie am nächsten. An die Konsequenzen ihres Handelns denken sie dabei erst einmal nicht.
Der Weg, den die Figuren in meinem Film gehen, sieht folgendermaßen aus: Auf die sofortige Erfüllung ihrer Träume folgt eine große Euphorie und eine Gier danach, immer mehr zu besitzen. Irgendwann überschreiten sie in Bezug auf ihre Straftaten den Punkt, an dem der große Absturz folgt und es kein Zurück mehr gibt.
Die Entwicklung der Figuren in PARANZA – DER CLAN DER KINDER basiert auf den gemeinsamen Entscheidungen und Erfahrungen innerhalb einer Gruppe junger Männer, die aus neun Personen besteht - und auf der Beziehungsdynamik innerhalb dieser Gruppe. Ich wollte die Aufmerksamkeit auf die Gefühle jedes einzelnen von ihnen lenken: Freundschaft, die erste Liebe, die Beziehung zur Familie. Wie fühlt es sich an, wenn man als Fünfzehnjähriger eine kriminelle Karriere startet? Worauf muss man verzichten? Was passiert, wenn diejenigen Gefühle, die die Jungen für wahr hielten, wenn ihre Freundschaften zu zerbrechen drohen und ihre Liebe zueinander immer weiter abnimmt, weil sie in Konflikt mit ihrem Ehrgeiz und ihrem Kampf um die Macht geraten?
Wir wollten, dass der Film in den Stadtvierteln Sanità und Quartieri Spagnoli spielt, weil Neapel im Unterschied zu Rom und vielen anderen italienischen Städten noch ein historisches Stadtzentrum mit ursprünglichem, volkstümlichem Charakter besitzt, das noch nicht vom Tourismus und von inszenierter Folklore geprägt ist. Das Viertel steht in meinem Film ebenso im Mittelpunkt wie die Jungen selbst: der Straßenmarkt, die Menschenmenge, die Geschäfte, das Gefühl der Zugehörigkeit zum Viertel, in dem man geboren und aufgewachsen ist.
Die Dreharbeiten dauerten neun Wochen und die Szenen wurden in chronologischer Folge gedreht. Am ersten Drehtag haben wir den Anfang des Films und am letzten Drehtag das Finale aufgenommen. Keiner der Jungen hatte das Drehbuch gelesen und auch nicht den Roman, auf dem es basiert. Die Schauspieler sollten die Erfahrungen ihrer Figuren Tag für Tag von Anfang bis Ende selbst durchmachen. Sie durften nicht vorher wissen, welche Folgen ihre Handlungen haben würden, sie sollten sie einfach erleben: das Entstehen einer brüderlichen Freundschaft, die Bildung einer Gruppe, die Tragik des Kriegs auf den Straßen, das realitätsfremde Wunschdenken, die unwiderruflichen Folgen ihrer kriminellen Aktivitäten, der Verlust der Unschuld, die Unmöglichkeit umzukehren und eine unbeschwerte Jugend zu genießen, die Erfahrung des Scheiterns.
FORTSETZUNG FOLGT
Foto:
© Verleih
Info;
BESETZUNG
Francesco Di Napoli Nicola
Ar Tem Tyson
Viviana Aprea Letizia
Alfredo Turitto Biscottino
Valentina Vannino Nicola’s Mutter
Pasquale Marotta Agostino
Luca Nacarlo Cristian
Carmine Pizzo Limone
Ciro Pellecchia Lollipop
Ciro Vecchione ‘O Russ
Mattia Piano Del Balzo Briatò
Aniello Arena . Lino Sarnataro
Roberto Carrano Carminiello
Adam Jendoubi Aucelluzzo
Renato Carpentieri Don Vittorio
REGIE
Claudio Giovannesi
DREHBUCH
Roberto Saviano, Claudio Giovannesi, Maurizio Braucci